Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht:U-Bahnfahrer gesteht Missbrauch

Der 23-Jährige soll sich mehrfach mit Minderjährigen verabredet und sie begrapscht haben - an Endhaltestellen oder in der Wendeschleife. Zum Prozessauftakt legt der Angeklagte ein Geständnis ab.

Von Susi Wimmer

Sein Erkennungsmerkmal in diversen Chatgruppen und sozialen Netzwerken war ein Plüsch-Einhorn. Dort gab sich Marcel S. meist als 13-Jähriger aus, in Wahrheit ist er 23. Der Mann steht seit Dienstag vor dem Landgericht München I, weil er als U-Bahnfahrer Minderjährige in seinen Zug gelockt und an Endhaltestellen oder in Wendeschleifen missbraucht haben soll. "Ich habe schwere Fehler begangen", sagte Marcel S. zum Prozessauftakt. "Es tut mir sehr leid."

Auf der Anklagebank sitzen oft Kinderschänder, die ihre Taten leugnen, oder es sogar wagen, die Schuld den Opfern zuzuschieben, zu behaupten, sie seien von Kindern verführt worden. Nicht so Marcel S. Der stämmige junge Mann antwortet ohne Umschweife und klar auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Matthias Braumandl. Dann blättert er in einer mehrseitigen Mappe mit Blättern in Klarsichtfolie und beginnt formvollendet: "Hohes Gericht, liebe Staatsanwältin, ich möchte Stellung beziehen." In seiner 18 Monate andauernden Untersuchungshaft habe er Zeit gehabt, sich über seine Fehler Gedanken zu machen. "Ich wollte niemandem schaden oder Grenzen überschreiten", sagt er.

Dabei ist Marcel S. bereits wegen Vergewaltigung vorbestraft, erhielt im Dezember 2019 vor dem Jugendgericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, und beging die aktuellen Taten in offener Bewährung. Das Gericht gibt zum Prozessauftakt noch dazu bekannt, dass zwei Verfahren verbunden werden. Das heißt, während die eine Anklageschrift gefertigt wurde, taten sich noch andere Delikte auf, die in einer zweiten Anklageschrift aufgelistet wurden. Dem 23-Jährigen werden nun mehrere Fälle von sexuellem Missbrauch vorgeworfen, zudem noch die Verbreitung pornografischer und kinderpornografischer Schriften.

Marcel S. ging immer ähnlich vor: Die Kontaktaufnahme mit den späteren Geschädigten erfolgte stets via Instagram, Snapchat oder Whatsapp-Gruppen, "in denen habe ich zur Genüge verkehrt", sagt S. Dann schickte er den Kindern und Jugendlichen, Buben wie Mädchen, kinderpornografische Dateien, oder eindeutige Videos und Fotos von sich selbst. Teilweise forderte er die Minderjährigen auch auf, entsprechende Bilder von sich selbst zu schicken.

Im September 2020 soll S. dann einen 14-Jährigen an den U-Bahnhof am Hauptbahnhof bestellt und ihn unsittlich berührt haben. Im Herbst 2020 machte er sich an einen Zwölfjährigen heran. Der stieg am U-Bahnhof Münchner Freiheit nach Verabredung in den Zug, den Marcel S. durch den Tunnel lenkte. An der Endstation Klinikum Großhadern kam S. aus der Fahrerkabine ins Abteil und begrapschte den Buben. Es fanden weitere Treffen und Übergriffe statt, in der Wendeschleife der U-Bahn, in der Abstellanlage und in einem Aufenthaltsraum der Bahnbediensteten. Einmal, an der Endstation Fröttmaning, schenkte Marcel S. dem Kind eine Tafel Schokolade und ein Armband, ehe er sich ihm wieder unsittlich näherte.

Er bitte die Geschädigten um Entschuldigung, sagte S. am Ende seines Statements im Beisein seiner Verteidiger Benedikt Stehle und Thomas Novak. Er habe einige Schicksalsschläge zu verkraften gehabt, der lange Leidensweg seines kranken Vaters, dann dessen Tod. Er habe große Verlustängste und Angst vor dem Alleinsein. Er könne die Balance zwischen Nähe, Distanz, Freiraum und Loslassen nicht finden und sei in Beziehungen zu anderen Menschen schon oft "über das Ziel hinausgeschossen". In der Haft habe er Kontakt zu einem Psychologen gesucht, "es war nicht einfach, mit einem Fremden über die Sachen zu reden".

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden am ersten Verhandlungstag die Video-Vernehmungen der geschädigten Buben abgespielt. Die dritte Jugendstrafkammer hat vier Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil wird Anfang Juli erwartet.

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