Süddeutsche Zeitung

Kriminalitätsbekämpfung:So international arbeitet die Münchner Polizei

  • Straftäter stoppen nicht an Grenzen. Bei der Aufklärung vieler Verbrechen ist deshalb eine internationale Zusammenarbeit erforderlich.
  • Rechtshilfe wird im praktischen Alltag immer wichtiger, betont Felix Hofmeir von der Staatsanwaltschaft München I.
  • Das "diplomatische Parkett", auf dem er und seine Kollegen sich bewegen, ist nicht immer eben. Je nach Land ist der Aufwand noch sehr hoch.

Von Martin Bernstein

Eine russische Einbrecherbande, die von Berlin aus München und Wien heimsucht. Österreichs aktivster Bankräuber, ein Schwede, der für seine Taten aus Berlin anreist und bei einem Zwischenstopp in München eine Apotheke an der Schwanthalerstraße ausraubt. Und nicht zuletzt die von Polen aus agierenden Enkeltrickbetrüger, die seit dem Erfolg eines grenzüberschreitend tätigen Joint Investigation Teams der Polizei einen großen Bogen um München machen. International aktive - und oft auch organisierte - Kriminelle erfordern eine internationale Zusammenarbeit der Ermittler und Strafverfolger. "Rechtshilfe wird im praktischen Alltag immer wichtiger", sagt Felix Hofmeir von der Staatsanwaltschaft München I. Er und seine Kollegen brauchen dabei Fingerspitzengefühl, denn: "Wir bewegen uns auf diplomatischem Parkett."

Nicht mit allen Staaten ist die Zusammenarbeit der Münchner Strafverfolger so einfach wie mit ihren österreichischen Kollegen, von denen vor Kurzem mehrere zum Erfahrungsaustausch in die Stadt gekommen sind. Gute Kontakte - und oft auch das Fehlen von Sprachbarrieren - sind der Schlüssel zum Fahndungserfolg.

Strafverfolgung

1825 Fälle gab es im Jahr 2018, in denen Münchner Staatsanwälte bei Rechtshilfevorgängen aktiv wurden - sowohl Ersuchen aus dem Ausland (1322) als auch umgekehrt. 117 Auslieferungsverfahren leiteten die Strafverfolger vergangenes Jahr ein, heuer bisher 59. 21 Gesuchte wurden in diesem Jahr nach Deutschland überstellt. 81 Prozent der Festnahmen erfolgen in der EU, 15 Prozent im übrigen Europa, vier Prozent im Rest der Welt. Zwei europäische Einrichtungen helfen bei der internationalen Zusammenarbeit: das informelle "Europäische Justizielle Netz" und die EU-Justizbehörde Eurojust. bm

Das zeigt die Festnahme einer hoch spezialisierten, bestens organisierten und in ihrem Metier extrem effektiven Einbrecherbande russischer Herkunft, die Münchner und Wiener Fahndern vor einem Jahr gelungen ist. In München muss sich das Trio in Kürze vor Gericht für seine Taten verantworten - in Österreich wurden die Männer bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Und die Ermittlungen gehen laut Staatsanwaltschaft noch weiter. Denn noch sind nicht alle Hintergründe aufgeklärt, noch fehlt der Gold- und Silberschmuck aus der Beute.

Die Handys verrieten den Aufenthaltsort in Österreich

Es waren nur vier Tage im April vergangenen Jahres. In dieser kurzen Zeit wurden in München 25 Wohnungseinbrüche verübt, die offenbar alle auf das Konto derselben Bande gingen. Zu speziell war die Handschrift: Die Täter schlugen tagsüber zu. Sie schraubten oder drückten Türspione aus der Fassung und führten durch das Loch Werkzeug ein, mit dem sie die Wohnung öffnen konnten. Damit nichts verräterisch quietscht, schmierten sie auch noch Öl auf die Türen. Am 20. April endete die Serie so abrupt, wie sie begonnen hatte. Aber nur für kurze Zeit. Zwei Monate später war die Bande wieder zurück. Diesmal knackte sie 17 Wohnungen.

An den Tatorten wurden immer wieder dieselben Mobiltelefonnummern registriert. Plötzlich verschwanden diese Nummern aus Münchner Funkzellen - und tauchten in Wien wieder auf. Die Münchner Polizei schlug daraufhin im Nachbarland Alarm. Es dauerte genau zwei Tage, dann war die Bande auch dort im Visier der Ermittler. Ein sofort umgesetztes Rechtshilfeersuchen der Münchner Fahnder machte es möglich. Einen weiteren Tag später wurden die Benutzer der Handys in der österreichischen Hauptstadt festgenommen. Auf frischer Tat, wie sich zeigte.

Auch in Wien hatten die laut Staatsanwältin Heike Rossig offenbar perfekt aufeinander eingespielten Einbrecher binnen vier Tagen 18 Wohnungen auf ihre ganz spezielle Art und Weise aufgebrochen. Sie hatten sogar noch Zeit gefunden, einen Teil der Beute in zwei Paketen an Adressen in Berlin zu schicken. Auch dort schlug die Polizei zu, wurde zum Teil auch bei Verwandten der drei russischstämmigen Tatverdächtigen fündig. Etliche Beutestücke ließen sich eindeutig Einbrüchen in München und Wien zuordnen. Andere Stücke, darunter Parfüm und Markenbekleidung, aber auch ein edler Füllfederhalter mit Gravur, entdeckten Beamte in einem Self-Storage-Lager in Wien. Allein in München hat die Bande einen Sachschaden von mehr als 14 000 Euro angerichtet - der Wert der Beute dürfte rund 20 Mal so hoch sein.

Die größte Bankenraubserie Österreichs

In einem weiteren Fall deutsch-österreichischer Ermittlungen gelang es, wie Felix Hofmeir sagt, "die Nadel im Heuhaufen zu finden". Und quasi nebenbei auch noch einen bewaffneten Raubüberfall auf eine Apotheke an der Schwanthalerstraße aufzuklären. Dort hatte Anfang März vergangenen Jahres ein bewaffneter Mann mit einer auffallend altmodischen Brille mit getönten Gläsern mehrere Hundert Euro erbeutet. Was weder die Apothekerin noch die Münchner Polizei ahnen konnten: Sie hatten es mit dem Urheber der größten Bankraubserie in Österreich zu tun. 16 Überfälle auf Geldinstitute in Wien, Linz und Graz gingen auf das Konto desselben bewaffneten Täters. Fast neun Jahre lang trieb der Unbekannte sein Unwesen. Weil der Bankräuber hochdeutsch sprach, folgerten die Wiener Ermittler, dass er aus dem Nachbarland stammen könnte.

Die Initiative ging diesmal also von Wien aus. Von einer Öffentlichkeitsfahndung in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" versprachen sich die Ermittler Fortschritte, vielleicht sogar den einen, entscheidenden Hinweis. Weil die Sendung in den Bavaria Filmstudios in Grünwald produziert wird, war die Münchner Staatsanwaltschaft für das Rechtshilfeersuchen zuständig. Eine erste Präsentation 2016 führte noch nicht zum Erfolg, doch eine weitere TV-Fahndung zwei Jahre später mit 3-D-Animation des Phantombildes brachte dann den Durchbruch: Der Mitarbeiter eines Lagerraumunternehmens in Berlin erkannte einen seiner Kunden wieder.

Am 5. Februar gelang der Zugriff. Der Tatverdächtige, ein 54 Jahre alter schwedischer Staatsbürger, wurde festgenommen. Die Banküberfälle in Österreich hat er laut Staatsanwalt Hofmeir bereits gestanden - und auch den Überfall auf die Münchner Apotheke. Der Mann wurde inzwischen an die Alpenrepublik ausgeliefert, bald soll ihm in Wien der Prozess gemacht werden.

Enkeltrick-Betrüger aus Breslau, Posen und Danzig

"Wir kriegen viele", sagt Staatsanwalt Hofmeir. So sei dank internationaler Zusammenarbeit - in diesem Fall mit der polnischen Polizei - das Phänomen "Enkeltrick" aus München fast ganz verschwunden. Ende 2015 hatte ein deutsch-polnisches Joint Investigation Team drei dieser Callcenter-Banden in Breslau, Posen und Danzig ausgehoben. Seitdem hatten ältere Münchnerinnen und Münchner weitgehend Ruhe vor den verhängnisvollen Anrufen, die oft mit den Worten "Rate mal, wer dran ist ..." begannen. Erst 2018 registrierte die Münchner Polizei nach zwei Jahren wieder einen Anstieg der Fälle von Enkeltrickbetrug. Die Anzahl der Delikte stieg von 23 Fällen im Jahr 2017 auf 51 im Jahr darauf. 2016 und 2017 waren die Telefonbetrüger nur jeweils einmal an das Ersparte ihrer zumeist betagten Opfer gekommen, 2018 gab es vier vollendete Taten. "Die Schadenssumme erhöhte sich signifikant von 30 000 Euro im Vorjahr auf nunmehr 185 000 Euro", heißt es seitens der Polizei. Zum Vergleich: Im Jahr vor der deutsch-polnischen Razzia hatten Enkeltrickbetrüger in München noch 600 000 Euro erbeutet.

Rechtshilfeersuche auch nach Hongkong, Myanmar oder Peru

Aber "wir kriegen viele" bedeutet eben nicht, dass Münchner Polizisten und Staatsanwälte alle Straftäter dingfest machen können, die die europäische Freizügigkeit für ihre Zwecke ausnutzen. Das "diplomatische Parkett", auf dem Hofmeir und seine Kollegen sich bewegen, ist nicht immer eben. Gerade bei einigen "exotischeren" Ländern seien Bearbeitungsdauer und Aufwand noch immer recht hoch. Münchner Staatsanwälte haben dennoch zuletzt Rechtshilfeersuchen unter anderem nach Bosnien, Hongkong, Myanmar, Peru, Serbien, Singapur und Togo veranlasst. Und auch in die USA und in die Türkei. Bei Ländern außerhalb der Europäischen Union ist man auf deren "Goodwill", das Wohlwollen der dortigen Behörden angewiesen.

Ein Beispiel dafür ist die Betrugsmasche mit den falschen Polizisten, die den Enkeltrickbetrug zumindest in München längst abgelöst hat. Im Jahr 2017 waren insgesamt 3239 derartiger Anrufe allein im Bereich des Polizeipräsidiums bekannt geworden, 2018 waren es 2465. Die Schadenssumme durch falsche Polizeibeamte belief sich in den vergangenen Jahren jeweils auf mehr als vier Millionen Euro allein in München. Die Hintermänner arbeiten von hochmodern ausgestatteten Callcentern in der Türkei aus. "Da tun wir uns etwas schwerer", sagt Staatsanwalt Hofmeir. Immerhin: Bei zwei Großrazzien Anfang Dezember nahmen türkische Sicherheitskräfte in mehreren Städten knapp 60 Verdächtige fest. Und im Sommer vor einem Jahr hob die türkische Polizei mit Unterstützung durch zwei Münchner Fahnder erstmals eine Bande in Antalya aus.

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SZ vom 11.07.2019/aner
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