Landtagswahl in Bayern:Von Burschen bis Kröten

Landtagswahl in Bayern: Politprominenz als Wahlhelfer: Markus Blume (CSU, rechts) hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Vortrag in die Echardinger Einkehr eingeladen.

Politprominenz als Wahlhelfer: Markus Blume (CSU, rechts) hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Vortrag in die Echardinger Einkehr eingeladen.

(Foto: Stephan Rumpf)

In Perlach und Trudering ist die Welt aus CSU-Sicht noch in Ordnung. Zum Stimmkreis gehören aber auch Ramersdorf und die Messestadt. Wer dort in einer Sozialwohnung lebt, für den gebe es Wichtigeres als Tierschutz, sagen selbst die Grünen.

Von Franz Kotteder

Zwölf Mann von den Original Truderinger Böllerschützen nehmen gegenüber des Festzelts an der Hoferstraße Aufstellung, als die schwarze Dienstlimousine der stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidentin und Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, Ilse Aigner (CSU), einbiegt. Gleich werden sie der Ministerin einen dreifachen Salut schießen. Die Abordnungen der ansässigen Vereine haben sich längst mit ihren prächtigen Fahnen vor dem Festzelt des Burschenvereins "Die G'mütlichen Perlach" aufgereiht. Markus Blume, CSU-Generalsekretär und Kandidat im Stimmkreis 107 Ramersdorf, blickt nicht ohne Stolz in die Runde: "Hier draußen ist die Welt noch in Ordnung", sagt er zufrieden.

Die Direktkandidaten im Stimmkreis

Markus Blume (CSU)

Der 43-jährige Unternehmer ist seit März 2018 Generalsekretär der CSU.

Markus Rinderspacher (SPD)

Der 49-jährige Journalist ist seit 2009 SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag.

Jörg Breyer (Freie Wähler)

Der Rechtsanwalt Jahrgang 1964 will den Menschen mehr Freiraum geben.

Susanne Kurz (Grüne)

Die 43-jährige Filmemacherin meint: Politik wird auf der Straße gemacht.

Manfred Krönauer (FDP)

Der 43-jährige Steuerberater ist Ortsvorsitzender der FDP Bogenhausen.

Moritz Lindenthal (Linke)

Der 19-Jährige ist Auszubildender und setzt auf europäische Lösungen.

Richard Progl (Bayernpartei)

Der 39-jährige Betriebswirt ist Stadtrat und stellvertretender Parteivorsitzender.

Andreas Meißner (ÖDP)

Der Psychotherapeut, geboren 1965, fordert das Recht auf eine analoge Kindheit.

Günther Meyer (Piraten)

Der 42-jährige Software-Entwickler beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel.

Iris Wassill (AfD)

Die Versicherungsjuristin, geboren 1969, fordert Schutz vor Islamisierung.

Sabine Ziegler (mut)

Die Hausmeisterin, Jahrgang 1964, hält die etablierten Parteien für überholt.

Marie Burneleit (Die Partei)

Gibt als Beruf "Turbopolitikerin" an.

Thomas Frank (Tierschutzpartei)

Der Gymnasiallehrer, Jahrgang 1964, ist Mitglied in elf Tierschutzorganisationen.

Till Arnold (V-Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer)

Für den Naturheilkundler spielt Gerechtigkeit eine große Rolle.

Das kann man so sagen, jedenfalls aus Sicht der Christlich-Sozialen. An diesem Fleck in Perlach, auf der sogenannten Wasmeier-Wiese, ist vieles noch wie im tiefsten Oberbayern vor 30 Jahren. Das Festzelt hat der Burschenverein aufgestellt, schon das zweite Jahr in Folge, "weshalb man eigentlich schon von einer Tradition sprechen kann", wie der Bezirksausschussvorsitzende Thomas Kauer befindet. Drinnen sitzen an die 350 Menschen, viele von ihnen sind Mitglieder der örtlichen Vereine, vom FC Perlach, vom Technischen Hilfswerk oder von der Freiwilligen Feuerwehr. Die Kapelle spielt den Bayerischen Defiliermarsch, als Aigner das Zelt betritt.

Ein Bayern wie aus dem Bilderbuch, und man merkt es sowohl Markus Blume als auch Ilse Aigner richtig an, welche Wohltat es in diesen bewegten Zeiten für sie ist, an einem Ort zu sein, wo keiner von dem Wahldebakel spricht, das ihrer Partei droht. Wo keiner mit "den Flüchtlingen" daherkommt und findet, dass es jetzt langt, auch mit der CSU. Die Wahlkampfchoreografie funktioniert prächtig, Ilse Aigner erwähnt in ihrer Rede beinahe jeden Anwesenden namentlich, fehlt nur noch, dass sie den Toni vom Burschenverein fragt, ob seine Oma immer noch solche Probleme mit dem Ischias hat.

Die neue städtische Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU), seit Kurzem Herrin über den Grundbesitz der Stadt, darf verkünden, dass der Burschenverein das ersehnte Grundstück an der Fasangartenstraße bekommt, auf das er dann seinen Feststadl bauen kann. Der Applaus ist groß. Markus Blume wiederum beschwört die Einzigartigkeit Bayerns, berichtet von seinen Ausflügen nach Brandenburg und in die Bundeshauptstadt: "Berlin ist eine Stadt, die nur so halbert funktioniert." Wie schön ist dagegen der Münchner Osten. "Wir wollen unter allen Umständen sicherstellen, dass er so lebenswert bleibt. Auch wenn es an manchen Stellen hier etwas urbaner ist." Da spielt Blume auf die Lage des Festzelts im Gewerbegebiet an, zwischen einem Lidl und einem Großbordell.

Blume weiß natürlich, dass dies nicht die einzigen Zeichen von Urbanität in seinem Wahlkreis sind und dass er sich an diesem Samstagabend Anfang September in einer Art Schutzreservat für aussterbende Arten bewegt. Von Waldtrudering bis Neuperlach, von der Messestadt Riem bis nach Ramersdorf: Kein Stimmbezirk in München ist derart vielschichtig und unterschiedlich in der Zusammensetzung der Wähler wie der 107er. Das gibt den Kandidaten Gelegenheit, sich auf ihre Klientel zu konzentrieren. Nun ist beispielsweise der SPD-Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende im Landtag Markus Rinderspacher zwar auch Mitglied im Burschenverein "Die G'mütlichen Perlach", aber allzu viele Kreuzchen sind für ihn dort nicht zu holen.

Deswegen trifft man ihn zum Beispiel eher am Hanns-Seidel-Platz in Neuperlach an, am samstäglichen Infostand vor dem Einkaufszentrum Pep zum Beispiel. Der ist erfreulich gut besucht, sagt der Kandidat, "und wir werden nicht beschimpft!" Der Laie mag das eher als zweifelhaften Erfolg werten, aber es stimmt natürlich: Die SPD hat grade keinen guten Lauf, und viele Wähler wollen ihren Frust irgendwo loswerden. Da bietet sich der Infostand an.

Grünen-Kandidatin Sanne Kurz am Riemer See, Südseite

Stimmen sammeln am Badesee: Sanne Kurz lädt unter anderem zum "Green Dinner" an den Riemer See oder an diesem Samstag zur Kino-Radlnacht.

(Foto: Florian Peljak)

Am Donnerstagnachmittag trifft man Rinderspacher zusammen mit der Bezirkstagskandidatin Marina Achhammer beim Klinkenputzen in der Messestadt Riem, im Galeriahaus an der Lehrer-Wirth-Straße mit seinen 170 Wohnungen. "Hier im Viertel hatte ich bei der letzten Wahl an die 50 Prozent Zustimmung", erzählt er. Die möchte er behalten, auch wenn er mit dem zweiten Platz auf der Oberbayernliste gut abgesichert ist. Aber die Umfragen sind nicht gut, aus Berlin gibt es auch wenig Rückenwind, gerade eben verzweifelt die Bayern-SPD an Horst Seehofers Entscheidung, den ungeliebten Verfassungsschutzpräsidenten zu befördern. Aber Rinderspacher hat Glück: In Riem ist das kein Thema, die Menschen haben andere Sorgen. Die kriegt er bei seinen Bürgersprechstunden immer wieder mit. "Der fehlende Lebensmitteldiscounter", sagt er, "der normale Supermarkt ist den Menschen hier oft zu teuer. Dann, dass es hier keinen Kinderarzt in der Nähe gibt. Da kann man als Abgeordneter allerdings auch wenig machen."

Der Haustürwahlkampf ist trotzdem wichtig. "Das lässt sich statistisch belegen. Dort, wo wir das gemacht haben, haben sich die Ergebnisse jedes Mal merklich verbessert." Tatsächlich sind die meisten Menschen, bei denen Rinderspacher klingelt, angenehm überrascht, dass ihr Abgeordneter persönlich vorbeischaut. Viele bedanken sich für die Erinnerung an den Wahltag. Manche diskutieren auch. Eine junge Frau sagt, sie sei schon immer zum Wählen gegangen, "aber es ändert sich ja nichts". Das liege daran, sagen Rinderspacher und Achhammer, dass die CSU halt in Bayern allein regieren konnte. "Diesmal", sagt der Kandidat, "ändert sich aber wirklich was."

Erklärung

München hatte bei der Landtagswahl 2013 noch einen Stimmkreis weniger. Das Statistische Landesamt hat berechnet, wie das damalige Ergebnis (oben) mit dem neuen Zuschnitt (unten) ausgesehen hätte.

Sieht schwer danach aus. Allerdings scheint die SPD davon gar nicht zu profitieren. "Ich höre von den Leuten ganz oft", sagt Susanne - Sanne - Kurz, "sie hätten immer CSU gewählt, aber diesmal wählten sie die Grünen." In diesem Fall also Sanne Kurz. Die Filmemacherin ist erst vor eineinhalb Jahren bei den Grünen eingetreten. Da kam vieles zusammen, die Hetze gegen Flüchtlinge, die Wahl von Donald Trump, die Lage auf dem Mietmarkt in München. Seither hängt sie sich mächtig rein und arbeitet ein großes Wahlkampfpensum ab.

Haustürwahlkampf mit Markus Rinderspacher in Riem.

Stimmen sammeln auf der Straße: Markus Rinderspacher verteilt in der Messestadt Flyer und Traubenzuckerl an potenzielle Wähler und Wählerinnen.

(Foto: Florian Peljak)

Am zweiten Septembersonntag lädt sie zum "Green Dinner" an die Südseite des Riemer Sees. Die Grünen haben Kuchen gebacken, es gibt Brote mit Aufstrich und Saft. Der Gesprächsbedarf ist groß, und Kurz erfüllt ihn gerne und mit großem Elan. "Es gibt die unterschiedlichsten Probleme in diesem Wahlkreis", sagt sie, "von der Bezirkssportanlage in Trudering bis hin zur Wohnungsnot in Riem. Hier gibt es Familien, die leben zu fünft in einer Zweizimmerwohnung und wurden schon sechsmal bei der Sozialwohnungsvergabe abgelehnt." Mit den Problemen der Familien kennt sie sich aus, Sanne Kurz hat selbst vier Kinder. Ihr gehe es gut, sagt sie, aber sie habe im Wahlkampf sehr prekäre Verhältnisse, etwa in Ramersdorf, kennengelernt. "Da brauche ich nicht mit der Ansage kommen: Ich will hier die Kröten schützen."

Das ist schon eher was für die Villen in Waldtrudering. Dort achtet man auf seine Kröten, auch wenn die von anderer Art sind. Und hat, wenn man Kurz glauben darf, immer weniger das Gefühl, dass die Grünen einem diese Kröten wegnehmen wollen und sie nur mit der CSU sicher sind.

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