Als Stefan H. ( Name geändert) am Morgen des 8. April 2018 völlig zugekokst mit seinem Auto in der Müllerstraße gegen ein Garagentor rauschte, ahnte niemand, welche Welle der kleine Unfall auslösen würde. Stefan H. war der Drogendealer der Reichen und Schönen, des hippen Partyvolkes in der City - und der Dealer der Polizei. Stefan H. packte als Kronzeuge aus und bis heute haben die internen Ermittler beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) 37 Kollegen und 21 weitere Beschuldigte in die Mangel genommen. Bei 24 Polizisten wurde die Soko "Nightlife" in Sachen Drogen fündig, fünf von ihnen müssen sich demnächst vor Gericht verantworten. Ein suspendierter Beamter war sogar untergetaucht und wurde am Montagabend festgenommen.
"Die umfangreichen Ermittlungen neigen sich nun dem Ende zu", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Tatsächlich musste die zunächst einberufene Ermittlungsgruppe beim LKA zu einer Sonderkommission aufgestockt werden, sieben Millionen Chatnachrichten, 6,7 Millionen Bilddateien und über 130 000 Videos mussten gesichtet werden.
Mitte Juli 2018 war die Staatsanwaltschaft in die Geschichte eingestiegen. Bis dahin hatte Stefan H., in dessen Auto sich Drogen fanden, geschwiegen. Doch nach und nach erkannte er den Ernst seiner Lage und wurde gesprächiger. Er erzählte von Polizisten, die ihn "schützen" würden, davon, dass er ihnen Koks zum Vorzugspreis verkaufe und die sich durch Weiterverkauf "eine goldene Nase" an ihm verdienen würden.
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Die Ermittler waren anfangs skeptisch, aber der Großteil der Aussagen von H. erwies sich als wahr. Sie sichteten Videos, auf denen H. mit Polizisten im P1 zu sehen war, und der Großdealer sagte einem Ermittler auf den Kopf zu: "Ich weiß, dass ein Foto von mir bei dir im Büro hängt." Tatsächlich stellte sich heraus, dass ein Beamter, der sich im Drogendezernat vorgestellt hatte, das Foto gesehen und es brühwarm dem Dealer erzählt hatte. Dieser Polizist wird wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen vor dem Schöffengericht angeklagt. Schöffengericht heißt, dass eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren verhängt werden kann. Allerdings dürfte das Dienstgeheimnis das kleinere Problem für den Beamten sein: Ihm wird Drogenerwerb in 69 Fällen vorgeworfen, in vier Fällen auch Koks-Handel, diverse Beihilfehandlungen sowie das Veruntreuen von Dienstmunition.
Ein Polizist wurde nach der Aussage von Stefan H. auf seiner Dienststelle festgenommen. Er hatte einen extrem hohen Kokswert im Blut. Peu à peu werteten die Ermittler Chatnachrichten der ersten Verdächtigen aus, am Ende stellten sie 94 Handys und 117 sonstige Speichermedien sicher. Der Skandal, der zunächst hauptsächlich die Betreiber und Manager des Heart-Clubs am Lenbachplatz betroffen hatte, weitete sich immer mehr in Polizeikreise aus. Vergangenen Herbst folgte eine Großrazzia der Polizei bei den Kollegen.
Die Polizisten sollen alle "freundschaftlich und kollegial" miteinander verbunden gewesen sein, sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Man gehe nicht von einer "geschlossenen Gruppe" aus, innerhalb der gedealt oder konsumiert wurde. Einige der Beschuldigten hätten sich schon länger gekannt, bei anderen sei der Kontakt lose gewesen. "Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Beteiligte über die Straftaten der jeweils anderen vollumfänglich Kenntnis hatte", sagt Leiding.
Von den 37 verdächtigen Polizisten haben 24 mit Konsequenzen zu rechnen. Bei 13 Beamten war laut Leiding "ein Tatnachweis nicht zu führen". Drei geringfügige Verfahren wurden gegen Geldauflage eingestellt. Zwölf Beamte erhielten einen Strafbefehl, diese sind zum Teil bereits rechtskräftig. Fünf Beamte werden nun auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht Platz nehmen müssen. Sie sollen unter anderem sichergestellte Drogen für den Eigenbedarf abgezweigt, gekauft, konsumiert oder selbst gedealt haben.
Vorwiegend war Kokain die Droge Nummer eins bei den Beamten, gefolgt von Marihuana, aber auch Ecstasy und der Partydroge MDMA. Das Polizeipräsidium München betreibt von den ursprünglich 22 Disziplinarverfahren gegen seine Beamten noch 20. Laut einem Sprecher sei ein Disziplinarverfahren aufgrund der Nicht-Nachweisbarkeit des Vorwurfs bereits eingestellt. Ein zweites Verfahren werde eingestellt, da sich der betroffene Beamte entlassen ließ. Aktuell seien acht Beamte suspendiert, bei vier von ihnen werde das Verfahren der vorläufigen Dienstenthebung betrieben.
Der ehemalige Drogendealer Stefan H. hat bereits in einigen Fällen vor Gericht ausgesagt und wird bei der Justiz auch in Zukunft gut zu tun haben. Für ihn ist der große Rausch zu Ende. Er sagt, er wolle jetzt reinen Tisch machen.