Süddeutsche Zeitung

Prozess:Eine Tat wie aus dem Horrorfilm

Lesezeit: 3 min

Von Joachim Käppner und Susi Wimmer

Auch wenn die Staatsanwältin sich mit dem Vortrag beeilte, so dauerte es doch eine ganze Weile, 13 Seiten Anklageschrift vorzulesen. Und während der gesamten Zeit starrte Lion K. zu Boden, als könne er so der Wucht dieser Anklage irgendwie entgehen. K., heute 21 Jahre alt, ist angeklagt, die Schwester seiner Freundin Anita B. ( Namen der Opfer geändert) im Juni 2018 erstochen und deren Mutter und jüngeren Bruder schwer verletzt zu haben - um Anita "zu bestrafen", so die Staatsanwaltschaft.

Die junge Frau, die seit 2015 mit K. zusammen gewesen war, hatte vor, die Beziehung zu beenden. Lion K. soll daraufhin den Plan gefasst haben, aus Rache die Familie B. zu töten. Er soll auch "Jack", den Mischlingshund der Familie B., mit dem Messer getötet haben. Die überlebenden Angehörigen sitzen als Nebenkläger mit steinerner Miene im Saal. Was in ihnen vorgeht, vermag man nur zu ahnen.

K. selbst wirkt wie erstarrt. Der großgewachsene, schlanke junge Mann versucht nicht einmal, sein Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Die Mordtat am 6. Juni 2018, die man ihm anlastet, gehörte zu den brutalsten und aufsehenerregendsten Verbrechen, die München im vergangenen Jahr erlebte. Seit diesem Dienstag muss sich Lion K. dafür vor der Jugendkammer am Landgericht München I verantworten. Weil er als Heranwachsender eingestuft wurde, wird nach dem milderen Jugendstrafrecht verhandelt; die Höchststrafe liegt hier bei zehn Jahren Haft. Nach SZ-Informationen soll es Drohungen gegen den Angeklagten gegeben haben, deswegen sind die Sicherheitsvorkehrungen scharf wie bei einem Terrorprozess: doppelte Kontrollen, Leibesvisitationen, grimmige Polizisten.

Mitte 2015 war Anita B. mit Lion K. zusammengekommen, einem Jungen, der nicht auf der Sonnenseite des Lebens stand. Er stammt aus schwierigen familiären Verhältnissen, seine Eltern hatten sich getrennt, er brach in der zehnten Klasse die Schule ab, bemühte sich später aber, den Abschluss nachzuholen. Laut Anklage zeigte sich bei dem kräftigen K. spätestens 2017 eine bemerkenswerte Rohheit.

Anfang 2017 soll er trotz der Beziehung zu seiner Freundin ein Bordell besucht haben, was sie aber durch einen gemeinsamen Bekannten erfuhr, Felipe H. Die Beziehung stürzte daraufhin in eine Krise, für die K. aber nicht sich selber, sondern H. verantwortlich gemacht haben soll. Laut Anklage lockte K. den anderen unter dem Vorwand, einen Joint rauchen zu wollen, in einen Keller, beschimpfte ihn als "du Bastard" und griff ihn an. Während des Kampfes soll er ein Messer gezogen haben, allerdings entkam H. rechtzeitig. Diese Tat ist als versuchter Mord angeklagt.

Anfang Juni 2018 - K. soll in der Zwischenzeit einen Raub in einem Imbiss versucht haben - kam es, so die Anklage, zu massiver Gewalt gegen Anita B. K. soll sie mehrfach geschlagen und zwei Mal vergewaltigt haben. Außerdem habe er ihr über Whatsapp gedroht: "Ich werde deine Familie töten." Wenige Tage später, am 15. Juni, wollte die junge Frau K. treffen, um endgültig mit ihm Schluss zu machen.

Was folgte, klingt wie aus einem Horrorfilm. Laut Staatsanwaltschaft klingelte Lion K. am Nachmittag bei Familie B. unter dem Vorwand, einige Sachen abzuholen. Die arglose ältere Schwester Sofia, die ihn seit Jahren kannte, ließ ihn ein. K. holte in der Küche ein Messer mit einer 27 Zentimeter langen Klinge und stach von hinten vielfach auf die am Schreibtisch sitzende Schwester ein. Die Pädagogikstudentin, 25 Jahre alt, überlebte den Angriff nicht. Das nächste Opfer war die durch den Lärm alarmierte Mutter, dann der jüngere Bruder, beide wurden durch etliche Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Dem Bruder gelang es trotzdem, K. das Messer zu entwinden und einen Notruf abzusetzen, daraufhin flüchtete der 19-Jährige. Er irrte einige Stunden blutverschmiert durch München, bis ihn eine Zivilstreife festnahm. Seitdem sitzt er in Haft.

Was bewegt einen jungen Menschen zu solchen Taten? Das blieb am ersten Prozesstag unklar, der Vorsitzende Richter Stephan Kirchinger schloss nach einem vorläufigen psychiatrischen Gutachten eine seelische Erkrankung von K. nicht aus. Deswegen wurde die Öffentlichkeit am Vormittag fürs Erste ausgeschlossen und wird es bleiben, solange es um diese Frage geht.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2019
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