Ramadan in München:Wenn ein Imam, ein Pfarrer und ein Rabbi zusammensitzen

Lesezeit: 3 min

Fastenbrechen bei Sonnenuntergang in "Mama's Küche" in der Hotterstraße. (Foto: Stephan Rumpf)

Nach zwei Jahren Pandemie können Gläubige den Ramadan wieder annähernd so feiern, wie er gedacht ist: in der Gemeinschaft. Ein Besuch in "Mama's Küche", wo nicht nur Moslems zusammen das Fasten brechen.

Von Andrea Schlaier

Die Szene erinnert an die Reise nach Jerusalem: Alle verharren in ihrer Position und warten auf das Signal, damit sie endlich weitermachen können. In Ahmet Malaks Laden muss man sagen: dass es überhaupt erst losgeht. Schlag 20.09 Uhr, 20.10 Uhr, 20.11 Uhr, 20.13 Uhr - jeden Tag eine oder mehrere Minuten später. Denn exakt in dem Moment, in dem laut Kalender die Sonne untergeht, beginnt auch hier, im Restaurant "Mama's Küche" in der Hotterstraße, das allabendliche Fastenbrechen.

Sobald der Gebetsruf "Ezan" verklungen ist, kommt Bewegung in die Gästereihen. Die Leute greifen, so wie der Prophet Mohammed es geboten hat, als erstes zur Dattel, dem Symbol der Reinigung. "Als nächstes gibt's bei uns immer Suppe, die wir schon vorher an jeden Platz gestellt haben, damit alle gleichzeitig anfangen können." Mit einem großen Lächeln erzählt der 35-jährige Hausherr von dieser spirituellen Choreographie.

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Iftar, das Fastenbrechen im Ramadan, ist ein Fest der Gemeinschaft. Familie, Freunde, Kollegen, Nachbarn - alle sollen zusammenkommen und die Entbehrungen des Tages, an dem sie weder gegessen noch getrunken haben, gemeinsam beenden. "Die letzten zwei Jahre waren total schrecklich", sagt Malak, Sohn türkischer Eltern, "man konnte wegen der Pandemie nicht beieinander sein, ich habe den Ramadan gar nicht gefühlt." Seitdem der Fastenmonat in diesem Jahr am Abend des 2. April begonnen hat, "ist bei uns jeden Tag voll". Und noch mehr los als vor Corona. "Man merkt, dass sich die Leute total darauf gefreut haben."

Der Chef Ahmet Malak in seiner Küche. (Foto: Stephan Rumpf)

"Nach diesen zwei Jahren, in denen uns im Ramadan die Moschee, die Gemeinschaft gefehlt haben, merken wir, wie groß die Sehnsucht der Gläubigen nach dieser Spiritualität war, in dieser Zeit, in der wir sowohl die Nähe zu Gott als auch zu unseren Mitmenschen suchen", sagt Imam Belmin Mehic. Er ist im Vorstand des Münchner Forum für Islam (MFI), das seine Räume über "Mama's Küche" hat. "Es war eine Zeit, in der wir unsere Häuser in einen Gebetsort umgewandelt und in dem die Gottesdienste innerhalb des Familienkreises stattgefunden haben." Eine Herausforderung für die Gläubigen wie für die Moscheegemeinden. "Imame mussten neue Wege suchen, um mit der Gemeinde Kontakt zu pflegen, das hat zum Umstieg auf Online-Angebote geführt." Aber auch zu leeren Gebetsräumen - und damit zu leeren Spendenboxen.

Für einzelne Gemeinden, sagt Mehic, war die Situation sehr problematisch: "Die meisten sind auf Spenden angewiesen, deren Ausbleiben war für sie eine finanzielle Last." Ein Münchner Haus habe deshalb zumachen müssen. Die Mitglieder seien nicht mehr in der Lage gewesen, die Miete zu zahlen. "Andere haben es Gott sei Dank durch diese Zeit geschafft, sie sind auf Online-Spenden umgestiegen oder die Mitglieder zahlten monatlich einen Beitrag."

Imam Belmin Mehic ist im Vorstand des Münchner Forum für Islam (MFI). (Foto: privat)

Auch für Malak war die Zeit als Gastronom hart. "Wir liefern aber auch Essen aus, das haben viele angenommen." Quitten-Eintopf, Auberginen-Pürree, Okraschoten-Eintopf, gefüllte Paprika, Linsensuppe - das ganze Angebot an orientalisch-anatolischer Hausmannskost holten sich viele von der Theke im Hinterhofladen auch selbst ab. Die Limonade aus Hibiskus, Zimt, Löwenzahn und Apfel, die Malaks Schwägerin "Mama" Seher wie alles andere selbst zubereitet, kann man sich aus dem Automaten neben der Eingangstür zapfen.

Die ganzen Herausforderungen im Ramadan, sagt Imam Mehic, hätten aber auch Positives mit sich gebracht. "Man hatte mehr Zeit für sich, die eigene Familie, man konnte diese Spiritualität auf persönliche Weise erleben und sich innerhalb des Familienkreises zum Beispiel über den Koran austauschen und gemeinsam das Essen vorbereiten." Es habe Menschen gegeben, die diese persönliche Dimension der Spiritualität genossen hätten, "weil darin eine besondere Ehrlichkeit steckt". Und schließlich sei Ramadan ja auch eine Zeit der Selbstreflexion, der Selbsterziehung.

Der Beginn des islamischen Fastenmonats ist in diesem Jahr zusammengefallen mit dem Beginn der Corona-Lockerungen. Das Leben in den Moscheen erwacht wieder. Abendliche Gemeinschaftsgebete, Korankreise, Fastenbrechen besonders für Frauen - Mehics Liste ist lang. Der Höhepunkt im Ramadan, der am Abend des 2. Mai zu Ende geht, ist die Nacht der Bestimmung, die in diesem Jahr auf den 27. April fällt. Sie gilt im Islam als heiligste aller Nächte, weil in ihr Gott dem Propheten Mohammed erstmals Teile des Koran offenbart haben soll.

Ahmet Malak freut sich erst mal auf den nächsten Abend. "Das Publikum ist immer voll gemischt. Einmal sind ein Pfarrer, ein Imam und ein Rabbi beieinander gesessen, das fand ich echt super!" Weil das "Zusammenbringen" so etwas wie eine Mission für den 35-Jährigen ist, will er das nun auch beim nächsten Iftar versuchen. "Gestern sah ich drei Tische mit einzelnen Personen, das fand ich schade. Deshalb will ich jetzt einen gemeinsamen Tisch für sie als Option machen. Wir wollen einfach, dass die Leute mehr reden und Ramadan fühlen."

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