Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht in München:Drei Stiche in den Oberkörper

Ein Frührentner soll versucht haben, seine Frau zu ermorden - weil diese ihn verlassen hatte. Zum Auftakt des Prozesses schweigt der Mann.

Von Andreas Salch

Bajram G. trägt ein schwarzes T-Shirt, als er am Montagmorgen von zwei Polizisten in den Sitzungssaal B 275 im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße geführt wird. Auf der Brust seines T-Shirts steht in großen weißen Buchstaben der Schriftzug "The Godfather" aus dem Film "Der Pate" mit Marlon Brando.

Bajram G. ist 61 Jahre alt, Frührentner und lebt getrennt von seiner Frau. Er soll versucht haben, sie zu ermorden. So steht es in der Anklage, die die Vertreterin der Staatsanwaltschaft zum Prozessauftakt vor dem Schwurgericht am Landgericht München I verliest. Bajram G. schaut derweil grimmig drein. Er hat seine Arme vor der Brust verschränkt. Seine Ehefrau soll er als "sein Eigentum" betrachtet haben und erwartet haben, dass sie ihn versorgt, pflegt und sich um ihn kümmert, heißt es in der Anklage.

Obwohl Bajram G. und seine Frau Fatmire (Name von der Red. geändert) sich im August 2018 trennten, besuchte die 56-Jährige ihren Mann regelmäßig in dessen Wohnung in Hadern, kaufte für ihn ein, kochte, wusch dessen Wäsche und putzte, da er dies wegen verschiedener Krankheiten nicht mehr machen konnte. Fatmire G. soll mit ihrer Arbeit aber auch versucht haben, ihren Sohn zu entlasten, der bis Ende Juni vergangenen Jahres bisweilen noch bei seinem Vater wohnte. Nachdem Fatmire G. eine eigene Wohnung gefunden hatte, wollte sie ihren Sohn zu sich holen. Deshalb beantragte sie auch, dass das Kindergeld künftig an sie ausgezahlt wird. Auch zu ihrem erstgeborenen Sohn hatte sie wieder Kontakt aufgenommen und ihn nach München eingeladen, um wieder eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

Bajram G. hat dies offenbar alles nicht gepasst. Zum Auftakt der Verhandlung sagte der 61-Jährige kein Wort zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Auch Angaben zu seiner Person machte er keine. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass G. davon überzeugt gewesen sei, dass seine Frau zu ihm zurückkehrt. Aber Fatmire lebte ihr eigenes Leben. Am 22. Juni vergangenen Jahres kam es zum Streit zwischen Bajram G. und seiner Frau. Die 56-Jährige hätte ihn fast mit dem Leben bezahlt. Am Morgen jenes Tages hatte Bajram G. einen Bescheid der Familienkasse Bayern Süd erhalten. Das Kindergeld werde künftig seiner Frau überwiesen, hieß es darin und, dass er selbst 9392 Euro Kindergeld zu Unrecht erhalten habe, da sein Sohn längst bei seiner Frau Fatmire lebe. Außerdem hatte Bajram G. erfahren, dass er keine Sozialleistungen mehr vom Jobcenter München bekommen werde.

Als Fatmire G. ihren Mann am Nachmittag besuchte, stellte er sie zur Rede. Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen. In dieser aufgeheizten Stimmung soll Bajram G. laut Staatsanwaltschaft den Entschluss gefasst haben, seine Frau zu töten. "In der Tötung der Geschädigten sah der Angeklagte den einzigen Weg, seinen vermeintlichen Besitzanspruch bezüglich der Geschädigten durchzusetzen", so die Anklage. Im Lauf des Streits sei der 61-Jährige vom Sofa aufgestanden und in die Küche gegangen. Ohne dass Fatmire G. es bemerkte, soll ihr Mann ein knapp 35 Zentimeter langes Messer geholt und ihr damit sofort dreimal in den Oberkörper gestochen haben. Fatmire G. brach zusammen, ihr Sohn packte den Vater, zog ihn weg. Fatmire G. gelang es aufzustehen, auf den Balkon zu flüchten und einen Notruf abzusetzen. Der Prozess dauert an.

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SZ vom 22.09.2020/kafe
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