Fußballspiel abgebrochen:Vater und Sohn klagen gegen Polizeieinsatz im Stadion

Fußballspiel abgebrochen: Der umstrittene Polizeieinsatz gegen Bayernfans in Heimstetten soll ein juristisches Nachspiel haben.

Der umstrittene Polizeieinsatz gegen Bayernfans in Heimstetten soll ein juristisches Nachspiel haben.

(Foto: @grummelgru)

Wegen eines Banners gingen die Beamten in Heimstetten mit Pfefferspray und Schlagstock gegen Bayernfans vor. Verletzt wurde dabei auch ein elfjähriger Bub. Nun wollen zwei Betroffene vor Gericht feststellen lassen, dass der Einsatz rechtswidrig war.

Von Christoph Leischwitz

Am Mittwochabend findet in München mal wieder ein Geisterspiel statt - viele Polizisten werden also im Grünwalder Stadion nicht nötig sein, wenn das Duell zwischen Türkgücü München und der zweiten Mannschaft des FC Bayern angepfiffen wird. Ein Polizeieinsatz vor knapp vier Monaten ist jedoch der Grund, dass dieses Regionalligaspiel wiederholt werden muss. Im vergangenen November wurde die Partie nach nur 90 Sekunden unter- und später abgebrochen, weil die Bereitschaftspolizei wegen eines umstrittenen Banners mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Bayernfans vorging. Dieser Vorfall soll nun noch ein anderes Nachspiel haben als ein Wiederholungsspiel.

Bei dem Einsatz im Sportpark Heimstetten ist auch ein elfjähriger Junge verletzt worden. Er hatte Pfefferspray in die Augen bekommen, obwohl er nachweislich recht weit entfernt stand von jenen Fans, denen der Einsatz galt - der von vielen Beteiligten im Nachhinein als völlig unverhältnismäßig angesehen wird. Zusammen mit seinem Vater - beide wollen nicht namentlich genannt werden - klagt er gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Polizeipräsidium München.

Nicht, um Schmerzensgeld zu erhalten, sondern um festzustellen: Dieser Einsatz war rechtswidrig, "einschließlich der angewendeten Zwangsmittel, insbesondere des großflächigen Pfeffersprayeinsatzes, durch den die beiden Kläger verletzt wurden", wie es in der Klageschrift heißt. "Wir hatten nichts mit der Sache zu tun. Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir wollen das Vertrauen zu ihm wiedergewinnen", sagt der Vater zur Begründung. Sie seien "Normalos", Spiele des FC Bayern II seien ihr gemeinsames Hobby.

Die ersten beiden Nächte nach dem Einsatz in Heimstetten, der damaligen Heimspiel-Stätte von Türkgücü, habe er Albträume gehabt, berichtet der junge Münchner, jetzt gehe es ihm wieder gut. Die Entscheidung, nun zu klagen, sei bei den beiden nach und nach gereift. Auch, weil die Polizei im Nachgang wiederholt versucht habe, mit ihren Pressemitteilungen ein aus Sicht der beiden Fans falsches, verharmlosendes Bild des Einsatzes zu zeichnen. "Ganz wesentlich für unsere Argumentation ist: Es gab von Seiten der Bayernfans keine tätlichen Angriffe und keine Gefahr der Auseinandersetzung zwischen den beiden Fanlagern", sagt Rechtsanwalt Marco Noli, der den Elfjährigen und seinen Vater vertritt. Die Polizei wollte sich auf Nachfrage nicht äußern, ein Sprecher verweist auf das laufende Verfahren.

Auslöser des Einsatzes damals war ein Banner, das Bayernfans mit in den Sportpark gebracht hatten. Darauf zu lesen ist "FC Bayern Fanklub Kurdistan", das Vereinswappen der Bayern in der Mitte ist durch eine kurdische Flagge ersetzt. Es bezieht sich auf einen Bayern-Fanklub ähnlichen Namens, den es tatsächlich gibt, das Banner hing auch schon beim Hinspiel im Grünwalder Stadion vier Monate zuvor. Verbotene Inhalte zeigt es jedoch nicht - für den Anwalt der Kläger ein wichtiger Grund um festzustellen, wie unverhältnismäßig die gewaltsame Entwendung des Banners war. Türkgücü berief sich damals auf das Hausrecht, um das Zeigen des Banners zu verhindern. Rechtsanwalt Noli beruft sich hingegen auf die Meinungsfreiheit.

Gleich nach Anpfiff lief die Bereitschaftspolizei aufs Spielfeld

Das Banner war während des Einlaufens der Mannschaften und in der ersten Spielminute zu sehen gewesen, dann wurde es hinter die Werbebande gedreht, an der es festgemacht war. Gleich nach Anpfiff lief die Bereitschaftspolizei aufs Spielfeld, sodass der Schiedsrichter die Partie nicht fortsetzen konnte. Bis zum eigentlichen Einsatz dauerte es dann weitere 40 Minuten. In dieser Zeit sollen Fans zugesichert haben, das zurückgeschlagene Banner nicht noch einmal zu zeigen. Hergeben wollten sie es allerdings auch nicht. Die Polizei hatte nach dem Vorfall erklärt, dass Ordner der Heimmannschaft versucht hätten, das Banner zu entfernen, aber von Bayern-Fans mit Gewalt daran gehindert worden seien.

Videos aus verschiedenen Perspektiven legen nahe, dass die Stimmung entgegen späterer Polizeiberichte alles andere als aufgeheizt war. Zu sehen sind einige Funktionäre von Türkgücü, die emotional reagierten. Einer von ihnen wollte das Banner herunterreißen, was einen kurzen Protest der Bayernfans provozierte. Türkgücü-Präsident Taskin Akkay ist noch vor dem Einsatz im Gespräch mit der Einsatzleitung der Polizei zu sehen. Die Handvoll Türkgücü-Fans auf der anderen Seite des Spielfeldes war vor allem damit beschäftigt, Handyvideos zu drehen. Später erklärte die Polizei, die auch von zahlreichen Verletzten in den eigenen Reihen berichtete, man habe mit dem Einsatz eine Konfrontation der Fangruppierungen verhindern wollen. "Die vermeintliche Sorge der Polizei ist nicht tatsachenbasiert", findet hingegen Anwalt Noli.

Auch ein anderer Fan sagte wenige Tage nach dem Einsatz der SZ, er habe wegen des Pfeffersprays noch lange Ohrenschmerzen gehabt und außerdem schwere Prellungen an den Armen davongetragen. Über Chatgruppen verbreiteten sich damals schnell Videos vom Einsatz. Empörung löste bei den Fans eine Szene aus, in der ein Beamter oder eine Beamtin auf einen am Boden liegenden, offensichtlich wehrlosen Fan mit dem Schlagstock einschlug. In später aufgetauchten Videos ist außerdem zu sehen, wie großflächig die Polizei das Pfefferspray einsetzte, Anwalt Noli spricht von einer regelrechten "Dusche".

Im Tumult wurden Vater und Sohn getrennt

"Wir waren total perplex, als der Einsatz begann, es ging alles wahnsinnig schnell", sagt der Vater, der von den "schlimmsten Minuten meines Lebens" spricht - denn in dem Tumult sei er rund zehn Minuten von seinem Sohn getrennt worden. Erst der Stadionsprecher habe die beiden wieder zusammengebracht. Nach dem Ausspülen der Augen seien sie auf Anraten des Notarztes noch mit dem öffentlichen Nahverkehr ins Krankenhaus für eine weitere Untersuchung gefahren. Zu den Polizeibeamten habe es während oder nach der notärztlichen Versorgung keinen Kontakt mehr gegeben, demnach auch keine Entschuldigung bei dem Jungen.

Der Elfjährige stand ein wenig abseits des harten Fan-Kerns, auf einer der oberen Reihen der Tribüne. Der Sohn berichtet, in seiner unmittelbaren Nähe hätten noch mehr Zuschauer Pfefferspray abbekommen. Sie waren so lange im Stadion geblieben, weil sie immer davon ausgegangen seien, dass das Spiel noch fortgesetzt werde, erklärt der Vater. Die beiden Kläger hätten auch erst im Nachhinein von der politischen Bedeutung des Banners erfahren. "Ich weiß nicht, wo Kurdistan ist", sagt der Junge. Das Banner wurde übrigens bis heute nicht zurückgegeben.

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