München:Der nächste Musikhochschul-Professor vor Gericht

München: Das Gebäude der staatlichen Hochschule für Musik und Theater an der Arcisstraße. Die Institution will das Strafverfahren nutzen, um "weiter zu lernen und mögliche Versäumnisse aufzuarbeiten".

Das Gebäude der staatlichen Hochschule für Musik und Theater an der Arcisstraße. Die Institution will das Strafverfahren nutzen, um "weiter zu lernen und mögliche Versäumnisse aufzuarbeiten".

(Foto: Robert Haas)

Ein ehemaliger Ordinarius soll die Schwester eines Studenten vergewaltigt haben. Nach den Verfahren gegen den früheren Rektor steht nun die Frage im Raum, ob es dort ein "System des Machtmissbrauchs" gegeben hat.

Von Susi Wimmer

Der nächste Prozess steht an, und wie sehr dieser die Hochschule für Musik und Theater beschäftigt, lässt sich schon daran erkennen, dass sie an diesem Mittwoch eine Pressemitteilung verschickte. In dieser zeigt sich Bernd Redmann, seit 2014 Präsident der staatlichen Institution, "erleichtert", dass der Strafprozess gegen den ehemaligen Kompositionsprofessor Hans-Jürgen von Bose am Freitag beginne. Man wolle die Erkenntnisse, die das Verfahren womöglich bringe, nutzen, um "weiter zu lernen und mögliche Versäumnisse aufzuarbeiten".

Dafür werde die Musikhochschule den Prozess beobachten lassen: Frank Saliger soll sich hierum kümmern. Er hat einen Lehrstuhl für Strafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität, vertrat im Januar 2020 aber auch die AfD, als gegen die Partei der Vorwurf erhoben wurde, eine womöglich illegale Parteispende angenommen zu haben.

Ein Strafrechtler, der für eine Hochschule einen Strafprozess ins Auge nimmt: Das gibt es nicht so oft. Der Vorgang zeigt, dass es von Freitag an vor der dritten Strafkammer am Landgericht München I um mehr gehen könnte als den Vorwurf der Vergewaltigung in drei Fällen im häuslichen Bereich sowie den Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln.

Angeklagt ist Hans-Jürgen von Bose. 1992 war er als Ordinarius für Komposition an die Hochschule für Musik bestellt worden. 1996 wurde seine Oper "Schlachthof 5" am Münchner Nationaltheater aufgeführt. Anschließend fühlte er sich von Kritikern gemobbt, ließ sich 2007 als dienstunfähig in den Ruhestand setzen, und beantragte Wiedereinstellung im Jahr 2012. Seit den polizeilichen Ermittlungen 2015 lehrt er nicht mehr.

Hans-Jürgen von Bose gilt als Freund von Siegfried Mauser, der der Musikhochschule von 2003 bis 2014 vorstand. Der ehemalige Rektor wurde wegen Sexualstraftaten verurteilt, hat sich nach Salzburg zurückgezogen und kämpft darum, die Gefängnisstrafe von knapp drei Jahren, zu der er verurteilt wurde, aus gesundheitlichen Gründen hinauszuzögern oder doch nicht antreten zu müssen. Bei dem Verfahren gegen Bose könnte es deshalb auch darum gehen, ob es an der Musikhochschule ein "System des Machtmissbrauchs" gegeben hat, wie von einigen behauptet. Steffen Ufer, der Verteidiger von Hans-Jürgen von Bose, sagt, man wolle mit dem Fall Mauser nichts zu tun haben. Bei seinem Mandanten sei "ein Freispruch zu erwarten".

Ufer zählt zu den prominenten Urgesteinen unter den deutschen Strafverteidigern. Er verteidigte Oetker-Entführer Dieter Zlof, holte Uli Hoeneß aus der Haft, plädierte für Eric Burdon oder Konstantin Wecker. Jetzt, mit 80, steigt er für Hans-Jürgen von Bose in den Ring, "vielleicht einer meiner letzten großen Fälle", meint Ufer. Er finde die Geschichte spannend, den Vorwurf gegen seinen Mandanten "völlig grotesk und juristisch absurd". Die Justiz sei sich lange Zeit nicht sicher gewesen, ob sie die Anklage der Staatsanwaltschaft überhaupt zulasse, sagt Ufer. "Aber dann hat man sich doch entschieden, wegen der heutigen Zeit."

Die heutige Zeit - das deutet an, was sich in den vergangenen Jahren alles gewandelt hat. Auch an der Musikhochschule. Die Mauser-Verfahren haben diese nachhaltig verändert. "Es blieb dort kein Stein auf dem anderen", sagt Christine Schornsheim, "und diese gründliche Aufarbeitung war und ist auch gut so." Schornsheim ist Professorin für Cembalo an der Musikhochschule, deren Vizepräsidentin, - und sie brachte den ersten Prozess gegen Mauser ins Rollen.

Sie hatte, wie andere Frauen auch, jahrelang geschwiegen. Als aber im Jahr 2015 die Polizei ins Haus kam, um in Sachen Bose zu ermitteln, und Mauser diesem ein einwandfreies Leumundszeugnis ausstellte, ging sie zur Polizei, erstattete Anzeige gegen Mauser wegen sexueller Übergriffe im Jahr 2009, und Mauser wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt. Es meldeten sich weitere Frauen, es folgte ein neuer Prozess, und an dessen Ende hielt der Bundesgerichtshof im Herbst 2019 in letzter Instanz ein Urteil des Landgerichts München I aufrecht, das Mauser wegen sexueller Nötigung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilte.

Über das Klima, das an der Musikhochschule lange herrschte, gab es in den Mauser-Prozessen einige Berichte. Und es finden sich auch heute noch leicht Zeitzeugen, die darüber berichten. So sollen beispielsweise Wettbewerbe "gang und gäbe" gewesen sein, welcher Professor eine neue Studentin als erster "knacke" - oder einen Studenten. Und zu Hans-Jürgen von Bose gibt es Schilderungen, wie offen dieser mit Themen wie Bisexualität oder Affären umgegangen sein soll. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel, das Bose im Mai 2018 in seinem Haus in einem Münchner Vorort empfing, sagte der Professor, er sei ständig auf der Suche nach einem Kick - ob beim Autofahren oder im Bett. Inzwischen gewährt Bose keine Homestorys mehr und äußert sich auch sonst nicht direkt.

Seit der Ära Mauser hat sich einiges getan

Die Anzeige, um die sich das Verfahren dreht, datiert aus dem Dezember 2014. Und sie hat nichts zu tun mit Boses Lehrtätigkeit an der Musikhochschule. Oder zumindest fast nichts. Denn Helena P. (Name geändert) war die Schwester eines Studenten, der bei Bose lernte. Sie war 22, er 53. Sie sollen sich zunächst verliebt und von November 2006 bis in den Sommer 2007 eine Beziehung geführt haben. Hans-Jürgen von Bose soll ihr das Versprechen abverlangt haben, sich sexuell experimentierfreudig zu geben und von ihr beispielsweise Besuche im Swingerclub erwartet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft Bose vor, in der Beziehung ein Klima der Angst und der Ausweglosigkeit geschaffen zu haben. Eine Waffe soll neben dem Bett gelegen haben, Bose sei immer unbeherrschter und aggressiver geworden, habe gedroht, den Bruder und dessen Karriere zu ruinieren, wenn sie nicht gehorche. Drogen und Medikamente seien im Haus griffbereit gewesen.

Die Staatsanwaltschaft klagt drei Fälle von Vergewaltigung an, die Bose in der Beziehung begangen haben soll. Es sollen sich tagelange Streitereien entsponnen haben, wegen erfolgloser Akquise von Sexualpartnern oder ähnlichem. Helena P. hätte dabei das Schlafzimmer nicht verlassen dürfen, er habe sie am Schlafen gehindert, ihr Drogen gegeben, sie habe weder essen noch trinken dürfen. Er soll ihren schwachen Zustand ausgenutzt und sie in diesem vergewaltigt haben.

"Ich sehe den Tatbestand der Vergewaltigung nicht als erfüllt an", sagt Steffen Ufer. Es habe keine Gewalt oder Bedrohung gegeben. Die Frau hätte Probleme gehabt, weil sie seinem Mandanten hörig gewesen sei. Eine Gutachterin aus Berlin, die die Glaubwürdigkeit der Frau geprüft habe, habe festgestellt, dass sich in der Erinnerung von Helena P. "eine Menge verzerrt" habe. Hans-Jürgen von Bose sei ein Künstler, der in allen Bereichen mehr Freiheit beanspruchte. Allerdings muss die Gutachterin den Aussagen der Frau teilweise auch Glaubhaftigkeit zugemessen haben, sonst hätte das Gericht wohl kein Verfahren eröffnet.

Der Unterricht an Musikhochschulen ist auch ein körperlicher: Es werden Atemtechniken erklärt oder das Halten des Instruments demonstriert. Der Einzelunterricht gilt als Herzstücken des Musikstudiums. Zum großen Teil gehen Lehrende mit dieser Verantwortung auch entsprechend um. Aber: Schwarze Schafe findet man eben auch dort. Und es gibt keine objektive Beurteilung, wenn beispielsweise eine Bratschen-Spielerin ein Stück vorträgt, "das ist oft Geschmackssache", erzählt ein Mitglied der Hochschule. Dieses besondere Miteinander fördere eine Eine-Hand-wäscht-die-andere- Mentalität.

"Im künstlerischen Bereich finden viel häufiger Übergriffe statt als in anderen Studiengängen", sagt Rechtsanwältin Antje Brandes. "Hier hat man diese Konstellation, dass der Lehrende oben steht, der Strippenzieher ist, der mit zwei Sätzen eine aufstrebende Karriere beenden kann." Brandes ist seit etwa einem Jahr Ombudsfrau an der Münchner Musikhochschule. Wenn Studenten "in irgendeiner Weise" das Gefühl hätten, sexuell genötigt zu werden, können sie bei ihr eine anonyme Beratungsstunde erhalten.

Tatsächlich hat die Schule in der Ära nach Mauser einiges getan, um gegen sexuelle Gewalt und Belästigung vorzugehen. Eine interne Umfrage, eine externe Begutachtung, Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen. Kunstminister Bernd Sibler sagte der SZ, er bedauere zutiefst, "dass es an der Hochschule zu Vorfällen gekommen ist, die Menschen verletzt zurücklassen. Ein Ort des Lernens muss ein Ort des Vertrauens sein".

Auch Bernd Redmann, Präsident der Musikhochschule, schreibt auf der Homepage: "Der Mythos vom künstlerischen Genie, dem alles erlaubt ist, die Tradition des Opfers, das selbst an allem die Schuld trägt, oder eine Verharmlosung von Vorfällen sind falsch und aus der Zeit gefallen. Das gilt auch in der Kunst."

Christine Schornsheim, die einst gegen Mauser aussagte, sagt, sie habe das heute ganz gut verdaut. Die Prozesse, die befremdliche Reaktion einiger Kollegen ihr gegenüber, das alles sei schwer und anstrengend gewesen. "Aber ich bereue es nicht. In Teilen bin ich auch gestärkt aus dieser Sache gegangen." Viel zu lange hätten Männer sich Unmögliches herausgenommen.

Siegfried Mauser, deutscher und österreichischer Staatsbürger, hält sich derweil in Salzburg auf. Eigentlich hätte er im Juli seine Haftstrafe antreten müssen, reichte aber ein ärztliches Attest ein, dass er nicht haftfähig sei. Das Landesgericht Salzburg teilte Anfang August mit, man werde binnen zwei Monaten ein Gutachten einholen, das die Haftfähigkeit überprüfe. Dieses Gutachten liegt bis heute nicht vor.

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