Vor Gericht in München:Angeklagte schweigt im Prozess um vergiftete Getränkeflaschen

Prozess um Gift in Getränkeflaschen

Die beschuldigte Frau beim Prozessauftakt im Landgericht München neben ihrer Verteidigerin Birgit Schwerdt.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Frau soll Flaschen in Supermärkten mit "Liquid Ecstasy" versetzt haben - und zwar in einer so hohen Dosis, dass sie tödlich hätte sein können. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr achtfachen versuchten Mord vor.

Von Susi Wimmer

Als ihre zehnjährige Tochter die Augen verdrehte, das Bewusstsein verlor, und auch ihre Fünfjährige zusammensackte, da war Sofia G. (alle Namen geändert) sofort klar, das etwas ganz und gar nicht stimmte: Sie brüllte auf der Toilette im Gasteig um Hilfe, nach einem Notarzt. Die Kinder waren mutmaßlich die ersten beiden Opfer von Cornelia S. Die 57 Jahre alte Frau ist aktuell wegen achtfachen versuchten Mordes vor der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht München I angeklagt. Sie soll im Jahr 2018 bei einer Kulturveranstaltung am Gasteig K.o.-Tropfen in tödlicher Dosis in eine Saftschorle gemischt haben, aus der die beiden Mädchen tranken. Außerdem soll die Frau im vergangenen Jahr in zwei Supermärkten in München insgesamt sechs mit Gift präparierte Mezzo-Mix-Flaschen deponiert haben. Drei Kunden, die die Flaschen kauften, erlitten schwere Vergiftungen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft leidet Cornelia S. an paranoider Schizophrenie. Sie soll dauerhaft in einer Klinik untergebracht werden.

Da ist diese Stimme im Kopf von Cornelia S. Sie sei "dominant, da gibt es kein Kontra", sagt die 57-Jährige. Sie trägt ein grün-gestreiftes Kapuzen-Sweatshirt, die grauen Haare zum Zopf gebunden. Diese Stimme habe auch einmal gesagt: "Ich kann dich auch zum Mörder machen." Sie könne sich nur dunkel erinnern, hatte Cornelia S. im Vorfeld einem Sachverständigen erklärt. Und dass sie sich nicht vorstellen könne, so etwas gemacht zu haben. Zum Prozessauftakt ließen die Verteidigerin Birgit Schwerdt und ihr Kollege Christian Gerber verlauten, dass ihre Mandantin sich zur Sache nicht äußern werde.

Die Staatsanwaltschaft wirft der studierten Kunsttherapeutin vor, ab Juni 2018 über das Internet größere Mengen Gamma-Butyrolacton (GBL) in ihre Wohnung nach München bestellt zu haben. Sie habe geplant, die farblose Flüssigkeit ahnungslosen Konsumenten in die Getränke zu mischen. GBL, auch "Liquid Ecstasy" genannt, wirkt in geringer Dosierung euphorisierend und entspannend. In der Dosierung, die Cornelia S. verwendete, kann das Gift Schwindel, Übelkeit, Erbrechen auslösen und bis zu Bewusstlosigkeit und Tod führen.

"Die Kinder hatten sich so auf die Veranstaltung gefreut", erzählt Sofia G. Es war der 17. November 2018, der Gasteig lud zur 59. Münchner Bücherschau. Ihre Mädchen stöberten in Neuerscheinungen, dann schlenderte man zu einer Ausstellung von Kinderbuch-Illustratoren. An einem Tisch wurden Brezen, Apfelschorle, Wasser und Wein kostenlos angeboten. Die Kinder bedienten sich. "Dürfen wir nochmal?", fragten sie und kehrten mit einem fast leeren Glas Apfelschorle zurück. "Mama, probier mal, das schmeckt ganz komisch", sagte eine. Sofia G. nippte. "Es schmeckte bitter, war weißlich gefärbt, ich dachte, da ist noch Spülmittel dran." Wenig später kollabierten beide Mädchen. Sie kamen auf Intensivstationen, die ältere kam erst in der Nacht wieder zu sich. An jenem Spätnachmittag, sagt Sofia G., sei ihr in der Nähe des Ausschanks eine ältere Frau aufgefallen, "sie war die Einzige, die Weißwein trank". Ob sie mit dieser Frau die hier anwesende Cornelia S. in Verbindung bringe, fragt die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl. "Ja", antwortet die Zeugin.

Nachdem sie getrunken hatte, brach sie neben ihrem zweijährigen Sohn zusammen

Nach Ansicht von Staatsanwalt Daniel Meindl soll Cornelia S. im März 2020, kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie, zudem in einem Edeka-Markt am Leonrodplatz drei mit einer tödlichen Dosis GBL präparierte Mezzo-Mix-Flaschen in die Regale gestellt haben. Eine ahnungslose Kundin kaufte eine Flasche, trank einen Schluck, und schüttete den Rest weg, weil das Getränk unangenehm schmeckte. Kurz darauf brach sie neben ihrem zweijährigen Sohn in einem Hauseingang zusammen. Sie kam in eine Klinik. Die anderen beiden Flaschen wurden von bislang nicht bekannten Personen gekauft. Im April 2020 deponierte die Frau erneut drei Flaschen Mezzo-Mix Zero im Rewe-Markt an der Feldmochinger Straße. Zwei Männer kauften die Getränke und erlitten Vergiftungssymptome. Die dritte Flasche konnte sichergestellt werden.

Die Polizei war nach umfangreichen Ermittlungen auf die mutmaßliche Täterin gestoßen. Sie hatte bei ihren Aktionen in den Supermärkten immer Waren gekauft und an der Kasse mit EC-Karte bezahlt. Außerdem entdeckte die Spurensicherung relevante Fingerabdrücke an den Flaschen. Cornelia S. stammt aus einer wohlhabenden Künstlerfamilie, sie selbst studierte Kunsttherapie und -pädagogik. Ende der Neunzigerjahre war sie erstmals in einer psychiatrischen Klinik. Bereits damals soll eine Schizophrenie diagnostiziert worden sein. Sie habe zwei Seiten, sagte die 57-Jährige, "die eine erlebe ich als fremd". So habe die fremde Cornelia mit einer Axt ein Auto zertrümmert. "Ich kann es nicht stoppen, es passiert einfach." Auch die Briefe mit üblen Beleidigungen und Hakenkreuzen, die sie an Bekannte schickte, seien ihr "diktiert" worden. Psychopharmaka habe sie in der Vergangenheit nach diversen Klinikaufenthalten aufgrund von Nebenwirkungen immer wieder abgesetzt. Die erste Strafkammer will nach 14 Verhandlungstagen Mitte Dezember zu einem Urteil kommen.

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