Eingestürztes Abbruchhaus:"Gefahr für Leib und Leben"

Eingestürztes Abbruchhaus: Die Stelle, an der am Montag noch Trümmer vom Baugerüst quer über Fuß- und Radweg bis auf die Ständlerstraße lagen, ist jetzt wieder passierbar.

Die Stelle, an der am Montag noch Trümmer vom Baugerüst quer über Fuß- und Radweg bis auf die Ständlerstraße lagen, ist jetzt wieder passierbar.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nach dem Einsturz eines Abbruchhauses an der Ständlerstraße in Ramersdorf wird klar, dass eine Anwohnerin die Behörden auf die Gefahr aufmerksam gemacht hatte. Hat die Verwaltung nicht schnell genug reagiert?

Von Hubert Grundner

Als Birgit Baumeister an der Baustelle in ihrer Nachbarschaft vorbeiradelt, beschleicht sie gleich ein schlechtes Gefühl: Das Abbruchhaus an der Ständlerstraße 43 ist nur mit einer Plane gesichert, direkt daneben verläuft jedoch der Fuß- und Radweg, auf dem viele Kinder täglich zur Schule unterwegs sind. Deshalb, vielleicht auch wegen der heftigen Gewitter und Sturmböen der vergangenen Tage, erscheint ihr das Unfallrisiko an der Stelle ziemlich groß. Als pflichtbewusste Bürgerin ruft Birgit Baumeister daraufhin am vergangenen Freitag im Planungsreferat an, um darüber zu informieren, "dass ich Gefahr für Leib und Leben sehe", wie sie erzählt, da die Baustelle eben unzulänglich gesichert sei.

Die Frage, ob die Verwaltung beziehungsweise die Polizei auf ihre Warnung reagiert und entsprechende Vorkehrungen eingeleitet hat, kann Birgit Baumeister nicht beantworten. Was sie, sowie ganz München, inzwischen aber mit Sicherheit weiß: Drei Tage später, am Montagnachmittag, ist das Abbruchhaus samt dem mehrstöckigen Gerüst gegen 13.20 Uhr zusammengekracht. Verantwortlich dafür waren womöglich mehrere Baggerfahrer, die in dem Gebäude ihre Arbeit verrichteten, als es plötzlich auf ganzer Länge von 20 Metern in sich zusammenfiel.

Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt, was aber vielleicht nur dem Zufall geschuldet war. Denn Trümmer des Gerüsts lagen nach dem Einsturz entlang der Hausfront quer über Fuß- und Radweg bis auf die Ständlerstraße. Diese musste deshalb von der Feuerwehr bis zum ordnungsgemäßen Ende der Abrissarbeiten gesperrt werden. Zur genauen Ursache des Einsturzes, bei dem auch das Nachbargebäude beschädigt wurde, ermittelt nun die Polizei.

Dabei passt der aktuelle Unfall aus Sicht vieler Nachbarn im Grunde recht gut zu dem Verdruss, den ihnen das Anwesen Ständlerstraße 43 schon seit Längerem bereitet: Unter dieser Adresse errichtet ein Investor ein sogenanntes Flexi-Heim für rund 100 wohnungslose Menschen. Mit dessen Bau soll jetzt nach dem Abriss des alten Bestandsgebäudes begonnen werden. Sobald dann das Flexi-Heim steht, möchte der Eigentümer das Haus langfristig an die Stadt München beziehungsweise einen noch auszuwählenden Träger der freien Wohlfahrtspflege vermieten.

Dabei richtete sich der Widerspruch der Nachbarn nie gegen die künftigen Bewohner des Flexi-Heims. Sie machten aber darauf aufmerksam, dass nach dessen Realisierung in dem kleinen Quartier, das von Bahngleisen, Chiemgau-, Balan- und Ständlerstraße umschlossen wird, vermutlich die stadtweit höchste Konzentration von Transferleistungsbeziehern zu erleben sein werde.

Denn an der Aschauer Straße 34 liegt bereits eine Unterkunft für rund 150 Geflüchtete und an der Chiemgaustraße 120 ein Wohnheim der katholischen Männerfürsorge für 68 Bewohner. Eine dritte Einrichtung - alle in geringer Distanz voneinander entfernt - für weitere circa 100 hilfsbedürftige Menschen wäre sozialräumlich nicht mehr verkraftbar, monierte beispielsweise eine Bürgerinitiative. Insbesondere ein Umstand erschwert das friedliche Miteinander in diesem westlichsten Teil von Ramersdorf: Es gibt in Form des Spielplatzes in der Mitte der Paulsdorfferstraße nur eine einzige öffentlich zugängliche Freifläche im Quartier.

"Ich bin bodenlos enttäuscht von der Rücksichtslosigkeit städtischer Planung"

Dafür sichern in der Nähe gleich zwei große Supermärkte und ein Getränkemarkt den Nachschub an Alkoholika - wobei sich die Kunden zum Trinken dann gerne auf den Bänken des Spielplatzes niederlassen. Alles in allem ergab das schon öfter ein unschönes Bild: mit Betrunkenen, leeren und zerbrochenen Flaschen, Kippen und Urin auf der einen Seite sowie verärgerten und/oder verängstigten Eltern und Kindern auf der anderen Seite.

Trotzdem lehnten die Anwohner das Flexi-Heim nicht rundweg ab. Nur verlangten sie von der Stadt, dass diese, wenn sie schon an der Einrichtung festhalte, dann auch zusätzlich begrünte öffentliche Freiflächen schaffen möge. Darauf hätten nicht zuletzt auch die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner des Flexi-Heims ein Anrecht. Doch das ist bis heute nicht geschehen. Stattdessen scheint die Stadt aber den Wünschen des Investors umso großzügiger entgegengekommen zu sein. Das ist zumindest der Eindruck bei vielen Anwohnern. Sie kritisieren, dass die Stadt eine Blockrandbebauung genehmigt hat. Während in anderen Fällen auf diese Weise dahinter liegende Wohngebäude vom Verkehrslärm abgeschirmt werden sollen, finden sich hinter der Ständlerstraße 43 nur Gewerbebauten und viele Parkplätze.

Außerdem darf an Stelle des abgerissenen alten viergeschossigen Bestandsbaus nun ein sechsgeschossiges Gebäude errichtet werden. Wobei der Investor auf eine Tiefgarage verzichten kann, da bei einem Heim für Wohnungslose der sonst obligatorische Stellplatzschlüssel nicht angewendet wird.

Aber die Stadt ist dem Investor auch in der Horizontalen entgegengekommen: Der darf nämlich das Flexi-Heim fast bis zur Grenze des Grundstücks bauen, das sich westlich anschließt. Zu dem Zweck wurde nur wenige Tage vor dem Einsturz des Bestandsgebäudes eine prächtige, geschätzt rund 100 Jahre alte Hänge-Rotbuche gefällt. Die stand nach Auskunft des Kommunalreferats genau auf der Grenze zwischen den beiden Grundstücken. Den Fällantrag habe der Eigentümer des privaten Grundstücks, also des Anwesens Ständlerstraße 43, gestellt.

Ein nicht unwichtiges Detail, weil das Nachbargrundstück, das sich bis zur Einmündung der Paulsdorfferstraße erstreckt, der Stadt selbst gehört, die die Fällung dann genehmigte. Aus dem dabei verfolgten Ziel macht das Kommunalreferat auch kein Geheimnis: "Ja. Ohne die Baumfällung wäre der Bau des Flexiwohnheims, das die Stadt München anmieten will, nicht in der Größe möglich gewesen." Die Frage, wer mit der Fällung beauftragt war, beantwortete das Referat hingegen nicht, weil, wie es dazu hieß, die Stadt "keine Auskunft zu den Verträgen Dritter" erteile. Dabei wäre das dafür notwendige Know-how in nächster Nähe zu finden gewesen: Das Nachbargrundstück wird vom städtischen Gartenbau genutzt.

Um ihrem Ärger über die Fällung der Rotbuche etwas Luft zu verschaffen, hat Birgit Baumeister an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) geschrieben: "Ich bin bodenlos enttäuscht von der Rücksichtslosigkeit städtischer Planung. Ich kämpfe ernsthaft damit, wie ich meinen drei Kindern das erklären soll. Können Sie es?"

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