Die Wiesn ist ein ewiger Rausch, der sich alljährlich in der Polizeistatistik niederschlägt. Oktoberfest - Alkohol - Straftat: So einfach könnte die Welt der Klischees sein, aber dieser Fall lag komplizierter. Vor dem Amtsgericht München trafen ein italienischer Carabiniere und eine deutsche Journalistin aufeinander. Beide waren nachweislich allenfalls nur leicht alkoholisiert, als sie sich vergangenes Jahr im Armbrustschützenzelt auf dem Gang begegneten. Er sagt, er habe sie versehentlich an der Brust gestreift. Sie sagt: "Er hat zugepackt." Amtsrichterin Anna Frey verurteilte den 40-Jährigen zu einer Geldstrafe von 2400 Euro.
Es ist wie oft in Prozessen, in denen es um Sexualdelikte geht: Aussage steht gegen Aussage. Es gibt keine Zeugen von dem Vorfall am 4. Oktober, keine Beweise, keine Spuren, keine Videos. Das Gericht konnte nur die Glaubwürdigkeit der Beteiligten und ihrer Aussagen bewerten. Und als Verteidiger Patrick Ottmann eine Einigung ohne Urteil anspricht, antwortet die Staatsanwältin: "Nein, da gibt es nichts dazwischen. Salopp gesagt ist das eine Hopp-oder-topp-Geschichte."
Polizei auf dem Oktoberfest:Frauen schlagen Angreifer in die Flucht
Zwei Frauen haben sich erfolgreich gegen sexuelle Übergriffe von Männern gewehrt. Außerdem im Polizeibericht: Eine Schlägerei auf der Wiesnwache und Festnahmen nach Hitlergruß.
Der Carabiniere stammt aus Peschiera del Garda, einem kleinen Ort am süd-östlichen Zipfel des Gardassees, wo die Münchner gerne urlauben. Zur Wiesnzeit zieht es umgekehrt die Italiener gen Norden, und so mieteten sich Stefano A. und acht Freunde in einem Hotel ein, um sich der "festa della birra", wie er sagt, hinzugeben. Gegen 22 Uhr seien seine Begleiter überall verstreut gewesen und er habe sich auf den Heimweg machen wollen, "damit wir nicht die U-Bahn verpassen". Er habe zwei Mass getrunken und sich nüchtern gefühlt.
Im vollen Gang des Paulanerzeltes habe sich eine Lücke aufgetan und er sei "wie im Slalom" zwischen den Menschen durchgewischt und habe dabei gleichzeitig seine Jacke angezogen. Als er dabei den rechten Arm nach vorne streckte, sei ihm eine Frau entgegengekommen, und es könnte sein, dass er sie kurz mit der Hand im Brustbereich berührt oder gequetscht habe: "Ein Fehler, ein Unfall!" Gleichwohl merkt er an, er habe sich in die Situation der Frau hineinversetzt und könne verstehen, dass es sich für sie anders angefühlt habe.
Leoni B. ( Name geändert) ist 27, groß und blond und ihre Kleidung von klarer Eleganz. Ebenso schnörkellos und geradlinig erzählt sie von dem Abend im Armbrustschützenzelt. Im Gang habe sie plötzlich auf ihrer Brust eine Hand gespürt, "die richtig zupackte", und einem Mann ins Gesicht gesehen, "der dabei grinste". Sie sei ihm hinterhergelaufen, habe ihn festgehalten und nach der Security gerufen. Die wollten ihn nur aus dem Zelt werfen, aber sie habe auf einer Anzeige bestanden. Die ganze Zeit über habe er weiter gegrinst. Draußen sei er auf die Knie gefallen vor ihr und habe sich entschuldigt. Seine Freunde hätten auf Sprachbarrieren verwiesen. "Egal welche Sprache", sagt sie, "keine Frau sollte sich so anfassen lassen müssen". Die Journalistin kämpft mit den Tränen, als sie von seinem Entschuldigungsbrief erzählt, in dem er ihr 500 Euro angeboten habe, "wie Schweigegeld". Es habe sie entsetzt, dass er ihre Adresse wusste.
Stefano A. ist Familienvater, verdient bei den Carabinieri 1490 Euro netto. Als die Richterin den Mann aus der Lombardei fragt: "Haben Sie irgendwelche Krankheiten?", antwortet Verteidiger Ottmann mit Blick auf Coronavirus-Fälle in Italien ironisch: "Ich hoffe nicht." Er beantragt Freispruch, doch Richterin Frey schenkt den Aussagen der Frau mehr Glauben und verurteilt Stefano A. zu 120 Tagessätzen à 20 Euro. Damit gilt der Carabinieri als vorbestraft und hat mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen.