Assistenzhunde:Begleiter und Beschützer

Traumapatientin Freya mit Assistenzhund Wastl

Rauhaardackel Wastl hält seiner Halterin Freya Svenson in stressigen Situationen den Rücken frei.

(Foto: Corinna Guthknecht)

Wer unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, muss sein Leben oftmals sehr einschränken. Assistenzhunde können etwas Normalität bringen - aber ihre Finanzierung ist gesetzlich noch nicht gesichert.

Von Jann-Luca Künßberg

Freya Svenson ist nicht als Kind vom Klettergerüst gefallen und hat dann kein Eis von den Eltern bekommen. So beschreibt sie, mit einem verlegenen Lächeln, die Ernsthaftigkeit ihrer Krankheit. Freya Svenson (Name von der Redaktion geändert) lebt als Opfer sexualisierter Gewalt mit einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Vor sechs Jahren befand sich Svenson in einer lebensbedrohlichen Situation vor der Entscheidung: dem Leben entfliehen, aufgeben. Oder eine Aufgabe suchen, Verantwortung übernehmen. Sie wollte ihren Tätern nicht entgegenkommen, "die haben Narben hinterlassen, auch ganz sichtbare Narben. Aber sie haben es nicht geschafft, mich umzubringen." Also kam Wastl in ihr Leben, ein damals zweijähriger Rauhaardackel.

Neben einer psychotherapeutischen Behandlung in einer Münchner Klinik nimmt Svenson auch Angebote des Trauma Hilfe Zentrums München (THZM) in Neuhausen wahr. Der "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" half bei der Finanzierung neuer Räumlichkeiten, die an einem heißen Sommertag eingeweiht werden. Auf dem kühlen Boden im THZM liegt Wastl, er hat es sich gemütlich gemacht zu Svensons Füßen.

Wastl ist ein Assistenzhund. Auf seinem Geschirr findet sich deutlich sichtbar und in Signalfarben ein Emblem mit der Aufschrift "Abstand halten!". Svenson wirkt entspannt mit ihrem Hund an der Seite. Sie schätzt das Angebot des Trauma-Zentrums, hier gibt es spezielle Beratungsformate von Betroffenen für Betroffene. "Das ist auch mein Ziel: Irgendwann in die Betroffenenberatung zu gehen. Im Februar habe ich schon einen Workshop zum Thema Assistenzhunde gegeben." Sie hat regelmäßig Anfälle zu verkraften, die in der Notaufnahme enden. In guten Zeiten einmal im Monat, in Hochstressphasen auch zweimal in der Woche.

Wenn sie davon erzählt, wirkt das routiniert, nahbar, sie nimmt einem die Unsicherheit im Umgang. "Es ist schwer, über Traumata und ihre Gründe zu sprechen, Leute wollen da immer reinfahren - so nach dem Motto: War das wirklich so schlimm? Es wäre gut, wenn Leute einfach fragen, ob etwa eine Umarmung in Ordnung ist oder nicht", sagt die 31-Jährige. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung sind natürlich nicht sofort als solche identifizierbar und reagieren womöglich auf Trigger, also Situationen, die für andere ganz alltäglich sind. Etwa Geräusche, eine Uniform, eine Stimme. So wie letztlich alles Erinnerungen an einen Urlaub oder einen schönen Moment auslösen kann, so kann auch alles Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis auslösen, somit gefährlich sein.

Wenn Freya Svenson einen schlimmen Krampfanfall hat, dann scheint das wie Epilepsie zu sein: Sie stürzt, zuckt am Boden, ist nicht oder nur bedingt bei Bewusstsein. Sie beschreibt das so: "Ich vergleiche das mit einem Sicherungskasten. Wenn ich mich in einem scheinbar gefährlichen Zustand befinde, kann ein kleiner Reiz zu viel sein, als würde man noch ein energieintensives Gerät an das Stromnetz hängen, das die Spannung dann nicht mehr halten kann. Dann fliegen die Sicherungen raus. In mühsamer Arbeit gilt es dann herauszufinden, welche Sicherungen man bedenkenlos wieder hochklappen kann und welche besser nicht. Bei einem Stromausfall tappt man erst einmal im Dunkeln. Ich muss dann herausfinden, welches Gerät, welcher Reiz zu viel war, um damit umzugehen und wieder zurückzukommen."

Traumapatientin Freya mit Assistenzhund Wastl

Das spezielle Geschirr erregt Aufmerksamkeit: Svenson wird häufig gefragt, was das Besondere an ihrem Hund ist.

(Foto: Corinna Guthknecht)

Auch für Rettungskräfte ist das nicht ohne Weiteres zu unterscheiden, eine Medikation gegen einen epileptischen Anfall aber wäre gesundheitsgefährdend. Zum Glück wird Svenson von Wastl begleitet. Mit der Zeit wurde er zu ihrem Assistenzhund. Eigentlich war Wastl als normaler Begleiter gedacht, als Aufgabe. Weil er von sich aus Hilfe anbot, so erzählt es Svenson, kam sie überhaupt auf die Idee, ihn zu trainieren. Etwa dass er sie zügig zu Ausgängen oder an den Rand führt, wenn es ihr schlecht geht. Oder gar um Anfälle anzuzeigen. Darin sei Wastl oft schneller als sie selbst, er bemerke kritische Situationen vor ihr und bleibe dann einfach stehen, bis sie sich auch einen Moment nehme und so vielleicht noch Schlimmeres abwenden kann. "Den Dickschädel haben wir gemeinsam", sagt sie lachend.

Nach ihrem Therapietermin in der Klinik an einem Donnerstag will Freya Svenson auf dem Weg in den Park noch Kleinigkeiten im Supermarkt am Hauptbahnhof besorgen. Da muss sie sich auf einmal setzen, mit einer Wand im Rücken, die gibt ihr Schutz. Dann kann sie sich auf das Geschehen vor sich konzentrieren, ihr Rücken bleibt frei. Wastl schmiegt sich an sie, reibt seinen Dickschädel an ihr, schleckt ihr die Hand. Freya Svenson streichelt ihren Hund, und gemeinsam mit Wastl kommt sie nach ein paar Minuten wieder auf die Beine.

Posttraumatische Belastungsstörung

Spätestens seit den Kriegsrückkehrern aus Afghanistan oder dem Irak ist der Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Wie es dazu kommt und wie man damit umgeht, ist weniger bekannt. Gehen Betroffene offen damit um, führt das oft zu deren Stigmatisierung oder, in einem zweiten Schritt, zu deren Pathologisierung. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Symptome wie eine dissoziative Störung, selbstdestruktives Verhalten oder eine gestörte Affektregulierung eher aus Traumata resultieren, die durch Menschen ausgelöst wurden. Das wird dann "man-made disaster" genannt. Chronische Traumata werden meist von Missverhalten eines oder mehrerer Mitmenschen, das nicht in das Weltbild passt, ausgelöst. Um die grobe Verletzung des Bildes dieses Menschen oder dessen Tat zu ertragen, spalten sich in der Folge ein oder mehrere Teile der Persönlichkeit ab, die dann wechselnd die Kontrolle übernehmen. Das ist mit dissoziativer Identitätsstörung gemeint. jlk

Assistenzhunde sind in Deutschland nicht institutionalisiert - außer den Blindenführhunden. Betroffene finanzieren und trainieren ihre Gefährten häufig selbst. Svenson ist so zu einer echten Expertin geworden, sie fertigt etwa Geschirre, sogenannte Kenndecken, selbst. Kenndecken sind meist signalfarben, neonorange oder -gelb, groß und gut sichtbar. Per Klettverschluss lassen sich verschiedene Embleme darauf fixieren, etwa "Abstand halten", "Assistenzhund im Dienst", "Bitte nicht ansprechen". Außerdem ist ein Notfalletui üblich. Darin finden sich Informationen für den Ernstfall.

Svenson hat die verschiedenen Stoffe und Farben zu Hause. Mit einem Computerprogramm designt sie die Warnzeichen, die ihre Stickmaschine dann per USB-Stick aufgespielt bekommt und herstellt. Sie hat eine Facebookseite, auf der andere Teams - so wird das Duo aus Betroffenen und Assistenzhund genannt - Kenndecken nach Wunsch bei ihr bestellen können. Im Durchschnitt stellt sie zwei pro Woche her, meist kommen aber viele Aufträge zugleich und dann ist es wieder ein paar Wochen ganz ruhig. Eigentlich ist Freya Svenson gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte. Sie arbeitet heute etwa 13 Stunden in der Woche als Bürokraft in einem Handwerksbetrieb, ihre ursprüngliche Ausbildung kommt aber ihrem Engagement zugute. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Arbeitskreis Assistenzhunde in Deutschland hat sie im November letzten Jahres eine Durchführungsempfehlung für ein Assistenzhundegesetz auf Bundesebene fertiggestellt. Nicht nur beim Argumentieren, auch bei den Formulierungen für das Papier kam ihr das juristische Fachwissen zupass.

Österreich hat schon ein Assistenzhundegesetz, und die SPD stellte bereits 2017 einen Antrag im bayerischen Landtag, der die Staatsregierung aufforderte, sich auf Bundesebene für die Ausbildung, den Einsatz und die Finanzierung von Assistenzhunden einzusetzen. Das Gesetz wäre auch wichtig für die Akzeptanz in der Gesellschaft, wenn der Hund etwa mit in den Supermarkt oder in eine Praxis muss. Ab und an beklagt sich jemand, was der Hund im Supermarkt oder beim Doktor mache. "Aber wo Straßenschuhe erlaubt sind, ist auch ein Hund kein hygienisches Problem" argumentiert Svenson, eine Verordnung des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung gibt ihr recht. "Ich habe gelesen, ein Assistenzhundegesetz sei nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen. Ja - weil das keiner auf dem Schirm hat!" Sie wird sich mit ihrem Arbeitskreis weiter für mehr Aufmerksamkeit einsetzen, mit Wastls Hilfe. Er scheint ihr die Kraft, den Rückhalt zu geben, um die Energieleistung eines solchen Engagements zu erbringen.

Assistenzhunde kosten, vor allem deren Ausbildung, wenn man sich professionelle Hilfe bei Trainern sucht. "Das Gehalt meines Jobs reicht für Miete und Hund, große Sprünge sind da nicht drin", sagt Freya Svenson. Beim Spaziergang im Englischen Garten nach der Therapiestunde wird Wastl abgeleint. Pause von der Arbeit, die hat er verdient, die ist wichtig. Das tut auch Svenson sichtlich gut, bei all der Hilfe ist Wastl eben auch: ein Hund.

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