Süddeutsche Zeitung

Prozess am Amtsgericht:Großeltern lassen kleine Mädchen verwahrlosen

Die drei und vier Jahre alten Kinder hausten im Dreck unter furchtbaren Bedingungen. Vor Gericht kommen die Angeklagten mit Bewährungsstrafen davon.

Von Susi Wimmer

Das Zimmer, in dem die beiden Mädchen, drei und vier Jahre alt, eingesperrt waren, war "heruntergekommen und schmutzig", gab ein Polizist zu Protokoll. Reste von Fäkalien klebten am Bett und an den Wänden. Die Kinder wirkten verwahrlost, verschmutzt, teilnahmslos und apathisch. Dabei wollten die Großeltern "nur Gutes" tun, hieß es jetzt vor dem Amtsgericht. Gemeinsam mit ihrem drogensüchtigen Sohn hatten sie die Kinder von der Mutter in Serbien übernommen, weil die sich nicht mehr kümmern wollte. Man habe die Kinder "vor noch Schlimmerem bewahren wollen", sagte Amtsrichterin Cornelia Wölk, "aber am Ende wurde der desolate Zustand noch vertieft".

Nenad M., 50 Jahre, seine Ehefrau Draginja, 49, sowie ihr 28-jähriger Sohn Denis S. verlassen lachend den Gerichtssaal. Alle drei sind mit Bewährungsstrafen zwischen neun Monaten und eineinhalb Jahren davongekommen. Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht heißt es im Juristendeutsch, wenn man Kinder verwahrlosen lässt. Ob die Schäden, die den Mädchen zugefügt wurden, jemals wieder gutzumachen sind, wird die Zukunft zeigen. Die zwei leben in einem Waisenhaus.

Denis S., der leibliche Vater der Mädchen, hat weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung. Seit seinem 13. Lebensjahr nehme er "diese Scheiß-Drogen". Über die Mutter Jelena N. ist wenig bekannt, nur dass sie anfangs das alleinige Sorgerecht für die Kinder innehatte. Im September 2019, als die Mädchen zwei und drei Jahre alt waren, entzog das Amtsgericht München der Mutter das Sorgerecht, weil man das Wohl der Kinder als gefährdet ansah. Es seien bereits Schädigungen zu erkennen, so steht es in dem Beschluss. Und dass der Vater aufgrund seiner Drogensucht ebensowenig als Erziehungsberechtigter infrage käme. Daraufhin entführte Jelena N. die Mädchen nach Serbien.

Doch kaum ein Jahr später hatte die Mutter genug von ihren Kindern. Sie rief bei den Großeltern an und bat sie, die Mädchen abzuholen. Im August 2020 wurden die Kinder in die Münchner Wohnung gebracht. Dort hausten sie in einem Zimmer, in dem an der Innenseite der Tür die Klinke abmontiert war. Zu Essen gab es nur Junkfood und Cola, bei den Kindern wurde ein "ruinöser Zahnstatus" festgestellt. Sie sind nicht mehr in der Lage, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Die Jüngere steckte längere Zeit in einer kotverdreckten Windel, Gesicht und Kleidung waren verschmutzt, die Haare fettig. Eines der Mädchen litt unter Läusebefall und hatte nicht mal Schuhe zum Anziehen. Beide konnten nur Laute und einzelne Wörter artikulieren, aber keine Sätze sprechen. Im Genitalbereich wurden Entzündungen diagnostiziert, in einem ärztlichen Bericht ist von einem "Verdacht auf sexuellen Missbrauch" die Rede. Im November 2020 konnte das Jugendamt die Mädchen aus der Familie retten.

Nach einem Rechtsgespräch einigen sich die Parteien auf Bewährungsstrafen. Die Angeklagten geben sich wortkarg. Alle drei arbeiten im Bereich Gebäudereinigung. Die Oma, die sich um die Mädchen kümmern wollte, sei überfordert gewesen, meint ihre Verteidigerin Heidi Pioch. Die Großeltern eint ein beachtliches Vorstrafenregister, Vater und Sohn eine Drogenkarriere. Denis S. sagt, er dürfe erst Kontakt mit den Töchtern aufnehmen, wenn er clean sei. "Ich such' mir eine Therapie, damit ich die Kinder aus dem Waisenhaus holen kann", verkündet er. "Haben Sie was in Aussicht", fragt Richterin Wölk. "Es ist schwer", antwortet S., "ich hab' noch nirgends angefragt."

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