Zwischen Welten:Fest ohne Frieden

Lesezeit: 2 Min.

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere ukrainische Kolumnistin schreibt darüber, wie selbst das Weihnachtsfest in ihrer Heimat Gegenstand russischer Unterdrückung war und was es mit der tragbaren Krippe in zwei Kisten auf sich hat.

Von Emiliia Dieniezhna

Wann feiern die Ukrainer eigentlich Weihnachten? Das ist eine der häufigsten Fragen, die ich in diesen Tagen höre. Viele, mit denen ich mich unterhalte, glauben, dass unser Weihnachtsabend erst am 6. Januar ist. Die Mehrheit der Ukrainer sind Orthodoxe und Katholiken - also Christen, die Weihnachten wie hier am 24., 25. und 26. Dezember feiern sollten. Eigentlich. Denn in der Ukraine gibt es verschiedene Kalender. In der Westukraine gilt der gregorianische Kalender, in der Ostukraine der julianische Kalender. Der Unterschied zwischen diesen Kalendern beträgt 13 Tage. Deshalb kommt es dazu, dass es in meinem Land zwei unterschiedliche Datierungen für das Weihnachtsfest gibt.

Es gibt nur wenige Kirchen in der Welt, die den julianischen Kalender benutzen. Das sind die russischen und die serbischen Kirchen, die Kirche zu Jerusalem, und in der Ukraine eben die orthodoxe und die Griechisch-Katholische Kirche. Meine Landsleute, egal welchen Glaubens, verbinden Weihnachten meist mit dem julianischen Kalender. Jetzt aber entscheiden sich viele Ukrainer, Weihnachten zusammen mit Westeuropa zu feiern - oder zumindest darüber nachdenken, ob sie das machen möchten.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Das hängt auch mit der Geschichte unserer Unterdrückung zusammen, die einen weiteren Höhepunkt in diesem russischen Angriffskrieg erfährt. Russland versucht schon seit mehreren Jahrhunderten, die Ukraine zu besetzen und unsere Kultur auszurotten. Der christliche Glaube war in der Sowjetunion verboten, Weihnachten also auch. Die ukrainische Elite wurde massenweise ins Gefängnis gebracht oder getötet, nur weil sie unsere Kultur pflegte. Anfang der Siebzigerjahre etwa war die Aufführung von "Wertep", dem traditionellen Figurentheater zu Weihnachten, sowie das Singen von ukrainischen Weihnachtsliedern Grund genug, um 90 Kulturaktivistinnen und -aktivisten zu verhaften.

Darunter auch der bekannte ukrainische Dichter Wassyl Stus, der zu fünf Jahren Zwangsarbeit und drei Jahren Verbannung verurteilt wurde. Er verbrachte die Haftzeit in verschiedenen Straflagern, unterbrochen nur von Krankenhausaufenthalten wegen eines schweren Magenleidens. Seine Gedichte wurden regelmäßig beschlagnahmt und vernichtet, einige konnte er in Briefen an seine Frau weitergeben. Ein Text, in dem er den KGB angriff, wurde laut Wikipedia-Eintrag in die USA geschmuggelt und in New York veröffentlicht.

Ukrainer möchten Weihnachten feiern, wie sie es möchten und nicht, wie Russland es bestimmt

Russland benutzte unsere Kultur als Waffe, so wie jetzt die Energie. Viele Ukrainer kennen das sehr gut aus ihrer Geschichte. Wir möchten nicht mehr den von Russland bestimmten Traditionen folgen, wir möchten unsere eigene Sprache sprechen und unsere eigenen Bräuche pflegen. Deswegen entscheiden sich viele Ukrainer nun dafür, dass Weihnachten am 24. Dezember mit dem Heiligen Abend beginnt.

Auch ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich feiere mit meiner Familie im Dezember und versuche, unser Bräuche einzubinden. Ich koche zwölf Gerichte, wie man das bei mir zu Hause am Weihnachtsabend macht. Und ich gehe mit meiner Tochter und dem Wertep spazieren und singe unsere Lieder. Ach ja, Wertep, das ist unsere Krippe in einer tragbaren Kiste mit zwei Bühnen. Man erzählt mithilfe der Figuren die Geschichte von der Geburt Christi, der Anbetung der drei Könige und dem grausamen König Herodes. Hier in Deutschland habe ich die wunderbare Möglichkeit, das ukrainische Weihnachtsfest genauso zu feiern.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:Der Aufstand der russischen Frauen

Immer mehr Mütter und Ehefrauen begehren auf, weil ihre Söhne und Männer in der Ukraine kämpfen müssen - ohne ausreichend ausgebildet und ausgerüstet zu sein. Mit dem Mut der Verzweifelten fordern sie auch Putin persönlich heraus.

Von Silke Bigalke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: