Rückzug des Münchner Veranstalters Ralf Gabriel:Meister der langen Nächte

Rückzug des Münchner Veranstalters Ralf Gabriel: Musik, Party, Begegnung: So wie auf diesem Bild, 2016 im Hotel Aloft, soll sich die Lange Nacht der Musik anfühlen, findet Veranstalter Gabriel.

Musik, Party, Begegnung: So wie auf diesem Bild, 2016 im Hotel Aloft, soll sich die Lange Nacht der Musik anfühlen, findet Veranstalter Gabriel.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit mehr als 20 Jahren ermöglicht Ralf Gabriel riesige Museums- und Musik-Sausen in München und Nürnberg. Nun verabschiedet er sich krankheitsbedingt - doch Ideen für die Zukunft hat er noch immer.

Von Michael Zirnstein

Ralf Gabriel ist Rekordhalter der Langen Nächte. Niemand hat mehr einzelne Veranstaltungen erlebt bei diesen Mehrweg-Ereignissen als er, der sie mit seinen Agenturen Münchner Kultur und in Nürnberg Kulturidee veranstaltet. Bevor es losging, tüftelte er Besuchsprotokolle, Routen und Parkmöglichkeiten aus. Das Shuttle-Bus-Netz, der Blutkreislauf des Lange-Nacht-Systems, wäre dafür zu langsam gewesen. Also setzte er sich in seinen Pkw und brauste von Museum zu Museum, von Bühne zu Bühne oder von Audi-Max zu Labor, stieg aus, sagte Hallo, schüttelte Hände oder schaute einfach staunend zu, dann eilte er weiter. In manchen Langen Nächten der vergangenen 21 Jahre schaffte Ralf Gabriel 40 Stationen.

In diesem Museums-, Musik- oder Forschungsmarathon ist Gabriel das Herz. Und das Hirn natürlich. Er hält alles zusammen, schiebt an, gibt Impulse, verbindet, entscheidet, schaut nach dem Rechten, blickt voraus. Er selbst hat dafür einen technischeren Begriff: "Ich bin der Transmissionsriemen." Nun weiß jeder, der ein Auto besitzt, dass ohne Transmissionsriemen alles brummt, aber gar nichts läuft. Wie also geht es weiter mit den Langen Nächten, denn in seinen Neujahrsgrüßen hat der 58-Jährige seinen Abschied verkündet: "Ich werde mich nach über 20 Jahren als aktiver Geschäftsführer zurückziehen."

Ralf Gabriel

Ralf Gabriel, 58, hatte seinen ersten Job beim Nürnberger Stadtmagazin "Plärrer".

(Foto: Privat)

Die Corona-Pandemie hat auch die Münchner Kultur GmbH 2020 lahmgelegt, nachdem man im März gerade noch den 4. Münchner Stiftungstag durchziehen konnte. "Unsere großen Kulturveranstaltungen ,Die Lange Nacht der Musik' und ,Die Lange Nacht der Münchner Museen' konnten nicht stattfinden", bedauert Gabriel, sein Restaurantmagazin DelikatEssen kam erst verspätet im Dezember heraus.

Das Jahr 2020 empfanden viele als Katastrophe, dabei vergisst man leicht, dass andere noch viel schlimmere Einschläge verkraften mussten. Wie Ralf Gabriel. Im Februar stürzte er sich als Vorstandsmitglied des Verbands der Münchner Kulturveranstalter noch voller Elan in eine Podiumsdiskussion mit den OB-Kandidaten im Utopia, dann merkte er, dass ihm alles wehtat. Er, "ein Mann wie ein Baum", wie eine Mitarbeiterin sagt, "aktiv wie der Duracell-Hase", wie er selbst sagt, war von allen Kräften verlassen. Die Ärzte attestieren: Blutkrebs. Strapaziöse OPs und Behandlungen drängten ihn zur Entscheidung: "Ich muss überprüfen, ob ich weiter was bewegen will oder mehr auf mich schauen will. Puh."

Ralf Gabriel hat viel bewegt, ein zweistündiges Telefonat aus seinem Hauptwohnsitz und Genesungsort Schwabach reicht dafür nicht aus. Er war nie selbst Künstler, sondern hatte BWL studiert. So heuerte er 1981 als Praktikant beim linken Stadtmagazin Plärrer in Nürnberg an. Das Blatt berichtete gerade über Massenverhaftungen in der fränkischen Hausbesetzerszene, es kam zu Beschlagnahmungen und auf der Gegenseite zu Solidaritätskonzerten mit Konstantin Wecker etwa und 20 000 Besuchern. "Es war chaotisch, ich konnte mich da gleich einbringen, bis hin zum Besorgen von Toilettenpapier" - die erste Bewährungsprobe für Praktikant Ralf, der erste Kontakt zu Kultur-Events und gleich ein Massenauflauf.

Im "Dreigroschenkeller"

So fesch sah das Ganze im Jahr 2000 aus: Party im "Dreigroschenkeller" während der "Langen Nacht der Musik" in München.

(Foto: Catherina Hess)

Im Jahr drauf führte er die Geschäfte des Plärrer. Gabriel engagierte sich bei den bundesweit eng vernetzten Cityjournalen und wurde von den Kollegen gebeten, in München eins als Gegengewicht zur Marktmacht der Prinz-Kette aufzubauen: Für einen Pleite-Euro übernahm er das Münchner Stadtmagazin (später Go). Er pendelte jahrelang. "Ich bewege mich in beiden Welten und kenne sie ganz gut: Die Münchner kommen nicht in den Norden, den Nürnbergern erscheinen die Münchner arrogant." Noch etwas fiel ihm in den Neunzigern auf: der steigende Druck durch Privatradios und Internet. "Ein Stadtmagazin allein kann keine Zukunft haben."

Stets im Bild über das Kulturleben anderer Städte, wusste er von einer allerersten Langen Nacht der Museen in Berlin. Die Idee faszinierte ihn: Sonst gehen eher Touristen in Museen, weil sie Zeit haben, wenn aber die Einheimischen entspannt sind, am Samstagabend, sind die Museen zu. So wollte er 1999 zum zehnten Geburtstag des Münchner anstatt einer Party so eine Museumssause steigen lassen. Im März ging er - als Mitgründer der Grünen und Stadtrat in Schwabach im Umgang mit Politik und Verwaltung ausgefuchst - zu OB Christian Ude. Froh, dass Gabriel gar kein Geld wollte, gab der sein Okay und gute Kontakte zum Nahverkehr, und wunderte sich, wie Gabriel das binnen sechs Monaten stemmen wollte. "Vertrauen sie uns, wir bringen alle zusammen", antwortete der.

Das ist seine Stärke: das charmante Umgarnen von Partnern, das Überzeugen mit Argumenten, das Begeistern - immer auch über die eigenen Belange hinaus, sei es im VdMK oder beim "Faust"-Festival. Er werde ihnen neue Besucher bringen, die vielleicht keine Dauergäste werden würden, aber sie erzählten von ihrem Erlebnis im Museum, und dieser Rückhalt ist entscheidend, findet Gabriel: "Das ist ein unheimliches Geld, das die Gesellschaft dafür einsetzt, dann muss die Gesellschaft dazu stehen." Und dafür verlangte Gabriel nur: "Ihr müsst sieben Stunden länger öffnen, sonst braucht ihr nichts zu machen; ich will kein Halligalli, es soll um die Exponate gehen." Zwar sorgten sich die Direktoren anfangs genau um diese, ihre Schätze, aber sie zogen mit, und - was eine Sensation war für die städtischen und staatlichen Museen Münchens - sie zogen an einem Strang (meistens). Die erste Lange Nacht, "aus der Hüfte geschossen", "ein fast sommerlicher Novemberabend, am Morgen schneite es", wurde überrannt von 50 000 Neugierigen. Und alles blieb heil.

Das war die Basis für weitere "Events" - ein Wort, das Gabriel nicht mag: Gleich im nächsten Mai die 1. Lange Nacht der Musik. In mehr als 100 Klubs, Theatern, Kirchen und Sälen laufen da längst jährlich 400 Konzerte - für den Sammelpreis von nun 18 Euro, noch immer "viel Kunst für wenig Geld". Gabriel - der selbst eine Bürgerstiftung in Schwabach mitgegründet hat - erfand auch den Stiftungsfrühling, bei dem er wohltätige Organisationen und Spendungswillige zusammenbringt, weil er findet: "Wir haben eine verdammt reiche Gesellschaft, vielen Privatleuten geht es gut, man muss nicht alles weitervererben, man muss nicht alles dem Staat zahlen."

Lange Nacht der Museen in München, 2019

Bei der "Langen Nacht der Museen" in München 2019 fährt eine alte Museumstram die Besucher durch die Stadt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf der anderen Seite freute sich Staatsminister Hans Zehetmair nahezu, als er Gabriel 2003 zumindest ein bisschen Geld geben konnte für dessen neues großes Ding in Nürnberg, Erlangen und Fürth. Die Lange Nacht der Wissenschaften war schon vor der Premiere das große Gesprächsthema in der Region, so wie vom Initiator erhofft. Und sie geriet zum Volksauflauf, bei dem die 30000 Besucher, 20000 mehr als erwartet, Hörsäle belagerten oder in Labors von Siemens, MAN oder Bosch selbst DNA extrahierten oder anderweitig experimentierten. Die Veranstaltung ist ebenso etabliert wie andere, weil die Firmen aber kaum auf Besucher ausgerichtet sind, sei der Aufwand größer. Für die nächste, auf März 2022 verlegte Runde, müsse man dieser Tage Finanz-Gespräche führen, sagt Gabriel. Zuletzt steuert der Freistaat zum 600 000 Euro teuren Public-Private-Partnership-Projekt 60 000 Euro bei. "Ich bin gespannt, wie der Staat jetzt damit umgeht", sagt Gabriel, "Wissenschaft ist die Zukunft. Wir geben in der Corona-Krise Milliarden aus, damit die Leute ruhiggestellt sind, wir brauchen aber ein Schwungrad, damit alles wieder ins Laufen kommt."

Er befürchtet aber, dass die Pandemie für Kürzungen bei den Langen Nächten sorgt. Auch, dass die Menschen noch die Massen meiden und zu Hause bleiben. Die Musiknacht am 8. Mai wackelt jedenfalls, "dabei wäre gerade das ein Auftakt für ein normales Leben", finde Gabriel. Vielleicht könne man die Museumsnacht im Oktober zur Museumswoche ausdehnen, mit kleinen Folgeaktionen wie Depot-Führungen? Der Überschuss aus Eintritts- und Sponsorengeldern, den sich die Agentur mit den Museen normalerweise teilt, wird wohl zwei Jahre ausbleiben. Gabriel hatte viele Ideen dafür: gemeinsame Museumszeitung, -werbung, -tickets oder -Apps für München. "Sie merken, mir fällt noch viel ein, aber ich muss mich bremsen." Darum wird sich nun die "nächste Generation" kümmern müssen, David Boppert bei der Münchner Kultur und Verena Thiel speziell bei der Langen Musiknacht, Nadine Ballenberger und Anna Gerkens bei Kulturidee. Ralf Gabriel bleibt Gesellschafter, und er wird "so lange es geht Ideen von außen" reinbringen. "Ich glaube nicht, dass ich der Typ zum Däumchendrehen bin. Mir geht es darum, etwas Gutes zu den Menschen zu bringen."

Zur SZ-Startseite

Buchvorstellung
:Im Auf und Ab der Jahrhunderte

Der Historiker Reinhard Bauer hat ein reich bebildertes Stadtporträt über "Münchens Bauten und Architektur im Wandel der Zeit" vorgelegt. Nicht unähnlich einem Reiseführer geht das Werk auch auf bekannte und unbekannte Projekte der jüngsten Vergangenheit ein.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: