Verkehrspolitik:Die Schattenseite des Booms

Mal schnell mit dem Rad in die Innenstadt? Das ist mittlerweile schwierig geworden, weil Stellplätze fehlen. Ein Gutachten soll nun den Bedarf für neue Parkanlagen klären.

Von Andreas Schubert

Die Fahrradbranche boomt. Wegen der Corona-Krise weichen noch mehr Menschen aufs Rad aus, entsprechend voll sind die Radwege der Stadt zu den Hauptverkehrszeiten. So eng es auf den beliebten Routen teilweise ist, so eng geht es auch an Münchens Radlständern zu. Und das, obwohl die Stadt beschlossen hat, jedes Jahr 1000 neue Abstellplätze zu schaffen, an denen man sein Rad ordentlich anketten kann.

Denn der Trend geht eindeutig hin zu den hochwertigen Rädern. Preise von 1000 Euro oder mehr sind längst keine Seltenheit mehr. Wer so ein teures Gefährt besitzt, mag es auch nicht einfach irgendwo an der Straßenecke abstellen. Aber gerade am Wochenende ist es in der Innenstadt nahezu unmöglich, einen ordentlichen Abstellplatz zu finden - man kurvt beinahe so lange herum wie ein Autofahrer auf Parkplatzsuche. Die neuen Ständer am Rindermarkt: voll. Die Stellplätze im Tal, am Isartorplatz oder am Marienhof: voll. Und wer meint, er oder sie könne einen der 70 überdachten, unter der Woche derzeit nur spärlich genutzten Stellplätze im Wirtschaftshof des Rathauses nutzen, wird schnell vom Pförtner vertrieben. "Nur für Rathausmitarbeiter" bekommt man dann zu hören.

Florian Paul, der Fahrradbeauftragte der Stadt, kennt die Schattenseiten des Radlbooms. "Der Handlungsdruck wird größer", sagt er. Zwar werden die 1000 neuen Abstellplätze pro Jahr laut Paul schwerpunktmäßig an Verkehrsknotenpunkten wie U-Bahnhöfen sowie im Zentrum geschaffen. Gleichzeitig werden alte Radlständer, die sogenannten Felgenkiller, nach und nach durch die neuen Bögen zum Anketten ersetzt. Aber auch Paul ist klar, dass die Plätze oftmals nicht ausreichen.

Platz in bestehenden Autoparkhäusern zu schaffen, indem man Flächen für Räder reserviert, hält er aber für "schwierig", vor allem dann, wenn es nur eine gemeinsame Ein- und Ausfahrt für Autos und Räder gibt. Könnte man dann nicht ein reines zentrumsnahes Parkhaus für Räder schaffen, wie es etwa die niederländische Stadt Utrecht getan hat? Diese Idee wurde vor einiger Zeit bereits im Stadtrat vorgestellt. Aber nach Pauls Einschätzung würde so ein Parkhaus überwiegend von Pendlern genutzt, nicht aber von Kurzzeitparkern, die mit dem Rad nur schnell zum Einkaufen in die City fahren. Wie auch Autofahrer wollten Radler so nahe an ihr Ziel heranfahren, wie es geht. Dennoch lässt die Stadt gerade ein Gutachten zum Thema Radstellplätze in der Stadt erstellen. Vorgestellt werden soll es im Herbst dieses Jahres.

Der Handlungsbedarf besteht freilich nicht erst seit diesem Jahr. So hat das Bündnis Radentscheid, dessen Ziele der Stadtrat im vergangenen Jahr übernommen hat, nicht nur breitere und sichere Radwege in der ganzen Stadt gefordert, sondern auch eine adäquate Anzahl ordentlicher und sicherer Abstellanlagen. Aktuell gibt es in der ganzen Stadt rund 39 000 städtische Abstellflächen für Räder, im Zentrum sind es laut Paul rund 3400. Neue überdachte Stellplätze wie am Marienhof zu bauen, sei indes aus Gründen der Stadtgestaltung in der Innenstadt schwierig.

Doch nicht nur innerhalb des Altstadtrings sind die offiziellen Abstellplätze regelmäßig überfüllt. So reichen die mehr als 2200 Plätze am Bahnhof Pasing bei schönem Wetter meist nicht aus. Und wer sein Rad am Hauptbahnhof verkehrs- und diebstahlsicher abstellen will, hat wegen der Baustelle verloren. Nur noch 122 feste Stellplätze sind dort noch verblieben, dabei hat die Stadt bei einer Zählung vor sechs Jahren knapp 1800 Räder erfasst. Rund um den Hauptbahnhof kommt noch dazu, dass an den U-Bahn-Abgängen immer wieder Räder angekettet sind, die als sogenannte Schrotträder gelten. Diese werden von der Park-and-Ride GmbH zwar regelmäßig entfernt und sogar noch häufiger als früher, was die Lage etwas entspannt hat. Doch die Schrotträder sind ein altes Ärgernis, dessen die Stadt kaum Herr wird.

Weil es immer mehr Radler werden - 18 Prozent aller Wege werden in München mit dem Rad zurückgelegt - wird der Stadt wohl nichts anderes übrig bleiben als an der Oberfläche neue Parkmöglichkeiten zu schaffen und dafür weitere Autostellplätze zu streichen. Auf die von einem Auto benötigte Fläche passen laut Radexperte Paul acht Räder.

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