Dänemark führt 5 zu 4 gegen Schweden in diesem olympischen Handball-Viertelfinale, aber erstens ist das ohnehin erst die neunte Spielminute und zweitens interessiert im Moment niemanden, was auf den zahlreichen Monitoren zu sehen ist in diesem Wettbüro an der Goethestraße. Gerade sind 15 schwarz gekleidete Männer und Frauen unter martialischem Getrampel eingezogen in das Lokal – man könnte auch sagen: Sie haben es gestürmt. Die 20, 30 Gäste sind natürlich erst mal erschrocken.
Müssen sie aber nicht sein. Die Schwarzgekleideten sind ausgesprochen höflich, erklären, wer sie sind – Beamte der Bereitschaftspolizei –, und dass sie nun Personenkontrollen vornehmen würden. Auch das geschieht in aller Ruhe und Sachlichkeit. Nur in einem Fall setzt sich ein Mann auffällig- unauffällig auf die Toilette ab, Polizisten gehen ihm nach und holen ihn heraus. Ob er irgendetwas Verbotenes der Münchner Kanalisation übergeben hat, lässt sich nicht mehr feststellen. So oder so hat sich der Mann eine besondere Leibesvisitation verdient, dazu wird er nach draußen zu einem Polizeiauto geführt. Oliver Böhm, der Einsatzleiter, sagt, es gehe nicht nur darum, möglichst viele Aufgriffe, Festnahmen, Drogenfunde zu erzielen, sondern auch darum, Präsenz zu zeigen.
Die Razzia in dem Wettbüro ist eine von mehreren an diesem Mittwochnachmittag – 30 Beamte insgesamt sind im Einsatz, um Leuten, die es mit der Gesetzestreue nicht ganz so genau nehmen, zu zeigen, dass sie ihr Tun nicht straffrei treiben dürfen. Das Ganze nennt sich „Konzepteinsatz“: Seit Mitte Juli kontrolliert die Polizei „mehrfach die Woche und mit starken Kräften“ im südlichen Bahnhofsviertel, wie Sigrid Kienle sagt, die Leiterin der Polizeiinspektion 14 in der Beethovenstraße, die für das Gebiet zuständig ist. Daneben sind Beamte der Bereitschaftspolizei beteiligt und solche der Inspektion 12 in der Türkenstraße – in ihrem Revier liegt der neueste Hotspot kriminellen Treibens in der Stadt, der Alte Botanische Garten an der Elisenstraße.
Bahnhöfe waren zu allen Zeiten Brennpunkte des Verbrechens: viele Menschen, viele Durchreisende, wenig soziale Kontrolle, wenige befriedende gewachsene Strukturen. Der Münchner Hauptbahnhof ist dabei bundesweit nicht einmal an der Spitze: Dortmund, Köln, Nürnberg, Düsseldorf, Essen und Hannover belegen die ersten sechs Plätze in der Rangliste der Kriminalitätsraten.
Die Polizisten beobachten einen Mann, der dreimal Haschisch verkauft
Und doch hat sich in München etwas verändert. Das hat stark mit dem Umbau des Hauptbahnhofs zu tun. Die Drogen- und Trinker-Szene, die sich viele Jahre unter dem sogenannten „Schwammerl“ am Haupteingang versammelte, brauchte einen neuen Treffpunkt, fand ihn im Alten Botanischen Garten und besetzte ihn auf eine Weise, dass bald keinem ehrbaren Münchner – und vor allem keiner Münchnerin – mehr geraten werden konnte, den Park zu betreten.
Das merkte die Polizei – das merkte aber bald auch die Stadt und rief die „Taskforce Innenstadtsicherheit“ ins Leben, hauptsächlich getragen vom Kreisverwaltungsreferat, dem Baureferat und dem Polizeipräsidium. Die städtischen Stellen taten das ihre: Das Unterholz im Park etwa wurde zurückgeschnitten, damit es nicht mehr so leichtfiele, zu munkeln im Dunkeln. Außerdem soll der Garten dem normalen Freizeitverhalten der Münchner wieder zugänglich gemacht werden, weshalb es einen Platz zum Kicken und einen zum Skaten geben wird sowie zwei Biergärten gibt, einen am Karl-Stützel-Platz und einem am Neptunbrunnen.
Dort müht sich jetzt, Dienstag gegen 18 Uhr eine Sängerin durch „Eight days a week“ von den Beatles. Das ist aber weniger interessant als das, was sich am anderen Ende des Brunnens abspielt: Zivile Polizeibeamte hatten dort einen Mann beobachtet, einen 21-jährigen Afghanen, der dreimal Haschisch an vorbeikommende Kunden verkaufte. Sie verständigen Oliver Böhm, den Einsatzleiter, und wenig später sieht sich der Nachwuchs-Drogenhändler von vier Polizisten umringt, die ihn und seine Sachen durchsuchen und tatsächlich fündig werden: mehr als zehn Gramm Haschisch hat er bei sich, außerdem mehr als 300 Euro in kleinen Scheinen – „in dealertypischer Stückelung“ heißt das bei der Polizei.
Dass nur wenige Meter von der Kontrolle entfernt ein paar Männer den süßlichen Geruch eines frisch entzündeten Joints verbreiten, das ignorieren die Beamten – ist ja nicht mehr verboten. Die drei Kunden des Afghanen allerdings, auf sie wartete die Polizei an einem anderen Ort, ihnen wurde das Haschisch abgenommen, denn der Kauf ist weiterhin nicht erlaubt.
Und dann geschieht noch etwas, was bei der Polizei als „Beifang“ bezeichnet wird: Ein Mann hat ganz in der Nähe des ersten Kontrollierten die Aufmerksamkeit der Beamten erregt. Er darf nun ebenfalls seinen Rucksack auspacken, einer der Polizisten kramt hinter ihm im Efeu. Das hat zwei Gründe: Zum einen könnte er dort, falls er denn tatsächlich ein Dealer ist, sein Rauschgift gebunkert haben. Zum anderen sind die Dealer alle bewaffnet, meistens mit Messern. Wenn sie nun bei einer Kontrolle mit Rauschgift und einer Waffe erwischt werden, dann nennt das das Strafgesetzbuch „Drogenhandel mit Waffen“, Mindeststrafe: fünf Jahre. Deshalb verstecken die Männer ihre Messer, indem sie sie etwa hinter sich in den Boden rammen und etwas Laub darüber decken – schnell greifbar aber per bloßem Auge dennoch kaum zu entdecken.
In diesem Fall findet der Polizist nichts. Die beiden Männer werden trotzdem abgeführt. Am Ende des ganzen Einsatzes, der sechs Stunden dauerte, hat die Polizei 67 Personen kontrolliert und zehn Platzverweise ausgesprochen. Das hört sich nach nicht viel an – aber die Dealer, die Diebe, die Räuber und die Sexualstraftäter werden wieder einmal gemerkt haben: Sie sind nicht unbeobachtet, nicht im Alten Botanischen Garten und nicht im gesamten südlichen Bahnhofsviertel.