Slow-Bike-Bewegung:Rasend radeln verdirbt den Charakter

Slow-Bike-Bewegung: Immer schön langsam - wie hier am Kleinhesseloher See im Englischen Garten.

Immer schön langsam - wie hier am Kleinhesseloher See im Englischen Garten.

(Foto: Robert Haas)

Regelmäßiges Fahrradfahren verlängert das Leben um viele Kilometer. Dabei sollte man sich aber bloß nicht hetzen.

Glosse von Wolfgang Görl

Radfahren ist eine Fortbewegungsart, die es dem Menschen ermöglicht, mit eigener Muskelkraft etwa von Obermenzing nach Untermenzing zu gelangen, ohne zu Fuß gehen zu müssen. Nebenher beschert es dem Radler glückliche Momente, etwa wenn er einen Stau erreicht und die darin eingeschlossenen Autofahrer mit einem fröhlichen Winken hinter sich lassen kann. Längst ist medizinisch erwiesen, dass regelmäßiges Radeln das Leben um viele Kilometer verlängert.

Nicht zuletzt deshalb fährt unsereins täglich Rad, von der Wohnung zum Bäcker, satte 400 Meter und dieselbe Strecke retour. Neulich sind wir sogar bis zu einer Bierwirtschaft an der östlichen Stadtgrenze gestrampelt, und eigentlich hatten wir erwartet, bei der Rückkehr mit Ovationen und Hoch-Rufen empfangen zu werden. Aber niemand war da, keiner der Nachbarn würdigte unsere Wahnsinnstour von sage und schreibe 25 Kilometern.

Noch befremdlicher war, dass unsere Freundinnen und Freunde den Bericht über die velocipede Energieleistung mit einer Miene quittierten, die irgendwo zwischen Mitleid und Hohn lag. Statt Bewunderung zu äußern, kamen sie sofort auf sich selbst zu sprechen - so ist das nun mal in diesen Zeiten der Ichlinge und Egomanen. Charlie zum Beispiel erwähnte in megafieser Beiläufigkeit, dass er jeden Abend nach der Arbeit von Pasing an den Tegernsee und zurück radle, bei schönem Wetter nehme er noch den Wallberg-Gipfel mit. Kerstin hat eine Radl-Safari in der südafrikanischen Savanne hinter sich, deren Höhepunkt ihr Sprintsieg über ein Nashorn war, das Radler noch mehr hasste als Krokodile und Autofahrer. Und Philipp trainiert am Gebsattelberg für eine Erstbefahrung der Eiger Nordwand mit dem Mountainbike. Schon wahr, dagegen fällt ein Radlausflug in einen Münchner Biergarten ein wenig ab, wenngleich der Aufstieg beim Friedensengel auch nicht ohne ist.

Es wäre längst an der Zeit, nach dem Vorbild der Slow-Food-Bewegung eine Slow-Bike-Bewegung zu gründen. Die Tempobolzerei der Münchner Radl-Community läuft dem auf Beschaulichkeit und Genuss beruhenden Wesen des Radfahrens zuwider. Dies ignorierend verfielen schon Ende des 19. Jahrhunderts einige Eventplaner dem Irrsinn, auf dem Oktoberfest ein Radrennen zu veranstalten. Das Rad mutierte zu einem Sportgerät, und so sieht es heute auch aus: Ein Hochleistungsmonster, aufgemotzt mit allen Errungenschaften der Beschleunigungstechnik, nicht selten mit einem Elektroantrieb, der gewissenlosen Radlern einen entscheidenden Vorteil im Radlkampf verschafft.

Das Beispiel zeigt, wie verderblich der Sportsgeist auf den menschlichen Charakter wirkt - gerade hier in der Landeshauptstadt. Der Münchner, ehedem ein gemütlicher Mensch mit knödelförmigem Körper, will plötzlich so fit aussehen wie ein Seitenbacher-Müsli. Zu diesem Zweck schindet er seinen Körper von morgens bis abends. Selbst das vornehm gemächliche Flanieren hat er unter der Losung "Nordic Walking" in einen Wasa-Lauf ohne Ski verwandelt. Mittlerweile gibt es nur noch ein Refugium der Ruhe, der Muße, der inneren Einkehr: den Stau. Ein sportferner Sehnsuchtsort, an dem keuchende Radler im Affenzahn vorbeihetzen.

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