Bilanz nach Corona-Demo:"Wir haben gut reagiert"

Bilanz nach Corona-Demo: Am Marienplatz versammelten sich am Mittwochabend Impfgegner. Die Polizei bildete Ketten, um die Demonstration einzukesseln.

Am Marienplatz versammelten sich am Mittwochabend Impfgegner. Die Polizei bildete Ketten, um die Demonstration einzukesseln.

(Foto: Stephan Rumpf)

Rund 3000 Demonstrierende gingen am Mittwoch gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße, doch die Polizei löste die unangemeldeten Proteste schnell auf. Ein mit einem Messer bewaffneter 44-Jähriger wurde dem Haftrichter vorgeführt.

Von Martin Bernstein, René Hofmann, Joachim Mölter, Thomas Schmidt, Yannik Schuster, Julia Schriever

1130 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Allgemeinverfügung der Stadt, rund 100 wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz, dazu 35 Strafanzeigen wegen Angriffs auf Polizisten, Beleidigungen, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und ähnlicher Delikte, eine Handvoll Verletzte sowie mehrere Festnahmen - das ist die Bilanz der Münchner Polizei nach den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen am Mittwochabend in der Innenstadt. "Wir sind zufrieden, dass es uns gelungen ist, größere Aufmärsche zu verhindern", resümierte Polizeisprecher Andreas Franken am Donnerstag: "Ich denke, wir haben gut reagiert."

Insgesamt waren rund 1000 Beamte im Einsatz, um die vermeintlich spontanen Versammlungen zu unterbinden, welche die Stadt München in den vergangenen Tagen aus Gründen des Infektionsschutzes per Allgemeinverfügung untersagt hatte. Angemeldete Kundgebungen waren davon ausdrücklich nicht betroffen, die durften und dürfen mit pandemiebedingten Auflagen ja stattfinden. Der Unterschied zwischen angemeldet und erlaubt auf der einen Seite sowie unangemeldet und verboten war vielen Teilnehmern der sogenannten Corona-Spaziergänge offensichtlich nicht klar, wie sich an der großen Zahl der Anzeigen ablesen lässt.

Durch massenhaftes Anstehen sollten Innenstadt-Geschäfte blockiert werden

"Kennt ihr diesen Witz? Was mach ich, wenn ich in der Stadt 'ne Schlange sehe? Hinten anstellen, vielleicht gibt's was Gutes." Mit Internet-Posts wie diesem hatten die Organisatoren der wöchentlichen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen versucht, ihre Anhänger zu nicht angemeldeten Versammlungen in München zu animieren - diesmal in Form eines Flashmobs: Durch massenhaftes Anstehen vor Geschäften in der Innenstadt sollten diese blockiert und die Polizisten an der Nase herumgeführt werden. Doch diese Taktik ging nicht auf.

Sobald sich am Mittwochabend kleinere Grüppchen bildeten, wurden diese von Polizisten angesprochen und mit Hinweis auf die Allgemeinverfügung gebeten, sich zu zerstreuen. Das Hauptproblem der Sicherheitskräfte war dabei, potenzielle Demonstranten von gewöhnlichen Passanten zu unterscheiden, die tatsächlich nur zum Einkaufen unterwegs waren. Die Zahl der Demonstrierwilligen schätzte die Polizei auf rund 3000 - deutlich weniger als noch vor einer Woche. "Wir haben festgestellt, dass die Mobilisierung abnimmt", sagte Polizeisprecher Franken.

Bilanz nach Corona-Demo: Eine größere Gruppe an Impfgegnern wurde auf dem Marienplatz eingekesselt und daran gehindert, in Richtung Stachus zu marschieren.

Eine größere Gruppe an Impfgegnern wurde auf dem Marienplatz eingekesselt und daran gehindert, in Richtung Stachus zu marschieren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Eine größere Gruppe gab sich kurz vor 19 Uhr auf dem Marienplatz durch Sprechchöre und Pfiffe zu erkennen - sie wurde durch eine Polizeikette bereits nach wenigen Metern daran gehindert, geschlossen in Richtung Stachus zu marschieren. Eine zunächst etwa 1500 Menschen zählende Menge wurde auf dem Marienplatz eingekesselt, die Polizei löste die Versammlung per Lautsprecher-Durchsage auf und forderte die Teilnehmer auf, sich einzeln in unterschiedlichen Richtungen zu entfernen, was etliche auch taten.

Von denen, die blieben, wurden anschließend die Personalien festgestellt. Einige der umstellten Demonstranten stimmten derweil das Lied "We're not gonna take it" der Rockgruppe Twisted Sister an, das durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu neuer Popularität gekommen ist; andere riefen "Diktatur" oder "Die Mauer muss weg!". Ein Versuch, die Polizeikette gewaltsam in Richtung Rosenstraße zu durchbrechen, wurde mit dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray verhindert. Dabei wurden drei Demonstranten und zwei Polizeibeamte leicht verletzt. Wegen des tätlichen Angriffs auf Sicherheitsbeamte wurden ein 42-Jähriger aus dem Landkreis und ein 23-Jähriger aus der Stadt vorläufig festgenommen. Ein besonders renitenter 44-Jähriger aus dem Oberallgäu, der zudem - wie einzelne andere Demo-Teilnehmer auch - ein Messer mit sich führte, wurde dem Haftrichter vorgeführt, der prüfte, ob genug Gründe für eine längere Inhaftierung vorlagen. Allein am Marienplatz wurden weit mehr als 700 Personen angezeigt; ihnen drohen nun Bußgelder in einer Höhe von bis zu 3000 Euro.

An der angemeldeten Kundgebung auf der Theresienwiese beteiligten sich bis zu 29 Personen

Zuvor hatte sich ein bereits aus den Vorwochen bekanntes Spiel wiederholt. Die Organisatoren hatten zunächst einen Demonstrationszug durch die Maxvorstadt angemeldet, ausgehend vom Königsplatz. Die Stadt hatte daraus eine stationäre Versammlung auf der Theresienwiese gemacht. Die Anmelder zogen daraufhin ihre Versammlungsanzeige zurück - um kurz darauf doch eine Kundgebung auf der Theresienwiese anzumelden. Allerdings für nur fünf Personen, die Organisatoren des Abends um ihren Sprecher Melchior Ibing. Bei ihrer genehmigten Versammlung mussten sie allerdings Masken tragen und Abstand halten, was sie auch befolgten. "29 Teilnehmer in der Spitze" zählte die Polizei dort. Am anderen Ende der Theresienwiese startete derweil ein Autokorso von Impfgegnern mit dem Ziel einer München-Rundfahrt in Herzform. 300 Teilnehmer beziehungsweise 150 Autos waren angemeldet, 41 Fahrzeuge mit 85 Insassen machten sich auf den Weg.

Gegner der "Querdenker"-Bewegung demonstrieren friedlich am Odeonsplatz

Zu Zwischenfällen bei den angemeldeten Kundgebungen der Corona-Kritiker kam es nicht, ebenso wenig wie bei einer Versammlung von deren Gegnern. Bis zu 400 Gegendemonstranten kamen auf dem Odeonsplatz zusammen - friedlich, mit aufgesetzten Masken und genügend Distanz. Um den Abstand zu demonstrieren, breiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Kommando die Arme aus und drehten sich einmal um die eigene Achse. Impfen sei in Pandemiezeiten ein "Akt der Solidarität", schütze Leben und verhindere "einen drohenden Kollaps des Gesundheitswesens", hatten die Organisatoren zuvor betont.

"Es sind bereits genug Menschen in der Pandemie gestorben, dem wollen wir ein Ende setzen", so eine Sprecherin des Bündnisses "München solidarisch", an dem unter anderem die Grüne Jugend beteiligt ist: "Dafür setzen wir ein klares Zeichen gegen die tödliche Wissenschaftsfeindlichkeit der Querdenken-Bewegung." Deren "Aufmärsche" degenerierten zunehmend zu einem "Sammelbecken von Rechtsextremen". Als gegen 20 Uhr eine größere Gruppe von Kritikern der Corona-Schutzmaßnahmen an den Gegendemonstranten vorbeizog, kam es zu Wortgefechten.

Besondere Brisanz bekam dieser Mittwoch durch den 55. Geburtstag des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Aus der Szene der Pandemieleugner und Impfgegner war im Messenger-Dienst Telegram angekündigt worden, man werde dem CSU-Politiker einen Geburtstag bescheren, den er nicht vergessen werde. Ironische Grüße schallten immer wieder über den Marienplatz, aber mehr war nicht.

Bilanz nach Corona-Demo: Die Polizei zeigte mit etwa 1000 Beamten auch an diesem Mittwochabend starke Präsenz.

Die Polizei zeigte mit etwa 1000 Beamten auch an diesem Mittwochabend starke Präsenz.

(Foto: Stephan Rumpf)

In den einschlägigen Gruppen hatten sich die Diskussionen vor dem Abend gar nicht um die mögliche Impfpflicht gedreht, sondern vorwiegend darum, wie man die Polizisten am besten austricksen könne. Dazwischen bettelten mutmaßliche Anhänger des ins Ausland geflohenen Ex-Kochs Attila Hildmann um Spenden, andere wollten Notstromaggregate verkaufen. Viele Demonstranten in spe waren am späten Nachmittag noch unsicher, was ihre Anführer eigentlich vorhatten. Unter anderem wurde ein Post diskutiert, in dem zum Schlangestehen vor einer Innenstadt-Apotheke aufgerufen wurde. Mitarbeiter dieser Apotheke distanzierten sich umgehend von der Aktion und informierten die Polizei. Ein erstes Grüppchen vor der Apotheke zerstreute sich kurz nach 18 Uhr, als sich mehrere Polizeibeamte näherten.

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