Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Vier Kufen im Drei-Viertel-Takt

Eistanz hat im Prinzregentenstadion eine lange Tradition. Bei kostenlosen Kursen kann man dort den Rundtanz zu Walzer oder Tango lernen - und auch das besondere "Münchner Dipferl".

Von Franziska Gerlach

Sonntags um halb zehn, wenn das Eis noch glatt und ebenmäßig glänzt, erreicht die Woche von Hansjörg Laschinger und Diane Kramer ihren Höhepunkt. Zumindest im Winter. Dann nämlich setzt das Ehepaar die Kufen seiner Schlittschuhe auf die frisch geschliffene Kunsteisfläche im Prinzregentenstadion, dreht eine erste Runde, eine zweite und dritte, vollführt Drehungen. Tanzt.

Zweieinhalb Stunden später ist das Eis stumpf und zerkratzt von den vielen Drehungen und Schritten, die die Teilnehmer des kostenlosen Eistanz-Unterrichts zu Musik aus einer Anlage geübt haben. Hansjörg Laschinger steht an der Bande und schickt kleine Atemwolken in den Münchner Himmel. "Am Anfang konnte ich nur herumrutschen", sagt der Mann, der gerade noch mit souveräner Eleganz beim "Münchner Rundtanz" übers Eis geglitten ist - so nennt sich die in München und in Wien etablierte Tradition, bei der Gesellschaftstänze zu Tango, Walzer oder Slowfox aufs Eis verlegt werden.

Seit drei Saisons kommen Laschinger und seine Frau schon zum Eistanz ins 1933 eröffnete Prinzregentenstadion, der ersten Freiluft-Kunsteisbahn Süddeutschlands; diesmal ist auch ihre dreizehnjährige Tochter Ida dabei. Ob's so schwierig ist, wie es aussieht? "Schon", sagt das Mädchen. Macht aber offenbar auch Spaß. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man Ida mit den anderen Eistänzern eine Kette bilden und beim sogenannten Münchner Dipferl zu Elvis übers Eis tippeln sieht.

"Eins, zwei, drei, vier, kick, schieb, schieb, schieb, quer", erklären die Kursleiter Peter Schuller und Isabel Grimm. Neun Schritte, die sich irgendein Münchner vor vielen, vielen Jahren einmal ausgedacht hat. Denn einfach nur geradeaus fahren, das ist auf Dauer ziemlich öde. Viel schöner ist das Freiheitsgefühl, das sich beim sanften Dahingleiten und Drehen auf dem Eis einstellt - da kann man im Eistanz-Kurs eigentlich fragen, wen man will.

Hinter dem kostenlosen Angebot stehen die Münchner Eistänzer. Klingt nach einem Verein, ist aber eine Gruppe engagierter Münchner, die verrückt sind nach Gesellschaftstanz auf dem Eis und den Fortbestand dieses schönen Brauchs sichern wollen. Schon im 19. Jahrhundert verabredeten sich die Münchner nämlich auf dem Kleinhesseloher See oder den Kanälen in Nymphenburg zum Eistanz, erzählt Katharina Heinemann, die sich um den reibungslosen Ablauf des Kurses im Prinzregentenstadion kümmert.

Und während Heinemann von den Anfängen des Eislaufens in der Stadt erzählt, sieht man die Münchner und Münchnerinnen von damals beinahe vorbeigleiten: die Damen in wadenlangen Röcken und Hut, die Herren mit Schiebermützen auf den Köpfen. Händchenhaltend? Vielleicht, Verliebt? Womöglich. Bestens gelaunt? Das ganz bestimmt bei so viel Bewegung an der frischen Luft.

Heiß aufs Eis

"Im Tanzschritt übers Eis", heißt es sonntags im Prinzregentenstadion (Prinzregentenstraße 80, Tel. 23 61 50 50). Um 9.30 Uhr wird die Kunsteisfläche geöffnet, von 10 bis 11 Uhr gibt es kostenlosen Unterricht zu Tango oder Walzermusik.

Eislaufen kann man in München auch im Olympia-Eissportzentrum (Spiridon-Louis-Ring 3, Tel. 30 67 21 50), am Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend ist jeweils von 20 bis 22 Uhr "Disko-Eislauf".

Im Eis- und Funsportzentrum West (Agnes-Bernauer-Straße 241, Tel. 89 68 90 07) ist freitags von 13.30 bis 17 Uhr Jugendnachmittag, Jugendliche bezahlen dann nur 1,60 Euro Eintritt.

Im Eis- und Funsportzentrum Ost (Staudingerstraße 17, Tel. 63 01 91 47) hat nach der Sanierung der 400 Meter lange Eisschnelllaufring wieder geöffnet.

Im Landkreis kann man im Eisstadion Ottobrunn (Haidgraben 121, Tel. 66 07 87 25) Eislaufen oder auf dem Eislaufplatz im Grünwalder Freizeitpark, (Südliche Münchner Straße 35c, Tel. 64 18 910). frG

Am ersten Sonntag des Jahres 2020 sind es knapp 20 Paare, die sich zu Musik übers Eis bewegen. Manche weniger, manche mehr, manche ausgesprochen galant. Peter Schuller und Isabel Grimm zum Beispiel. Die ehrenamtlichen Trainer tanzen seit knapp zehn Jahren gemeinsam übers Eis, haben sogar eigene Figuren entwickelt. Gerade erklären sie den Dreier - eine wichtige Drehung beim Walzer, bei der tatsächlich eine Drei beschrieben wird.

"Da is' er!", sagt Schuller, und deutet auf die Zahl im Eis. Solche Drehungen erfordern einige Übung, gerade für Anfänger ist das Umsteigen von einem Bein auf das andere eine wackelige Angelegenheit. Doch ohne geht es nun einmal nicht. "Der Tanz lebt von Drehungen, von Drehungen der Damen, Drehungen des Herren und von verschiedenen Haltungswechseln", erklärt Schuller und schnappt sich seine Tanzpartnerin. Schultern gerade, Bauch rein, ein knappes Kopfnicken - dann legen Isabel Grimm und er los. Schuller stößt sich kraftvoll aus den Knien ab, um sich just in jenen Sekunden gerade aufzurichten, in denen wiederum Grimm aus den Knien Schwung holt. Wie beim Parketttanzen führe der Herr die Bewegung an, die Dame folge ihm, sagt Schuller. "Das muss er drauf haben."

Max Kohl hat das zweifelsohne drauf; mit 31 Jahren ist er der Jüngste der Eistänzer. Nicht ein einziges Mal verliert er das Gleichgewicht, zieht seine Kreise wie einer, der schon im Kindergarten auf Kufen gestanden hat. Dabei hat er nach einer dreijährigen Pause gerade erst wieder angefangen mit dem Eistanz. Er habe sich der Gruppe angeschlossen, weil er den "Münchner Dipferl" so cool fand, die lange Menschenreihe, die man gemeinsam mit anderen bilde. Inzwischen gefalle ihm aber auch der Münchner Rundtanz richtig gut. Ein ungewöhnliches Hobby für einen jungen Software-Entwickler - keine Frage. Andererseits: Wo steht geschrieben, dass Skifahren und Snowboarden im Winter das Nonplusultra sind? Preiswerter und auch umweltschonender ist das Dahingleiten zu Walzermusik allemal. Die meisten seiner Freunde, sagt Kohl, könnten sich das wohl nicht vorstellen. "Aber ich glaube, die müssten es einfach mal ausprobieren."

Peter Schuller, der selbst erst mit 36 Jahren mit dem Eistanz angefangen hat, schlägt einen ernsten Ton an, wenn es um den Altersdurchschnitt der Eistänzer geht. "Natürlich haben wir ein Nachwuchsproblem, wir sind alle über 40", sagt der ehrenamtliche Trainer. Vor allem an jungen Männern fehle es. Aus der Not heraus übernehmen dann oft die Frauen den Part des Herrn im Tanz.

Und ja: Es gibt sicher Freizeitaktivitäten, die schneller zu lernen sind. "Man muss einfach ein wenig Geduld mitbringen", sagt Katharina Heinemann. Sie selbst hat das Eislaufen schon als Schülerin geliebt. Doch bis sie sich an den Eistanz im Prinzregentenstadion herangetraut hat, sollte es dauern. "Ich stand acht Jahre lang daneben und habe zugeschaut." Sie schmunzelt, blickt zur Uhr. Es ist kurz vor zwölf, gleich kommt die Eismaschine. Heinemann wird dann die Musik abstellen und die Anlage abbauen - bis zum nächsten Sonntag.

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SZ vom 10.01.2020
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