Koks-Skandal:Der Angeklagte gesteht unter Tränen

Koks-Skandal: "Scheiß gebaut": der Angeklagte beim Prozessauftakt im Amtsgericht München.

"Scheiß gebaut": der Angeklagte beim Prozessauftakt im Amtsgericht München.

(Foto: Felix Hörhager/dpa)

Koks im Dienst, dealende Kollegen: Vor zwei Jahren hat ein Drogenskandal die Münchner Polizei erschüttert. Nun beginnt ein erster Prozess - und schon am ersten Verhandlungstag tauchen Ungereimtheiten auf.

Von Susi Wimmer

Begleitet von Tränen den ganzen Vormittag über hat der erste Angeklagte im Koks-Skandal bei der Münchner Polizei ein Geständnis abgelegt. Aus seiner Zeit als Polizeiobermeister in der Inspektion Neuhausen berichtet Fritz F., wie er sich in einer Münchner Bar mit einem Drogendealer anfreundete, wie er Koks an seine Polizeikollegen abgab. Er habe "Scheiß gebaut", sagt er und er werde die Verantwortung übernehmen. Allerdings tauchten am ersten Verhandlungstag vor dem Amtsgericht Ungereimtheiten auf.

Ruhig und gefasst lässt der 28-Jährige das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen. Die Hände liegen gefaltet vor ihm, als Staatsanwalt Jakob Schmidkonz die Anklage verliest. Mindestens 69 Mal soll F. Kokain beim Großdealer Stefan H. (Name geändert) gekauft haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm auch vor, dass er an Kollegen Drogen weiterverkauft habe. Und er soll dem Dealer auch erzählt haben, dass sein Foto im Kommissariat für Rauschgiftdelikte hänge.

Fritz F. steht auf. "Sehr geehrte Frau Vorsitzende", setzt er an. Er wolle "offen und ehrlich" sein Verhalten vortragen, "es ist mir sehr wichtig, dass ein persönlicher Eindruck entsteht". Dann folgt eine minutiöse Schilderung seiner persönlichen Situation. Dass seine Freundin mit dem gemeinsamen Kind in Thüringen gelebt, er die Polizeiausbildung in Bayern absolviert und versucht habe, jede freie Minute bei seiner Familie zu verbringen. Dann bricht er in Tränen aus.

Unter ständigem Schluchzen schildert er, wie ihn das Pendeln belastet habe. Und wie er dann bei der Inspektion Neuhausen in der zivilen Einsatzgruppe einen Kollegen kennenlernte. Mit ihm traf er sich in der Milchbar, "er kannte dort einige Leute". In einem speziellen Bereich für Freunde und Personal in der Bar sei er Stefan H. begegnet. Man habe sich über dies und jenes unterhalten, später über die familiäre Situation, und irgendwann habe H. ihn gefragt, ob er "Kokain konsumieren" wolle. "Irgendwas hat mich, verdammt nochmal, dazu gebracht zu sagen: Ja."

Einerseits Pendelfahrten nach Thüringen, andererseits exzessive Feiern in der Milchbar

Zwischen Ende 2016 und Februar 2018 soll F. regelmäßig bei H. Kokain gekauft haben. F. erzählt, er sei jede freie Minute nach Thüringen gefahren. Zugleich berichtet er von regelmäßigen, exzessiven Feiern mit Kollegen in der Milchbar. Der Alkohol sei in Strömen geflossen, durch das Kokain sei er "komplett auf Null" gesetzt worden, und "dann konnte ich wieder weitermachen". Aber, so versichert er, er habe das immer so getimt, dass er zu Dienstbeginn wieder nüchtern gewesen sei. "Es waren Parallelwelten", meint er. Auf der einen Seite der Dienst bei der Polizei, auf der anderen Seite habe er "der Coole" sein wollen, der entsprechend gekleidet zum Feiern gegangen sei, "quasi als Ventil", und der für die Kollegen das Koks organisiert habe.

Dass er selbst mit dem Weiterverkauf des Kokains an seine Kollegen habe Geld verdienen wollen, bestreitet Fritz F. vehement. Auch die Aussage des Großdealers, er habe von F.'s Dienstausweis eine "Linie Koks" gezogen, "die schönste und frechste in meinem Leben", kann sich der suspendierte Beamte nicht erklären. Auf dem Dienstausweis von F. wurden tatsächlich schwache Anhaftungen der Droge entdeckt. F. meint, das könne von einer dienstlichen Durchsuchung gekommen sein, bei der man Rauschgift gefunden habe.

Irgendwann war F. auch beim Rauschgiftdezernat zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Dabei sah er ein Foto des Dealers Stefan H. an der Wand hängen. Er habe einem Kollegen daraufhin ansatzweise erklärt, dass da Ärger auf sie zukommen könne. Dem Dealer habe er davon nichts erzählt. Staatsanwalt Schmidkonz sieht das anders: Er wirft Fritz F. den Verrat von Dienstgeheimnissen vor, er geht davon aus, dass der Polizist den Dealer gewarnt habe.

Der Angeklagte bestreitet, sich beim Weiterkauf der Drogen bereichert zu haben

Außerdem wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, er habe sich Kokain direkt in die Polizeiinspektion liefern lassen, oder auch auf das Oktoberfest. Beides bestreitet F. Stefan H. sei einmal zufällig an der Wache vorbeigefahren, es habe aber keinen Verkauf gegeben. Und Stefan H. habe ihm auch nie Kokain auf die Wiesn geliefert. Fritz F. versicherte außerdem in seiner Aussage, dass er den Dealer nie vor Razzien oder Verkehrskontrollen gewarnt habe. Stefan H., der sich als Kronzeuge der Polizei zur Verfügung gestellt hat, wird in der kommenden Woche aussagen.

Der Drogenskandal bei der Münchner Polizei war aufgeflogen, weil Dealer Stefan H. im April 2018 einen Unfall verursachte und jede Menge Drogen bei ihm gefunden wurden. Nach und nach packte er aus, nannte die Betreiber des Heart-Clubs als seine Abnehmer - und auch Münchner Polizisten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte insgesamt gegen 37 Polizeibeamte, hauptsächlich von Münchner Dienststellen, in Neuhausen oder auch der Altstadt-Wache. Insgesamt fünf Polizeibeamte müssen sich in den nächsten Monaten vor Gericht verantworten.

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