Süddeutsche Zeitung

Prozess:Drei Jahre Haft für 14 Vergewaltigungen

"Die Strafe ist relativ moderat und gering", sagt selbst die Richterin am Landgericht. Der 42-jährige Täter sei bei seinen Taten zu betrunken gewesen, um voll schuldfähig zu sein.

Von Susi Wimmer

"Ich richte diese Urteilsbegründung an Sie", spricht die Vorsitzende Richterin Veronika Rabl den Angeklagten direkt an. Aber Tarlochan S., ein bulliger Mann mit verschlossenem Blick, schaut nur stur geradeaus, an der Richterin vorbei. Die hat gerade verkündet, dass der 42-Jährige wegen 14-facher Vergewaltigung seiner Lebenspartnerin sowie Körperverletzungen, auch gegenüber seiner Tochter, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird. "Die Strafe ist relativ moderat und gering", sagt selbst die Richterin der 20. Strafkammer am Landgericht München I. Doch man müsse berücksichtigen, dass Tarlochan S. alle Taten unter "enormer Alkoholeinwirkung" begangen habe und vermindert schuldfähig sei. Er wird sich nach der Haft in einer geschlossenen Einrichtung einer Entzugstherapie unterziehen müssen.

Eigentlich war die Staatsanwaltschaft von viel drastischeren Straftaten ausgegangen: Mindestens 156 Fälle von Vergewaltigung in der Partnerschaft warf sie dem Mann vor. Aber nach der Aussage von Michelle P., der ehemaligen Lebensgefährtin, wurden die zu verurteilenden Taten nach unten korrigiert. Das Gericht zweifelte nicht an der Glaubwürdigkeit der Frau, aber sie habe sich nicht detailliert erinnern können. "Da hat auch eine gewisse Verdrängung eingesetzt", so das Gericht. So blieben am Ende 14 Fälle übrig, die Tarlochan S. schließlich auch gestand.

"Er war sonst ein lieber Mensch", hatte Michelle P. dem Gericht erklärt, "nur wenn er betrunken war..." Die heute 49-Jährige hatte Tarlochan S. im Jahr 2006 über ihren Schwager kennengelernt, der ebenso wie S. aus Indien stammt. "Es ist möglich, dass die Beziehung für S. zweckgebunden war, um ein Bleiberecht zu erlangen", meinte Richterin Rabl in der Urteilsbegründung. Bereits ein Jahr später kam die gemeinsame Tochter zur Welt, "und damit hatte er ein Aufenthaltsrecht".

Eine Zeitlang wehrte sich Michelle P., doch dann gab sie auf - er war einfach zu stark

Mit den Jahren habe Tarlochan S. immer mehr Alkohol getrunken, sei zunächst verbal aggressiv gewesen und habe dann angefangen, seine Lebensgefährtin zu vergewaltigen. Etwa ein halbes Jahr lang, so erzählte Michelle P., habe sie sich körperlich und verbal gewehrt. Aber das sei ihm egal gewesen, "er war stärker als ich". Dann habe sie alles über sich ergehen lassen.

Jahrelang schwieg Michelle P., sie zeigte ihren Lebensgefährten nicht an, "was typisch ist für Opfer häuslicher Gewalt", sagt die Richterin. "Sie hat ihn geliebt, es war eine Art Schicksalsgemeinschaft." Denn Tarlochan S. hatte mittlerweile bei einem seiner Aufenthalte in seiner indischen Heimat eine andere Frau geheiratet und mit ihr zwei Kinder gezeugt. Er plante sogar, sie nach Deutschland zu holen. Trotzdem weigerte er sich, die Wohnung von Michelle P. zu verlassen. Erst als diese einen Selbstmordversuch unternahm und eine Ärztin in der Klinik ihr zur Anzeige riet, hatte sie die Kraft, gegen S. vorzugehen.

Tarlochan S. leidet bereits unter Leberzirrhose, "aber bis jetzt fällt es ihm schwer, sich das Ausmaß seiner Alkoholabhängigkeit einzugestehen", meint die Richterin. Eine Entzugstherapie könnte durchaus erfolgreich sein, "wenn er mehr Problembewusstsein und Offenheit entwickelt". Scheitert Tarlochan S. im Entzug, dann muss er die vollen drei Jahre im Gefängnis absitzen und hat mit keiner vorzeitigen Haftentlassung zu rechnen.

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SZ vom 10.12.2020/aner/van
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