Politik in München:Gemeinsamer Appell für EU-Bürger in prekärer Lage

Illegales Obdachlosencamp unter der Reichenbachbrücke in München: Soll die Stadt räumen oder nicht?

Leben unter der Brücke: Viele Migranten haben keinen Zugang zu Wohnungen in München.

(Foto: Robert Haas)

Stadt und Sozialverbände fordern in einem Positionspapier mehr Hilfen für Menschen aus Südosteuropa. Dieses wurde mit großer Mehrheit angenommen, nur der CSU ging der Vorstoß zu weit.

Von Thomas Anlauf

Tausende Menschen leben in München auf der Straße oder auf Matratzen in Abbruchhäusern, eng zusammengepfercht mit Landsleuten. Sie sind Geflüchtete aus anderen europäischen Staaten, die zu Hause oft keine Arbeit, keine Unterkunft und auch nur minimale medizinische Versorgung finden. Durch die Freizügigkeit in der Europäischen Union gelten sie aber nicht als Flüchtlinge.

Jeder Mensch in der EU kann dort leben, wo er will. Doch das Münchner Sozialreferat und die Münchner Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern sie von der Politik, die Situation insbesondere für Menschen aus Südosteuropa auch in Deutschland zu verbessern. Der eindringliche Appell richtet sich sowohl an den Freistaat als auch an den Bund und an die EU. Denn als Kommune und als Träger der Wohlfahrtsverbände allein sei die Herausforderung auf Dauer nicht mehr zu leisten.

"Stadt und Umland benötigen Zuwanderung, um den akuten Fachkräftemangel, etwa bei Erzieherinnen, im medizinischen und im Pflegebereich, aber auch im Bereich Handwerk und Handel zu bewältigen", heißt es in dem gemeinsamen Positionspapier von Sozialreferat und der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in München (Arge). Die meisten der mehr als 30 000 hier lebenden rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen seien "in München gut angekommen" und gingen oftmals einer qualifizierten Erwerbstätigkeit nach. Ein Teil der Zuwanderer lebe aber hier in extrem prekärer Situation, am offensichtlichsten sei das bei hilfsbedürftigen Migranten aus Rumänien und Bulgarien.

Das Hauptproblem: Unter anderem diese Staaten haben das Europäische Fürsorgeabkommen bislang nicht ratifiziert, wonach den Migrantinnen und Migranten unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen Fürsorgeleistungen zustehen wie den Einheimischen. Die Leistungen müssten aber vom Bund und vom Land finanziert werden. München unterstützt jedoch seit Jahren bedürftige Menschen unabhängig von ihrem Status und ihrer Herkunft mit freiwilligen Leistungen, ohne einen Ausgleich zu erhalten.

Deshalb fordern nun Stadt und Wohlfahrtsverbände von Bund, Land und EU, dass künftig alle hier lebenden EU-Bürger nicht mehr aus ihren Krankenversicherungen fliegen müssen, zugleich müsse es Ausgleichszahlungen an die Kommunen für die Krankenversorgung geben, auch die Beratungsstellen für Menschen ohne Krankenversicherung müssten refinanziert werden. Außerdem sollten alle hier lebenden EU-Bürger einen kostenfreien Zugang mit Rechtsanspruch zu Integrationskursen haben.

Ein wichtiger Punkt ist auch, dass in Bayern wieder das Wohnungsaufsichtsgesetz eingeführt wird, das die Pflichten der Vermieter klar regelt. Bayern hat das Gesetz 2004 abgeschafft. Doch mit einem solchen Gesetz wäre die Kommune "bei Missständen und prekärem Wohnen handlungsfähiger", heißt es in dem Papier.

Auch die Frage, wie lange Menschen aus anderen EU-Staaten in Deutschland leben müssen, um regulären Zugang zum Sozialsystem zu erhalten, beschäftigt Wohlfahrtsverbände und Sozialreferat. So fordern sie eine Absenkung des dauerhaften Aufenthalts von fünf auf drei Jahre. Doch dagegen wehrt sich Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle, auch wenn er dem Positionspapier grundsätzlich zustimmt. Er gibt zu bedenken, dass eine Absenkung der Mindestaufenthaltsdauer nach drei Jahren das Recht auf sämtliche Sozialleistungen bedeuten würde.

Der CSU-Fraktion ging der Vorstoß von Stadt und Sozialträgern zu weit. Sie stimmte am Donnerstag im Sozialausschuss gegen das Papier, das ansonsten mit großer Mehrheit angenommen wurde. Die Wohlfahrtsverbände sind nun aufgerufen, die Forderungen in ihren nationalen Gremien einzubringen, auch im Bundes- und im Landtag sowie auf EU-Ebene soll darüber möglichst bald diskutiert werden. Die Abstimmung zwischen den Wohlfahrtsverbänden, aber auch innerhalb der verschiedenen städtischen Referate sei ein komplexer, langwieriger Prozess gewesen, an dem neben den Verbänden und Vereinen und dem Sozialreferat das Gesundheits-, das Kreisverwaltungs-, Bildungs- sowie das Wirtschaftsreferat beteiligt waren. Das Wirtschaftsreferat lehnte als einziges das Papier ab.

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