Zwist in der Stadtregierung:Was ist da los in der grün-roten Rathauskoalition?

Zwist in der Stadtregierung: Wie schnell soll der Umbau des Tals vorangehen? Eine von vielen Fragen, in denen sich Grün und Rot derzeit nicht einig sind.

Wie schnell soll der Umbau des Tals vorangehen? Eine von vielen Fragen, in denen sich Grün und Rot derzeit nicht einig sind.

(Foto: Stephan Rumpf)

Statt wichtige Projekte gemeinsam voranzutreiben, geht man inhaltlich immer öfter getrennte Wege: beim autofreien Tal ebenso wie beim geplanten Tunnel in der Schleißheimer Straße.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Die SPD will die hundertprozentige Direktwahl des Migrationsbeirats vor den Reformideen der Grünen retten. Diese wiederum wollen die Autos am liebsten sofort raus haben aus dem Tal in der Altstadt. Beide Beschlüsse wurden erst einmal vertagt. Beide Regierungspartner haben zuletzt Konzepte erarbeitet, mit denen sie die Wucht der explodierenden Energiekosten mindern wollen. Vorgestellt haben Sozialdemokraten und Grüne diese aber getrennt voneinander. Geeinigt haben sich die beiden immerhin zuletzt auch einmal, allerdings nicht auf ein gemeinsames Ziel, sondern auf einen kontrollierten Bruch des Koalitionsvertrags: Die SPD darf offiziell mit der CSU die Planungen für einen Autotunnel im Münchner Norden vorantreiben, ohne das Ende der Zusammenarbeit zu riskieren.

Was ist los im Münchner Rathaus nach zwei Jahren Koalition? Waren hier nicht zwei Parteien angetreten mit nichts weniger als dem Ziel, die ökologisch-soziale Zeitenwende hinzulegen? Die Stadt der Zukunft gemeinsam neu zu erfinden?

Im Moment erweckt die Koalition aus Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt den Eindruck, vor allem sich selbst und ihre eigene Regierungsarbeit neu zu erfinden. Streit gab es schon ausreichend in den ersten beiden Jahren, doch nun hat er eine neue Qualität. Bisher zeigte man sich meist in der Sache einig, aber im Ton zuweilen unfreundlich bis giftig. Nun geht man inhaltlich öfter und offen getrennte Wege, aber zumindest nach außen hin bleibt der Umgang damit konziliant.

Der vor zwei Wochen neu gewählte Grünen-Fraktionschef Dominik Krause ist bemüht, die derzeitige Häufung von Unterschieden als ganz natürlich erscheinen zu lassen. Es gebe "weiterhin eine gute Zusammenarbeit" mit der SPD, "wir stehen zum sozial-ökologischen Projekt für München". Dass man bei manchen Themen unterschiedliche Haltungen habe und es deshalb mehr Diskussionsbedarf gebe, sei bei unterschiedlichen Parteien "nicht überraschend". Dies zeige sich vor allem bei Verkehrsthemen wie dem Tunnel im Münchner Norden und, in deutlich kleinerer Dimension, bei der geplanten Umgestaltung des Tals.

Zwist in der Stadtregierung: Auch zum geplanten Tunnel im Münchner Norden, den sich BMW wünscht, gibt es ganz unterschiedliche Haltungen.

Auch zum geplanten Tunnel im Münchner Norden, den sich BMW wünscht, gibt es ganz unterschiedliche Haltungen.

(Foto: Claus Schunk)

Auch die SPD-Fraktionschefin Anne Hübner geht von einer eher zufälligen Häufung von Positions- und Meinungsunterschieden aus, doch aus ihrer Sicht könnte der gepflegte Dissens Teil des Regierungsstils werden. Neben all den gemeinsamen Projekten, die Grüne und SPD geräuschlos planen und beschließen, gebe es eben Punkte, "in denen zwei verschiedene Parteien nicht einer Meinung sind. Und das finde ich gut", sagt sie. Die beiden großen Koalitionsparteien sollten sich gegenseitig "mehr Beinfreiheit" gönnen. Sie rechnet es den Grünen hoch an, dass sie es der SPD entgegen den eindeutigen Festlegungen im Koalitionsvertrag ermöglichten, für den Autotunnel im Norden einzutreten und sie mit der CSU zu überstimmen. "Im gleichen Rahmen werden wir das auch den Grünen zugestehen müssen."

Diese mussten seit der Einigung im Koalitionsrat auf ein "agree to disagree" beim Tunnelthema, also ein gegenseitiges Tolerieren der gegensätzlichen Haltungen, immer wieder erklären, warum sie das zuließen. "Aber was wäre denn die Alternative?", sagt Krause dazu. Die SPD habe ihren Punkt klar gemacht, und die Grünen könnten bei dem Thema keine Mehrheit finden. Das sei zwar "unerfreulich"; einen Bruch des Koalitionsvertrags sieht er aber nicht, obwohl es in dem Schriftstück eindeutig heißt: "Die Planungen für die Tunnel in der Schleißheimer Straße und der Tegernseer Landstraße werden eingestellt." Kein Vertragsbruch, zumindest in dieser Sprachregelung sind sich die Koalitionäre einig. Dafür braucht es Kreativität: In Gedanken setzten sie den Tunnel-Satz mit einer einzigen Trassenvariante gleich, die aus ökologischen Gründen nicht kommen wird.

Eine, die sich deutlich weniger zurückhaltend ausdrückt, ist Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne): Mit Blick auf einen möglichen Tunnel im Münchner Norden und auf "Vertagungs- und Verzögerungswünsche bei anderen Projekten" wisse sie gerade nicht, ob die SPD noch "hinter der Verkehrswende steht, so wie ich sie verstehe". Bei Verkehrsthemen mache der Koalitionspartner aus ihrer Sicht oft "einen Schritt vor und dann wieder zwei Schritte zurück".

Zwist in der Stadtregierung: Die Zusammenarbeit mit den neu gewählten Grünen-Fraktionschefs Mona Fuchs und Dominik Krause sei gut angelaufen, heißt es bei der SPD.

Die Zusammenarbeit mit den neu gewählten Grünen-Fraktionschefs Mona Fuchs und Dominik Krause sei gut angelaufen, heißt es bei der SPD.

(Foto: Catherina Hess)

Die SPD stehe zur Verkehrswende, sagt Fraktionschefin Hübner. Doch wichtiger "als Symbolpolitik" mit einer aus ihrer Sicht noch völlig unausgegorenen Gesamtkonzeption im Tal sei, dass die Bürger von der Verkehrswende endlich etwas in ihrem täglichen Erleben spürten. 42 neue Radwege habe die Koalition beschlossen, gebaut sei nur eine Handvoll. "Mehr umsetzen, weniger planen", das fände sie den richtigen Schwerpunkt im Moment. Die Zusammenarbeit mit den erst jüngst neu gewählten Grünen-Fraktionschefs Mona Fuchs und Dominik Krause sei gut angelaufen, sie zeigten sich klar in der Sache und verbindlich im Ton.

Nach außen hin lässt man sich gerade in Ruhe, auch auf der bevorzugten Plattform für Koalitionssticheleien, dem Nachrichtendienst Twitter, blieb die Wortwahl zuletzt im Vergleich zu früheren Streitereien sachlich. Doch inhaltlich schlugen sich SPD und Grüne die Argumente um die Ohren, dass es nur so zischte. Und auch wenn der Ton gemäßigt klingt - dass man sich intern vor Freude über die Meinungsverschiedenheiten in den Armen liegt, braucht niemand zu erwarten.

Zwist in der Stadtregierung: Mögliche Hilfen für die Münchner wegen der steigenden Energiepreise haben Grüne und SPD getrennt voneinander vorgestellt.

Mögliche Hilfen für die Münchner wegen der steigenden Energiepreise haben Grüne und SPD getrennt voneinander vorgestellt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Grünen waren richtig sauer, als die SPD ohne vorherige Absprache in einer eigenen Pressekonferenz ihren Teil des Hilfspakets gegen die steigenden Energiepreise vorstellte. Und wenn Grüne und SPD seit zwei Jahren vergeblich über eine Reform des Migrationsbeirats verhandelt haben, die ausdrücklich im Koalitionsvertrag festgehalten ist, dann hinterlässt das Spuren.

Die CSU wird es halten wie bisher schon: Sie wird mit Lust regelmäßig auf die Uneinigkeit in der Koalition hinweisen. Wenn es zu den eigenen Positionen passt, wird sie voller Vergnügen mit einem der beiden Koalitionäre den anderen niederstimmen. Jede dieser Abstimmungen ist ein kleiner Kratzer im Bild, das die Koalition abgibt. Irgendwann könnte das einen tieferen Riss ergeben.

Nach der Kommunalwahl 2026 werden wohl wieder die drei großen Fraktionen Grüne, CSU und SPD unter sich ausmachen, wer die Stadt regieren wird. Eine ähnliche Ära wie die 24 Jahre lange rot-grüne Liaison zwischen 1990 und 2014 zeichnet sich nach zwei Jahren Grün-Rot erst einmal nicht ab.

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