Süddeutsche Zeitung

Prozess:Schlafplatz gesucht, im Schmuckladen gelandet

Klauen wollte er nichts, beteuert ein Einbrecher. Er sei einem Geist in das Juweliergeschäft gefolgt, weil er kein Hotelzimmer gefunden hatte. Den Richter beeindruckt das aber kaum.

Von Susi Wimmer

Er sei gebürtiger Syrer, sagt Ahmed B., aber in der Welt zu Hause. Er hat viele Länder bereist, und besonders vertraut ist er mit schwedischen Gardinen. Ob in Spanien oder Paris, der Mann kennt die Gefängnisse auf internationaler Ebene. Und jetzt auch Stadelheim. Denn das Gericht wollte ihm auch in zweiter Instanz nicht abkaufen, dass er im November des vergangenen Jahres nachts in ein Juweliergeschäft am Promenadeplatz eingestiegen war, weil er im "gefährlichen München" auf der Suche nach einem sicheren Schlafplatz gewesen sei. Andreas Forstner, Richter der 25. Berufungs-Kammer am Landgericht München I, verurteilte Ahmed B. wegen versuchten Diebstahls zu neun Monaten Gefängnis.

Ob Ahmed B. tatsächlich aus Syrien stammt und erst 24 Jahre alt ist, wie er angibt, lässt sich nicht überprüfen. Er reiste unter diversen Identitäten, ein amtliches Ausweisdokument gibt es nicht. Mit dem Gerichtsdolmetscher wollte er sich nicht auf arabisch, sondern auf französisch unterhalten. An Fantasie jedenfalls mangelt es dem Angeklagten nicht. Schon in erster Instanz vor dem Amtsgericht überraschte er mit folgender Geschichte: Er sei am 2. November nach München gereist, hätte ausreichend Bargeld dabei gehabt, aber aufgrund der Corona-Pandemie kein Hotel ansteuern können. Sodann habe er sich auf die Suche nach einem sicheren Schlafplatz gemacht, "weil in München wird man auf der Straße überfallen und ausgeraubt". Justament am exklusiven Promenadeplatz, eine Häuserreihe hinter dem Polizeipräsidium, habe er gegen 0.30 Uhr ein "verlassenes Haus" entdeckt: Den Juwelier Carl Weishaupt. Die hell erleuchteten Vitrinen des Ladens muss er wohl übersehen haben. Jedenfalls war es "ein Geist", der ihn sodann über ein drei Meter hohes Fallrohr nach oben in den ersten Stock zu einem gekippten Fenster geführt habe. Nach der Mühe des Kraxelns sei er maßlos enttäuscht gewesen, dass in dem Raum keine Schlafcouch zu finden gewesen sei, sondern nur Juwelen und Schmuck.

Beim Einsteigen hatte Ahmed B. den Alarm ausgelöst, und die Polizei musste nur einmal umfallen, schon war sie am Tatort. Wie Ahmed B. weiter erzählte, habe er das Haus über die Tür im Erdgeschoss wieder verlassen wollen, aber die sei versperrt gewesen. Der Rückzug über das Fallrohr war ihm allerdings auch abgeschnitten, denn vor der Tür stand schon die Polizei samt Diensthund.

Ahmed B. hatte mehr als 1700 Euro Bargeld bei sich sowie einen Louis-Vuitton-Rucksack mit etlichen Damenbrillen. Außerdem eine Kamera, auf deren Speicherkarte sich Fotos einer asiatisch aussehenden Frau vor Münchner Sehenswürdigkeiten befanden. In erster Instanz wollte das Amtsgericht diese Habschaften einziehen und Ahmed B. für ein Jahr hinter Gittern sehen. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht legte er schließlich doch ein Geständnis ab. Seine Verteidigerin Claudia Enghofer meinte, dies müsse man im Urteil honorieren. Sie plädierte dafür, dass ihr Mandant die sichergestellten Sachen wieder zurückbekomme. Er sammle Brillen. "Und auch ein Dieb kann mal was dabei haben, was er nicht gestohlen hat." Staatsanwalt Martin Stenzel war der Auffassung, dass B. erst einmal nachweisen müsse, woher das Geld komme, und dass es nicht gestohlen sei.

"Wir hören hier viel", kommentierte Richter Forstner die Geschichten des Angeklagten. Er entschied, dass alle Dinge eingezogen werden. Ahmed B. wird ohnehin noch länger in Haft bleiben müssen. Denn vor einigen Tagen wurde er vom Amtsgericht wegen zwei wuchtigen Faustschlägen gegen einen Mithäftling wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Auch hier will B. in Berufung gehen.

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SZ vom 20.07.2021/van
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