Süddeutsche Zeitung

Prozess:Die eigene Familie angegriffen

  • Einem 56-jährigen Rechtsmediziner wird vorgeworfen, dass er erst seine Familie und anschließend sich selbst töten wollte.
  • Seine Frau und die beiden Kinder überlebten den Angriff schwer verletzt, die Anklage lautet auf versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung.
  • Wegen der psychischen Verfassung des Angeklagten findet der Prozess weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Von Andreas Salch

Fast schon ein Jahr ist der Rechtsmediziner Thomas D. einstweilig im Isar-Amper-Klinikum in Haar untergebracht. Der 56-Jährige ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er lebte mit seiner Familie in Fürstenfeldbruck. In der Nacht auf den 3. November vergangenen Jahres soll er den Entschluss gefasst haben, seine Frau, die Kinder und sich selbst zu töten. Doch die Tat misslang. Als Staatsanwalt Marc Heim am Montag vor dem Schwurgericht am Landgericht München II die Anklage verliest, sitzt Thomas D. in einem schwarzen Anzug auf der Anklagebank. Ihm wird versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt.

Gegen 1.45 Uhr an jenem 3. November wurde der 56-Jährige den Ermittlungen zufolge von seiner Frau geweckt. Sie soll ihn aufgefordert haben, das Licht im Kinderzimmer zu löschen. Thomas D. ging in das Zimmer, doch anstatt die Lampe auszuschalten, stach er mit einem Küchenmesser auf seine zwölfjährige Tochter ein und rammte ihr die 19 Zentimeter lange Klinge in den Rücken. Trotz einer "klaffenden Wunde" war der Stich nicht tödlich.

Anschließend ging Thomas D. zurück ins Schlafzimmer, wo seine Frau mit dem zehnjährigen Sohn auf einer Matratze lag, und beugte sich über das Kind. Als er bemerkte, dass seine Frau aufwacht, "stach er ihr gezielt und wuchtig in Tötungsabsicht in Richtung lebenswichtiger Organe im Oberkörper", heißt es in der Anklage. D.s Frau sei es gelungen, auszuweichen. Bei einem Handgemenge soll sie zunächst vergeblich versucht haben, ihrem Mann das Messer zu entwinden. Dabei zog sie sich Schnittverletzungen an den Händen zu.

Nun wachte auch der zehn Jahre alte Sohn auf. Thomas D. stach ihm sofort in den Hals. Um ihr Kind zu schützen, ging seine Frau dazwischen. Der Ehefrau gelang es schließlich, ihrem Mann das Messer abzunehmen. Obwohl Thomas D. sie daraufhin laut Anklage heftig würgte, verlor sie nicht das Bewusstsein, sondern setzte sich mit Tritten heftig zur Wehr. Mit Erfolg: Ihr gelang es, sich von ihrem Mann zu befreien und mit den zwei schwer verletzten Kindern aus der Wohnung zu fliehen. Nun griff Thomas D. erneut nach dem Küchenmesser, hielt es sich vor seinen Bauch und stach zu. Auch er überlebte die Stichverletzung.

Während der Verlesung der Anklage am Montagvormittag wirkte Thomas D. wie versteinert. Als der Staatsanwalt die schweren Verletzungen nannte, die der Angeklagte seiner Frau und seinen beiden Kindern zugefügt hat, presste er die Lippen aufeinander und kämpfte mit den Tränen. Über die näheren Hintergründe der schrecklichen Tat wird die Öffentlichkeit jedoch nichts erfahren, denn die Kammer schloss sich einem Antrag von D.s Verteidiger Adam Ahmed an, die Öffentlichkeit fast für den gesamten Prozess auszuschließen. Als Grund nannte der Vorsitzende Richter Thomas Bott die mögliche Unterbringung des Angeklagten in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik sowie die schutzwürdigen Interessen der beiden minderjährigen Kinder. Ein Urteil wird für Ende Oktober erwartet.

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SZ vom 24.09.2019/lfr
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