Prozess am Landgericht München:Auf Wunsch kastrierte er acht Männer - nun muss er ins Gefängnis

Urteil im Prozess um Kastrationen auf Wunsch

Urteil im Prozess um Kastrationen auf Wunsch: Der Angeklagte sitzt vor Prozessbeginn Ende Oktober im Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Es wirkt wie ein Horrorfilm: Ein 67-Jähriger aus dem Landkreis Ebersberg nimmt an seinen Kunden Kastrationen vor, ein Mann stirbt nach einer OP sogar. Als Mord wollte das Gericht die Tat dennoch nicht sehen.

Von Johanna Feckl

Acht Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe. Mit diesem Urteil ist am elften Verhandlungstag ein Prozess vor dem Münchner Landgericht zu Ende gegangen, dessen Inhalt wohl ebenso gut Szenen aus dem Drehbuch eines Horrorfilms sein könnten: Ein 67-jähriger Mann aus dem Landkreis Ebersberg hatte an acht Männern Kastrationen und andere operative Eingriffe im Genital- und Analbereich vorgenommen. Einer der Männer war im Nachgang einer solchen OP gestorben. Bei gut der Hälfte der Geschädigten traten Folgekomplikationen auf.

Der Angeklagte habe seine operativen Fähigkeiten und sich "maßlos selbst überschätzt", so der Vorsitzende Richter Thomas Bott bei der Urteilsverkündung am Dienstagnachmittag. Mit der verhängten Strafe blieb die Strafkammer unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die elf Jahre für angemessen hielt. Die Verteidigung hatte eine Strafe von höchstens sieben Jahren gefordert.

Den in der Anklageschrift erhobenen Tatvorwurf eines Mordes durch Unterlassen sah die Strafkammer nicht erfüllt. Das Urteil lautete auf schwere Körperverletzung in vier Fällen und gefährliche Körperverletzung in acht weiteren Fällen. Damit schloss sich die Kammer der Sichtweise von Staatsanwaltschaft und Verteidigung an, denn auch diese betrachteten in ihren Plädoyers die Anklage wegen Mordes als nicht haltbar. Der Grund: Die Obduktion des Verstorbenen ergab weder einen genauen Todeszeitpunkt noch eine gesicherte Todesursache. "Hier steht man auch mit langjähriger Erfahrung letztlich vor einem Mysterium", sagte Richter Bott.

Er hatte erotische Spiele mit Strom an den Opfern auf deren Wunsch vorgenommen

Viele mögliche Ursachen ließen sich ausschließen, wie zum Beispiel ein schleichender Krankheitsverlauf, eine Sepsis, Verbluten oder ein Erstickungstod an Erbrochenem. Einige andere mögliche Ursachen stehen weiterhin im Raum, etwa eine Luftembolie, langsames Ersticken, ein natürlich eingetretener plötzlicher Herztod oder aber auch Herzkammerflimmern in Folge einer Stromeinwirkung.

Denn erotische Spiele mit Strom hatte der Angeklagte, der von Beruf Elektriker war, an beinahe all seinen Opfern auf deren Wunsch hin vorgenommen - auch bei dem später Verstorbenen. Die bei dem Angeklagten sichergestellten Gerätschaften waren jedoch allesamt nicht manipuliert, das hätten sie laut einem Gutachter sein müssen, damit ein tödlicher Stromfluss hätte erreicht werden können.

Als weitere mögliche Todesursache sprach Richter Bott über das Verabreichen von Insulin. Eine Packung mit Insulin, von der zwei Pens fehlen, wurde im Kühlschrank des Angeklagten gefunden - über deren Herkunft hatte der 67-Jährige das Gericht angelogen. So stammten sie nicht aus dem Vorrat einer an Diabetes erkrankten Person im nahen Umfeld des Angeklagten, die mittlerweile gestorben ist, sondern von einem seiner Opfer, an dem er operative Eingriffe im Intimbereich vorgenommen hatte - dieser Mann ist Diabetiker.

Aber allein diese Lüge reichte dem Gericht nicht aus, um einen sicheren Mordbeweis gegen den Angeklagten in der Hand zu haben. Auch das aufgefundene Foto, auf dem eine Person den Inhalt eines auffüllbaren Insulin-Pen in ein männliches Geschlechtsteil spritzt, gibt laut Richter Bott keinen konkreten Anhaltspunkt: Weder sei der Angeklagte darauf zu sehen noch könne man sicher sagen, ob sich tatsächlich Insulin in der Spritze befunden hat.

Den Männern hatte er vorgegaukelt, medizinische Vorkenntnisse zu besitzen

"Das sind alles kriminalistische Möglichkeiten, aber keine beweisbaren Tatsachengeschehnisse", so der Richter weiter. Wann und woran der achte und letzte Kunde gestorben ist, bleibt also unklar. Klar ist nur, dass der Angeklagte ihn zwei Wochen in einem Karton in seinem Wohnzimmer aufbewahrte, ehe die Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung den grausigen Fund machte. "Aus diesem Grunde ist hier ein Zweifelsfreispruch geboten."

Zugunsten des Angeklagten fiel die Einschätzung der Kammer aus, die insgesamt zwölf Taten von schwerer und gefährlicher Körperverletzung an den acht Geschädigten als minder schwere Fälle einzustufen. Schließlich habe der Angeklagte alle Eingriffe auf Verlangen der Männer ausgeführt, die so herbeigeführte Zeugungsunfähigkeit bei einigen von ihnen sei somit gewünscht gewesen.

Richter Bott betonte jedoch auch, dass die Einwilligungen laut Aussagen der sieben noch lebenden Geschädigten nur möglich waren, weil der Angeklagte sie über seine medizinischen Vorkenntnisse getäuscht hatte - er besitzt nämlich keine.

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