Süddeutsche Zeitung

Prozess:Millionenstreit unter Ganoven

  • Zwei Männer sollen mehr als eine Million Euro aus einem Geldtransporter gestohlen haben.
  • Einer ist bereits verurteilt und sagt nun vor Gericht zu den Hintergründen der Tat aus.
  • Die Familien der ehemaligen Komplizen sind inzwischen zerstritten, die Sicherheitsvorkehrungen im Gericht waren hoch.

Von Susi Wimmer

Wie weit ist man zu gehen bereit - für den Preis von einer Million Euro? Rijad K. und Bahrudin B. hatten sich das ziemlich genau überlegt. Einen Geldtransporter mit einer Million Euro zu stehlen und dafür schlimmstenfalls, so dachten sie, drei Jahre in den Knast zu gehen? "Das ist ja nichts!", sagten sie und zogen die Tat durch. Heute sitzen beide im Gefängnis. Sie und ihre Familien sind buchstäblich bis auf den Tod zerstritten, und wo die Beute steckt, dazu schweigen sie. Zum ersten mal hat aber nun einer der beiden ausgepackt, sich zur Tat geäußert und Details genannt.

Anders, als Rijad K. in seinem Prozess im vergangenen Jahr ausgesagt hatte, war die Tat minutiös geplant. Vor Gericht berichtete der 28-Jährige jetzt, wie es gelingen konnte, im August 2017 einen Geldtransporter der Firma Prosegur fast leer zu räumen. Genau 1 146 000 Euro erbeuteten die beiden Männer bei ihrem Coup in der Blumenau. Bahrudin B. soll die Einstellungskriterien bei Prosegur eruiert haben, dann bewarb sich K. dort als Fahrer. Ziel sei es gewesen, sich mit dem Geld in Serbien eine neue Existenz aufzubauen, sagt der 28-Jährige. Man habe sogar überlegt, später einen Kredit aufzunehmen, um das Geld zurückzuzahlen. Vor dem Diebstahl mieteten sie einen Leihwagen, und B. fuhr seinen Kumpel zur Arbeit.

Wenn mehr als eine halbe Million Euro auf dem Transporter geladen wäre, würden sie zuschlagen, das war der Plan - und am 24. August 2017 war es so weit. Rijad K. instruierte seinen Komplizen via Handy, der ihm von der Fürstenrieder Straße an folgte; sein Bruder Bajazid B. saß auf dem Beifahrersitz. Als an der Blumenauer Straße beide Kollegen von Rijad K. gleichzeitig aus dem Geldtransporter stiegen, einer ging zur Bank, der andere verbotenerweise zum Einkaufen, soll Bahrudin B. zugestiegen sein. Bajazid B. soll "kalte Füße" bekommen haben und im Leihauto sitzengeblieben sein.

Rijad K. steuerte den Transporter um die Ecke in die Rolf-Pinegger-Straße, dort ließ er B. auf den Fahrersitz, damit er in den Tresorraum gehen konnte. Er habe Angst gehabt, dass Bahrudin "die falschen Kassetten mit den Farbpatronen erwischt". Geldtransporter sind mit etlichen Sicherheitssystemen ausgestattet, doch K. wusste, wie man sie umgeht und wie viel Zeit ihm blieb. Er stellte eine Kiste in die Sicherheitstüre und belud zwei mitgebrachte Taschen. Dadurch löste er den stillen Alarm aus. Als beide den Transporter verließen und dazu zwei Türen öffneten, ging der laute Alarm los. K. versteckte sich im Gebüsch, warf seinen Handy-Akku weg und Bahrudin holte den Fluchtwagen. In der Wohnung von B. breiteten sie das Geld auf dem Bett aus.

Er besuchte K. sogar im Gefängnis

Ursprünglich sei geplant gewesen, dass B. das Geld nach Serbien bringen und K. sich verstecken und später nachkommen solle. Aber am Nachmittag soll der Vater von B. aufgetaucht sein und gesagt haben: "Seid ihr verrückt? Deshalb ist so viel Polizei unten." Er habe entschieden: "Ich kümmere mich, bringt euch in Sicherheit", berichtet K. Das jedoch ging schief: Sein Schwager sollte ihn im Auto nach Serbien bringen. Dann sei er aber kurz vor der ungarischen Grenze ausgestiegen, um sich im Gebüsch zu erleichtern. Da habe der Schwager den Wagen gewendet und sei davongefahren. Er habe versucht, zu Fuß über die Grenze zu gelangen, aber wegen des Flüchtlingsstroms sei an dieser Stelle ein Zaun errichtet worden, schließlich habe ihn die Polizei erwischt.

K. wurde Ende 2018 zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Auf Anraten seiner Anwälte, so erklärte er, habe er damals geschwiegen und irgendwann die Story erzählt, dass er das Geld an der ungarischen Grenze vergraben habe. Die Anwälte seien von Familie B. bezahlt worden. Rijad K. hatte im Prozess stets beteuert, sein Freund B. sei nur zufällig "zur falschen Zeit am falschen Ort" gewesen sei. Bahrudin B. blieb mit den 1,1 Millionen noch ein Jahr in Freiheit, bis die Kripo ihn als Komplizen ausmachte. Er besuchte K. sogar im Gefängnis, wo der ihm eröffnete, er wolle die Beute nun nicht mehr teilen, sondern alles haben, schließlich sitze er im Knast. B. habe vorgeschlagen, das Geld in Immobilien in Serbien zu investieren. Darauf sei er aber nicht eingegangen.

Irgendwann dämmerte Rijad K., dass er bei der Sache den Kürzeren gezogen hatte. Er meldete sich bei der Staatsanwaltschaft, um auszusagen. Das sollte er diesen September, als das Landgericht den Prozess gegen Bahrudin B. eröffnete. Doch kurz vor der Aussage erschoss laut serbischen Medien Bajazid B. den Onkel von Rijad K. Es soll ein Streit um die Beute vorausgegangen sein. Unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen sollte K. im Gerichtssaal in Stadelheim aussagen - doch er schwieg.

Allerdings wurde im September auch gegen den Vater von B. verhandelt. Das Amtsgericht verurteilte ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Haft wegen Begünstigung; Anwalt Gerald Assner legte dagegen Berufung ein. Amtsrichterin Isabelle Pisall wurde nun als Zeugin zur Verhandlung gegen Bahrudin B. geladen. In ihrem Prozess hatte Rijad K. nämlich ausgesagt, und sie gab dessen Aussage nun wieder. Dabei erzählte sie auch, dass während der Aussage von K. im Zuschauerraum eine Frau aufgestanden sei und auf Serbisch gerufen habe: "Du wirst enden wie Beto." Beto hieß der Onkel, der erschossen wurde.

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SZ vom 15.11.2019/vewo
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