Gestern war so ein schöner Samstag - ein Sommertag in München. Leider haben Ihre Beamtinnen und Beamten ihn uns verdorben." Der Brief, den Katrin Scholl am 14. Juni an den Polizeipräsidenten Hubertus Andrä geschrieben hat, ist in ruhigem, freundlichem Ton gehalten, und trotzdem klingt Bitterkeit darüber durch, wie ihr Sohn und seine drei Freunde an jenem Tag behandelt wurden.
Die vier hatten im Maßmannpark Basketball gespielt. Gegen 19 Uhr wollten sie sich im Eisbach abkühlen. Maliks Vater stammt aus Ägypten, er selbst ist in Starnberg geboren. Zwei seiner Freunde haben ebenfalls einen deutschen Pass, einer ist Spanier. Aber allen ist anzusehen, dass sie nicht nur weiße Vorfahren hatten. Am Eingang zum Englischen Garten steht an diesem Sommerabend ein Mannschaftswagen der Polizei. Aus dem Strom der Besucher winken die Beamten die vier Jugendlichen mit dunkler Hautfarbe heraus. "Wegen Corona", sagt eine Beamtin zur Begründung, so schildert es Scholz. Dann müssen sich die vier an den Mannschaftswagen stellen, Hände aufs Dach, Beine auseinander. "Immer wieder wurden wir gefragt, ob wir etwas Spitzes dabei haben oder Drogen", erinnert sich der 20-Jährige Informatikstudent. Sie fragen, warum die anderen nicht kontrolliert werden, die mit weißer Hautfarbe, die in großen Gruppen vorbeiflanieren. Damals gelten noch strengere Kontaktbeschränkungen. "Die haben wir nicht gesehen", sei die Antwort gewesen.
Leserdiskussion:Wie kann Racial Profiling effektiv vermieden werden?
Eine Studie war zur Bekämpfung von Racial Profiling geplant. Nun ist sich der Innenminister nicht mehr sicher. Allein gelassen werden so nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Polizisten, kommentiert SZ-Autorin Constanze von Bullion.
Den Abend verbringt Katrin Scholz damit, ihren Sohn zu beruhigen. Als weiße Frau sei sie in München in 20 Jahren noch nicht ein Mal von der Polizei angehalten worden. Warum passiert es ihrem Sohn, der eine dunklere Hautfarbe hat, andauernd. "Eltern von weißen Kindern müssen diese Gespräche mit ihren heranwachsenden Kindern nicht führen. Weiße junge Menschen müssen auch nicht an einem Polizeiwagen stehen und sich vor allen Vorübergehenden durchsuchen lassen", schreibt sie in ihrem Brief an den Polizeipräsidenten. Was wird die Polizei tun, damit nichtweiße Menschen nicht mit dem Gefühl aufwachsen, falsch zu sein? Fünf Wochen sind seitdem vergangen, eine Antwort hat Scholz nicht bekommen.
Während Politiker und Vertreter von Polizeigewerkschaften darüber streiten, ob es sogenanntes Racial Profiling in Deutschland überhaupt gibt und ob eine wissenschaftliche Studie dazu sinnvoll wäre, melden sich täglich mehr Menschen, die genau das erlebt haben, dass sie als Schwarze oder arabisch aussehende Menschen ohne Anlass kontrolliert werden, während die Einsatzkräfte Weißen scheinbar keine Aufmerksamkeit schenken.
Erst am Mittwoch hatte Leon Ohanwe ein ganz ähnliches Erlebnis. Der Münchner war mit zwei Freunden gegen 16 Uhr auf dem Weg in den Englischen Garten. Am Eingang Paradiesstraße Ecke Himmelreichstraße wurden sie von Polizisten einer Hundertschaft angehalten. Die Beamten verlangten die Ausweise, notierten die Namen und sprachen Platzverweise für die drei Schwarzen aus. Wenn sie innerhalb von 24 Stunden im Englischen Garten angetroffen würden, kämen sie in eine Zelle. "Dann könnt ihr dort euren Spaß haben", habe ein Beamter gesagt. Begründet wurde das mit den Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt in den vergangenen Wochen. Die drei kehrten um.
"Mei, ich bin des gewöhnt", sagt Ohanwe, der in München geboren und aufgewachsen ist und jetzt Pflegewissenschaften studiert. Das Gespräch habe vielleicht eine Minute gedauert. Ein weißer Passant spracht sie an und fragte dann die Polizisten, warum die Schwarzen Jugendlichen nicht in den Park durften, er aber schon. Er passe "nicht ins Klientel", sei die Antwort gewesen. Seit Ohanwes Bruder den Vorfall am Mittwochabend per Twitter bekannt machte, bemüht sich die Polizei um Klärung. Das Präsidium will sich zur Sache erst äußern, nachdem alle Beteiligten angehört wurden.
Der Umgang der Münchner Polizei mit Menschen mit Migrationsgeschichte war erst Anfang des Monats Thema einer Aussprache zwischen Vertretern jüdischer und muslimischer Verbände sowie der Beratungsstelle für Betroffene von rechter und gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung in München (Before) mit dem Polizeipräsidenten Hubertus Andrä auf Einladung der Stadt. "Das Hearing war ein sehr wichtiger Schritt nach NSU, OEZ, Hanau und Halle", sagt Nesrin Gül, die stellvertretende Vorsitzende im Migrationsbeirat der Stadt. "Die Menschen haben sich gehört gefühlt und hatten das Gefühl, dass das Thema ernst genommen wird." Gül lobt auch den Kontakt zum Innenministerium. Dass Joachim Herrmann die jährlichen Fachtagungen des Dachverbands der bayerischen Migrationsbeiräte (AGABY) besuche und sich die Ergebnisse sowie Forderungen aus deren Arbeit anhöre, sei ein gutes Zeichen. Umso mehr bedauert sie, dass sich nun auch Herrmann gegen eine Untersuchung rassistischer Muster bei der Polizei ausgesprochen hat. "Damit wird vor allem den Polizistinnen und Polizisten Unrecht getan", meint sie. Die Verschlossenheit wecke erst recht Skepsis. Eine wissenschaftliche Basis wäre die Voraussetzung dafür, um zu überlegen: "An welchen Stellschrauben können wir gemeinsam drehen?"
Statt Polizisten an den Pranger zu stellen, sollte ihre interkulturelle Kompetenz noch stärker gefördert werden. Dazu gehörten Antidiskriminierungsschulungen und Antirassismusschulungen, und zwar "für Polizistinnen und Polizisten mit und ohne Migrationshintergrund". Denn Rassismus und Diskriminierung gebe es nicht nur unter Menschen ohne Migrationshintergrund: "Es gibt auch türkische Menschen, die gegenüber Schwarzen diskriminierend sind. Und es kann Schwarze geben, die Antisemiten sind."
Um Misstrauen abzubauen, sollte es mehr Begegnungen geben, findet Gül. Sie erinnert sich an den Polizisten in Uniform, der zur Verkehrserziehung in ihre Grundschule kam. "Das hat bei mir Distanz abgebaut. So etwas fehlt im Erwachsenenalter. Wenn man keine Polizisten im Freundeskreis hat, sind und bleiben wir einfach nur die, die öfter kontrolliert werden. Und das ist die einzige Begegnung".
Von Fällen, in denen Menschen, die nicht weiß sind, bei Kontrollen gezielt herausgepickt würden, höre er immer wieder, sagt Damian Groten von Before. "Die Kontrolldichte ist bisweilen so hoch, dass eine Person bei ihrem Weg durch die Stadt mehrfach kontrolliert wird." Fehler und Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Morde und der Umgang mit deren Betroffenen hätten gezeigt, dass es bei der Polizei einen "heftigen toten Winkel" gibt, sagt Groten. Bisher habe sich die Polizei dem nicht öffentlich gestellt. Immerhin, es gibt Ansätze zu einem Austausch: Gemeinsam mit dem Kommissariat 105, das für Prävention und Opferschutz zuständig ist, wurde eine Broschüre entworfen, die auf allen Polizeidienststellen ausliegt und Opfer rassistischer Diskriminierung auf Beratungsmöglichkeiten hinweist.
In jeder Gesellschaft gebe es rassistische Tendenzen, sagt Imam Benjamin Idriz, Vorsitzender des Münchner Forums für Islam. "Warum sollte die Polizei eine Ausnahme sein?" Wichtig sei, dass sie sich bemühe. "Die Polizei sollte ein klares Signal senden, dass jeder Mensch auf ihren Schutz zählen kann. Und dass sie sensibel mit Menschen mit Migrationshintergrund umgeht. Damit sich so ein Eindruck nicht verfestigt." Nach den jüngsten Anschlägen in Hanau und Halle wünscht sich Idriz einen festen Ansprechpartner im Polizeipräsidium. Andrä wiederum beklagte, er habe seinerseits keinen festen Ansprechpartner unter den 150 000 Muslimen in München. "Ich habe mich angeboten, bisher hat sich niemand gemeldet", sagt Idriz.
Auf Nachfrage der SZ erklärte das Polizeipräsidium am Freitag, der Brief von Katrin Scholz aus dem Juni sei "aktuell noch in Bearbeitung". Sie werde "zeitnah" eine Antwort erhalten. "Jegliche Beschwerden zu dem Thema Racial Profiling werden von uns intensiv überprüft, da dies für die Bayerische Polizei in keiner Art und Weise akzeptabel wäre", sagte Polizeisprecher Werner Kraus.
Leon Ohanwe sagt: "Ich würde mir einfach eine Entschuldigung wünschen. Und eine Erklärung, dass das nicht richtig war." Dass an diesem Mittwoch nicht alle einfach weiter gegangen sind, sondern der Zeuge die Beamten angesprochen hat, das macht ihm Hoffnung.