Prozess:Wie viel ist ein Biergarten wert?

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Mehrere Wirte klagen wegen der Corona-Schließungen gegen ihre Versicherungen - diese hatten Entschädigungszahlungen verweigert. Unter den Klägern finden sich prominente Mitglieder der Münchner Branche.

Von Stephan Handel

Wirte in München und in ganz Bayern können auf eine weitere Entschädigung für Einnahme-Ausfälle durch die Corona-Schließungen hoffen: Die Weigerungen zahlreicher Versicherungsunternehmen, Schäden über sogenannte Betriebsschließungsversicherungen zu regulieren, dürften vor Gericht keinen Bestand haben. Das ließ Susanne Laufenberg, Vorsitzende Richterin am Landgericht München I, zum Auftakt einer ganzen Prozessserie am Freitag erkennen.

Mitte März ordnete die bayerische Staatsregierung wegen der Corona-Pandemie die Schließung aller gastronomischen Betriebe an. Da griffen viele Wirte zu dem Ordner mit den Versicherungsunterlagen und holten die Police zur Betriebsschließung hervor: Eine solche Versicherung erstattet dem Unternehmer, dessen Betrieb durch behördliche Anordnung geschlossen wird, für höchstens 30 Tage eine zuvor vereinbarte Entschädigung in Form eines Tagessatzes.

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Die Überraschung dürfte jedoch groß gewesen sein, als die Versicherungsunternehmen in zahlreichen Fällen die Zahlung verweigerten. "Das war für viele Wirte sicher ein Ärgernis, vielleicht sogar existenzgefährdend", sagt Thomas Geppert, Geschäftsführer des bayerischen Hotel-und Gaststättenverbandes (Dehoga). Geppert schätzt die Zahl der betroffenen Gastronomen in Bayern auf mehrere hundert. Am Münchner Landgericht gingen bislang 39 Klagen ein, die von drei Kammern für Versicherungssachen und den Handelskammern bearbeitet werden.

Unter den Klägern finden sich prominente Mitglieder der Münchner Branche: Christian Schottenhamel vom Nockherberg, Jürgen Lochbihler vom Pschorr am Viktualienmarkt. Am Freitag wurden neben anderen die Klagen von Christian Vogler, dem Wirt des Augustinerkellers in der Arnulfstraße, und von Karl-Heinz-Zacher (Emmeramsmühle in Oberföhring) verhandelt. Es geht um viel Geld: Vogler fordert mehr als eine Million Euro, Zacher knapp 430 000 Euro. Bei ihm geht es um zwei unterschiedliche Tagessätze: Bis zum 31. März würde er 4000 Euro pro Tag bekommen, danach 20 000, weil dann der Biergarten mit in die Kalkulation einfließt. "Da sieht man mal, was so ein Biergarten in Bayern wert ist", sagte Richterin Laufenberg in der Verhandlung.

Zuvor hatte sie im ersten Fall des Tages, da ging es um das Hotel "Feuriger Tatzlwurm" in Oberaudorf - Forderung: 236 000 Euro -, die Argumentation der Versicherungen gründlich auseinandergenommen. Dass die Schließung nicht von der "zuständigen Behörde", also dem Gesundheitsamt angeordnet wurde, sondern von der Regierung: unerheblich, denn das Wirtschaftsministerium ist auch eine Behörde. Dass die Verordnung nicht nur einen einzelnen Betrieb traf, sondern alle: "Das ist für den Betroffenen egal", sagt Laufenberg. Dass sich die Wirte zunächst selbst gegen die Schließung hätten wehren sollen, etwa durch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht: nicht zumutbar, denn währenddessen hätten sie ja trotzdem nicht öffnen dürfen.

Auch das Argument, dass in den meisten Betrieben keine Corona-Fälle vorlagen, sondern sie präventiv geschlossen wurden, ließ die Richterin nicht gelten: "Da steht nirgends, dass der Betrieb selbst betroffen sein muss." Den Passus in den Versicherungsbedingungen, dass der Wirt keine höhere Entschädigung erhalten darf als seinen tatsächlichen Schaden, hält die Richterin sogar komplett für unwirksam: "Tagessatz ist Tagessatz. Die Versicherung würde ja auch nicht mehr bezahlen, wenn der Schaden höher wäre."

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Juristisch - und sprachlich - kompliziert wird es bei der Frage, welche Krankheiten und Krankheitserreger denn zur Leistungspflicht führen. Das Gericht hat - offensichtlich zu seiner Verwunderung - festgestellt, dass sich die Aufzählung in den Versicherungsbedingungen zwar am entsprechenden Katalog des Infektionsschutzgesetzes orientiert, dass aber dort manche Diagnosen, Viren, Bakterien einfach fehlen, ohne dass erläutert wird, welche und warum. "Da müsste sich der Versicherungsnehmer hinsetzen und die Listen vergleichen", sagte Laufenberg. "Das kann man nicht erwarten." So wird es in jedem Einzelfall darum gehen, ob für den Laien erkennbar ist, dass die Liste der versicherten Ereignisse abgeschlossen ist, was etwa durch Formulierungen wie "versichert sind nur" oder "ausschließlich" deutlich gemacht werden kann.

Der nächste Sitzungstag in der Prozessserie um die Münchner Gastronomie ist der 17. September, dann wird unter anderem über Christian Schottenhamel und seinen Nockherberg verhandelt. Bei Vogler, Zacher und dem Tatzlwurm in Oberaudorf könnte es dann eventuell schon erste Urteile geben.

© SZ vom 01.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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