Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht:Drogen-"Bunker" am Stachus

Eine zehnköpfige Bande soll am Karlsplatz und in der nahen Umgebung in zwei Monaten rund 255 Kilogramm Cannabisprodukte verkauft haben. Für die Drogen gab es kreative Verstecke.

Von Andreas Salch

Ihre Geschäfte sollen sie in bester Innenstadtlage gemacht haben. Allein im November und Dezember 2018 hat eine zehnköpfige Bande laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorwiegend am Stachus und in der nahegelegenen Umgebung rund 255 Kilogramm Cannabisprodukte an Drogenkonsumenten verkauft. Das Geschäft rentierte sich offenbar. Der Verkaufspreis für 100 Gramm Haschisch lag zwischen 220 und 260 Euro. 50 Gramm der Droge kosteten zwischen 120 und 140 Euro. Kopf der Bande war angeblich der 22-jährige Handwerker Nemat U. Am Montag hat am Landgericht München I vor der 9. Strafkammer der Prozess gegen U. begonnen - und gegen einen seiner angeblichen Komplizen, den erst 17-jährigen Schüler Adil A. (Name geändert).

Die Staatsanwaltschaft legt den beiden Angeklagten unter anderem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Last. Zum Auftakt der Verhandlung gab Nemat U. über seinen Verteidiger Kai Wagler eine Erklärung ab. Darin bekennt sich der 22-Jährige zu den Vorwürfen aus der Anklage. Auch Adil A. räumte über seinen Anwalt Marc Duchon die Taten, die ihm vorgeworfen werden, im Großen und Ganzen ein. Mitglied einer Bande sei sein Mandant jedoch nicht gewesen, betonte Duchon. Denn A. habe nur mit dem Angeklagten Nemat U. zu tun gehabt und sei dessen "Verkäufer" gewesen.

Nemat U. soll sich beim Drogenhandel vor allem auf Organisatorisches konzentriert haben. Seine Aufgabe sei die Bestellung und Beschaffung von Haschisch, Marihuana und Ecstasy-Tabletten gewesen. Geordert haben soll der 22-Jährige die Drogen hauptsächlich in Berlin. Nachdem die brisante Ware in München angelangt war, soll Nemat U. die "Bestückung der einzelnen Bunker in der Innstadt" veranlasst haben. "Bunker" ist in der Drogenszene die Bezeichnung für Versteck.

Trifft es zu, was die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, war Nemat U. bei deren Auswahl recht einfallsreich. Als Bunker für die Cannabisprodukte dienten demnach unter anderem die Handläufe der Treppen von der Oberfläche zum Zwischengeschoss der Stachus-Passagen. Die diversen Bunker hatten auch eigene Namen, wie etwa "Treppe", "Sparkasse unten" oder "Vase".

Laut Anklage waren die verschiedenen Drogen zu jeweils 100 Gramm verpackt, sodass "ein schneller und reibungsloser Abverkauf möglich war". Unter den Kunden der Angeklagten sollen sich auch zwei erst 16 und 17 Jahre alte Schülerinnen befunden haben. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Drogen soll Nemat U. unter seinen mutmaßlichen Komplizen verteilt haben. Einige davon behielten allerdings nur Teile ihres Gewinns, den Rest soll Nemat U. in ihrem Namen an deren Familien ins Ausland geschickt haben. Oder er kaufte von dem Geld für seine "Verkäufer" Kleider, Schuhe und Mobiltelefone. Für Adil A., dessen Eltern aus Syrien nach Ägypten geflohen sind, sollen es 3000 Euro gewesen sein. Ein Urteil wird für Anfang Juli erwartet.

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SZ vom 28.04.2020/vewo
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