Süddeutsche Zeitung

Callcenter-Mafia:Polizei warnt vor Schockanrufen

Falsche Beamte mit immer neuen Betrugsmaschen bleiben ein Problem für ihre echten "Kollegen". Vor allem aber für Münchner Senioren.

Von Martin Bernstein

Bei Anruf Betrug: Mit ungewöhnlichen Methoden intensiviert die Münchner Kriminalpolizei ihren Kampf gegen die in Callcentern organisierte Kriminalität. Warnhinweise auf hunderttausend Bäcker-Tüten sollen für die skrupellosen Methoden der Telefon-Mafia sensibilisieren. Für eine 76-Jährige aus dem Münchner Stadtteil Milbertshofen kommt die aktuelle Präventionskampagne jedoch zu spät: Gold im Wert von rund 150 000 Euro hat sie am Dienstag nach einem perfiden Schockanruf einem unbekannten Abholer übergeben, der sich als Mitarbeiter der Verkehrspolizei ausgab.

Ein nahezu typischer Fall, wie Désirée Schelshorn sagt, die stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe (AG) "Phänomene" im Münchner Polizeipräsidium. Die Jägerinnen und Jäger der Telefonbetrug-Mafia haben in jüngster Zeit zahlreiche Fahndungserfolge erzielt - in München ebenso wie in der Türkei. Der altbekannte "Enkeltrick" spielt zumindest in München keine Rolle mehr, die Masche mit den falschen Polizisten, die vor einer angeblichen Einbruchsgefahr warnen, zieht auch immer weniger.

Alte Bekannte mit neuer Masche

Dafür steigen die Zahlen bei einer relativ neuen Betrugsmethode rasant an: den so genannten Schockanrufen. Für Schelshorn und ihre Kolleginnen und Kollegen stecken dahinter alte Bekannte - dieselben von Polen aus operierenden Großfamilien, die vor Jahren den Enkeltrick zu einem florierenden Verbrechens-Franchise ausgebaut hatten.

Wie der 76-Jährigen aus Milbertshofen ergeht es vielen Opfern der Callcenter-Mafia. Am Telefon meldet sich ein angeblicher Polizist - am Dienstag gab er sich als Beamter der Münchner Verkehrspolizei aus - und erzählt von einem fürchterlichen, oft sogar tödlichen Unfall, den eine Tochter, ein Enkel oder ein anderer naher Angehöriger verursacht haben soll.

Auf diesen ersten Schock folgt schnell der zweite. Ein weiterer männlicher oder weiblicher "Keiler", wie Schelshorn die psychologisch bestens geschulten, meist akzentfreies Deutsch sprechenden Anrufer nennt, ist zu hören: eine sich überschlagende Stimme, Schluchzen, hemmungsloses Weinen. Selbst eine erfahrene Ermittlerin wie Désirée Schelshorn bekommt noch immer Gänsehaut, wenn sie Aufzeichnungen derartiger Telefonate hört. "Das ist total authentisch", sagt sie. Die Täter verursachten damit Angst und Schrecken.

Das Märchen von der Kaution

Das nutzt dann der nächste Betrüger, ein angeblicher Staatsanwalt oder Gerichtsmitarbeiter. Die Tochter könne auf freien Fuß kommen, bietet er an - freilich gegen eine horrende Kaution. Derart unter Druck gesetzt, verriet die Milbertshofener Seniorin, dass sie Gold in einem Bankschließfach habe. Dieses sollte sie holen und einem Boten übergeben. So geschah es gegen 15 Uhr im Bereich Moosacher, Norderneyer und Preußenstraße. Der Abholer wird als junger Mann mit kurzer Hose und dickem Bauch beschrieben. Manchmal, erzählt Schelshorn, werden die Opfer sogar zu einem Gerichtsgebäude dirigiert - und davor dann von einem angeblichen Mitarbeiter abgepasst.

Irgendwo in Warschau oder Krakau, Breslau oder Posen beißt ein Telefon-Abzocker noch einmal in sein Frühstücksbrötchen, ehe er die Nummer einer Frau oder eines Mannes wählt, deren Vorname im Münchner Telefonbuch auf ein höheres Lebensalter schließen lässt. "Guten Tag, hier Müller von der Verkehrspolizei. Wir haben eine unangenehme Nachricht für Sie...". Was man dagegen tun kann, steht auf den Gebäck-Tüten, die die Bäcker-Innung im Großraum München ausgibt. Der wichtigste Tipp: auflegen. Sofort auflegen.

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