Süddeutsche Zeitung

Gerichtsverhandlung:Regen in der Residenz

Eine Sprinkleranlage hat das Cuvilliés-Theater unter Wasser gesetzt - nun will der Freistaat den Schaden von mehreren Hunderttausend Euro ersetzt haben.

Von Stephan Handel

Das Jahr 2019 begann nicht gut für das Cuvilliés-Theater, Münchens Bühnen-Kleinod in der Residenz: An Silvester gab es noch Mozarts Oper "Cosi fan tutte" - am frühen Nachmittag des Neujahrstags öffneten sich die Schleusen der Sprinkleranlage, überfluteten den Bühnenraum und richteten einen Schaden an, dessen Höhe bis heute noch nicht ganz klar ist. Wer ihn bezahlen soll, ebenfalls nicht - deshalb streitet nun der Freistaat Bayern, dem die Residenz gehört, mit dem Konzertveranstalter Andreas Schessl, Geschäftsführer von München Musik: Er hatte das Cuvilliés-Theater für die Silvesteraufführung gepachtet. Am Donnerstag war erster Verhandlungstermin vor dem Landgericht.

Drei Personen hielten sich im Theater auf, als die Wassermassen losbrachen: Zwei Putzkräfte einer Reinigungsfirma und ein Mann, der im Auftrag von München Musik - beziehungsweise der Münchner Kammeroper, die für die Inszenierung verantwortlich zeichnete - einen Lüster abbauen sollte, welcher Mozarts Spiel von Liebe und (Un-)Treue ins richtige Licht getaucht hatte. Die Sprinkleranlage kann mittels eines Schlüssel an einer Art Schaltpult in Betrieb gesetzt werden. Hat einer der drei Anwesenden auf der Suche nach dem Lichtschalter versehentlich den Wasserschalter erwischt? Oder war es doch ein technischer Defekt, ein Fehlalarm, der den Regen beginnen ließ? Dazu gab es am ersten Verhandlungstag noch keine Antworten.

Wie immer lotete Richterin Melanie Seuß zunächst die Möglichkeit einer gütlichen Einigung aus. Das erscheint im Moment jedoch noch nicht realistisch: Der Freistaat hat im ersten Schritt 228 000 Euro eingeklagt, außerdem verlangt er die Feststellung, dass der Schädiger - also München Musik oder die Reinigungsfirma oder beide zusammen - auch für künftig noch auftretende Schäden einstehen müssten. Diese Zahlen konnte Michael Then, der Anwalt des Freistaats, aber noch nicht vorlegen - offensichtlich ist noch nicht alles abgerechnet. Then sagte aber, er habe bedeutet bekommen, dass die Gesamtsumme bis zu 700 000 Euro erreichen könnte. Und immerhin: Wenn es irgendwann einmal tatsächlich um einen Vergleich geht, könnte er sich einen "Abschlag von 20 bis 30 Prozent" vorstellen, sagt er.

Andreas Schessl wirkt während der Verhandlung relativ entspannt - er sagt, die Opernaufführung sei versichert gewesen, da hätten ihn die Corona-Absagen der letzten und der kommenden Monate härter getroffen. Trotzdem könnte es kompliziert sein, die Angelegenheit juristisch auseinanderzuklamüsern: "Eine Gemeinschaftstat festzustellen, wird schwierig werden", sagt Richterin Seuß - unrealistisch sich vorzustellen, dass die beiden Reinigungskräfte und der Monteur zusammen an dem verhängnisvollen Schlüssel gefummelt haben. Das bedeutet aber, dass das Gericht den einen Täter ermitteln müsste. Richterin Seuß will's zumindest versuchen und die drei für einen nächsten Termin als Zeugen laden.

Bei der Suche nach diesem nächsten Termin zeigte sich, wie die Corona-Pause die Gerichtsbarkeit immer noch beeinflusst und behindert: Es herrscht Stau in den Kalendern, nach längerem Hin und Her wird als frühestmöglicher Termin der 11. März 2021 gefunden. Zuvor hatte die Verhandlung schon mit Verspätung begonnen: Es waren mehr Beteiligte und Zuhörer erschienen, als Virus und Landgerichts-Regeln in Seuß' angestammtem Gerichtssaal erlaubten; sie musste sich erst auf die Suche nach einem größeren machen. Für den kommenden Termin versprach sie aber, rechtzeitig daran zu denken - und den Parteien sicherte sie zu, dass sie für einen außerplanmäßigen Gütetermin jederzeit zur Verfügung stünde, wenn etwa der Freistaat seine Gesamtforderung beziffern könnte und das eine Verhandlungsbasis darstellen könnte: "So eine Stunde kann ich immer mal reinflicken."

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SZ vom 10.07.2020/vewo
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