Prozess in München:Zu lebensgefährlichen Experimenten überredet

  • Im Prozess gegen David G. fordert der Münchner Staatsanwalt Matthias Braumandl 14 Jahre Haft wegen versuchten Mordes in 22 Fällen. Der Angeklagte solle in die Psychiatrie kommen, nicht ins Gefängnis.
  • Der 30-Jährige hatte per Skype junge Frauen dazu gebracht, sich Strom durch den Körper zu jagen. Seit November steht er vor Gericht.
  • Der Verteidiger fordert, G. nur wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch unbefugte Bildaufnahmen und Titelmissbrauch zu verurteilen.

Von Annette Ramelsberger

Es ist einer der irrwitzigsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Da hat ein 30 Jahre alter IT-Experte aus einem kleinen Dorf bei Würzburg immer wieder über Skype junge Frauen angeschrieben, hat ihnen vorgespiegelt, Arzt zu sein und an einer Studie über Schmerzempfindlichkeit zu arbeiten. Dieser vermeintliche Arzt hat den Frauen angeboten, sie könnten an dieser Studie teilnehmen - sie müssten nur ein paar Versuche vorab an sich vornehmen, damit er erkennen könne, ob sie dafür geeignet seien. Dafür versprach er ihnen mal 100, mal 1500 Euro. So überzeugend war dieser Mann, dass fast 80 Frauen mitmachten - von München bis Dortmund. Sie bauten nach seinen Vorgaben eine Vorrichtung aus einem Kabel und zwei metallenen Löffeln zusammen und verbanden sie mit dem Stromkreislauf. Auf die Anweisung des Mannes hin hielten sie die Löffel an die Schläfen oder die Füße und jagten sich 230 Volt durch den Körper. Dass keine von ihnen starb, ist Glück.

Als 88-fachen Mordversuch hat der Münchner Staatsanwalt Matthias Braumandl die Taten angeklagt, 22 Fälle sind zum Ende des Prozesses geblieben, die restlichen wurden eingestellt, und er fordert nun 14 Jahre Haft. Seit November hat das Landgericht München gegen den Angeklagten David G. verhandelt. Mittlerweile ist viel klar geworden: Der Angeklagte leidet unter einem Asperger-Syndrom, einer Krankheit aus dem Spektrum des Autismus. Er ist aber durchaus erfolgreich, hat Abitur gemacht, er arbeitet regulär als IT-Experte bei einem Verein in Würzburg. Er hat Freunde und galt nur als etwas sonderlich. Seit seiner Kindheit war er von Strom fasziniert. Er hat die Frauen über Skype bei den Experimenten verfolgt, sie gefilmt und sich an den Filmen erregt. Dass David G. am Asperger Syndrom leidet, wurde erst in der Untersuchungshaft erkannt.

Der psychiatrische Gutachter Henning Saß diagnostizierte bei ihm eine abnorme Sexualität mit fetischistischen und sadistischen Zügen. Offenbar bezog David G. Lustgewinn daraus, wenn die Mädchen sich seinen Anweisungen fügten und Schmerzen erlitten.

Ein Opfer nach dem anderen ist in den langen Wochen dieses Prozesses im Gerichtssaal erschienen - meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit: alle jung, alle schlank, alle langhaarig. Junge Frauen, die weinend aus dem Saal kamen, die sich schämten für das, zu was sie sich überreden ließen. Manche, die immer noch unter der nachträglichen Erkenntnis leiden, was hätte geschehen können: dass sie hätten sterben können, von eigener Hand. Gutachter Saß sagte, David G. habe zwar erkennen können, dass er Unrecht tat. Aber dass ihn seine Krankheit daran hinderte, daraus Konsequenzen zu ziehen. Er habe sich nur eingeschränkt steuern können.

Daran knüpft die Verteidigung an - einerseits. Bereits im Oktober hat das Gericht die Verlegung des Angeklagten aus der Haft nach Haar in die Psychiatrie verfügt. Andererseits weist die Verteidigung darauf hin, dass die Frauen sich jederzeit gegen das Experiment hätten entscheiden können. Sie hätten aus Geldgier mitgemacht. David G. habe nicht die Tatherrschaft gehabt, auch kein überlegenes Sachwissen, argumentiert Verteidiger Klaus Spiegel. Denn alle hätten gewusst, dass Strom aus der Steckdose lebensgefährlich ist. Er fordert, David G. nur wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch unbefugte Bildaufnahmen und Titelmissbrauch zu verurteilen und auch das nur zu höchstens zwei Jahren auf Bewährung.

Staatsanwalt Braumandl dagegen sieht David G. durchaus als mittelbaren Täter, die Opfer hätten nicht in die Selbstverletzung eingewilligt. David G. sei "massiv ausgeklügelt" vorgegangen. Der Angeklagte solle in die Psychiatrie kommen, nicht ins Gefängnis. Die Nebenklage erklärte, der Angeklagte habe die Frauen getäuscht und ihren Tod billigend in Kauf genommen. Das Urteil wird am 20. Januar gesprochen.

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