Kommunalwahl in München: "Das geht an die Substanz, selbst wenn man optimistisch ist"

Abstimmung auf Parteitag der SPD München, 2018

Handarbeit an der Demokratie: In sehr unterschiedlichen Versammlungen stellen derzeit die Parteien ihre Kandidatenlisten für die Kommunalwahl im März 2020 auf, ermitteln also, wer mit welchen Chancen ins Rennen um die Plätze im Stadtrat geht. Im Bild: eine frühere SPD-Abstimmung.

(Foto: Florian Peljak)

Wer kann Stadtrat werden? Wer kann es bleiben? Wer fliegt raus? In diesen Tagen entscheidet sich, wer mit welchen Chancen in den Kommunalwahlkampf zieht. Das Verfahren läuft in jeder Partei anders.

Von Heiner Effern

Im Leben von Politikern gibt es die Zeiten, in denen sie gestalten können. Das sind die schönen Jahre zwischen den Wahlen. Dann kommen aber auch die Perioden, in denen sie um ihre persönliche Zukunft kämpfen müssen. In einer solchen stecken gerade viele Kandidaten für den Stadtrat, schon Wochen und Monate vor der Kommunalwahl am 15. März 2020. Denn bevor die Münchner entscheiden, wen sie wählen, entscheidet die eigene Partei, wer auf ihrer Liste überhaupt zu wählen ist. Es sind die Wochen, in denen sich Karrieren in nichts auflösen. In denen Freundschaften zerbrechen können. In denen jedes Wort der Parteifreunde registriert, jedes Tuscheln und Augenzwinkern interpretiert werden. Alles konzentriert sich auf drei Fragen: Wer kann Stadtrat werden? Wer kann Stadtrat bleiben? Und vor allem: Wer fliegt raus?

So manche Antwort könnte am Samstag auf dem Programm-Parteitag der Sozialdemokraten an den Gesichtern abzulesen sein. Die SPD steckt gerade mitten im Auswahlprozess, die Nerven sind extrem angespannt. "Eine echt schwierige seelische Grätsche" müsse man über Wochen hinlegen, sagt einer, der die erste Etappe erfolgreich geschafft hat: Fraktionsvize Christian Vorländer. Geschätzte Kollegen, mit denen man über Jahre angenehm und konstruktiv zusammengearbeitet habe, würden urplötzlich zu Konkurrenten. Plötzlich kann es heißen: Er oder ich.

In Vorländers Fall geht es um den Stadtratskollegen Jens Röver. Beide kommen aus dem Süden Münchens, beide gelten als Stützen der Fraktion, beide hätten an der Spitze in ihrer regionalen Vorauswahl stehen können. Dort wird wie auch sonst bei der SPD streng im Reißverschlussverfahren nach Mann und Frau aufgestellt. Vorländer landete auf Platz eins, Tendenz Stadtratsmandat sicher. Röver bei den Männern auf Platz drei, Stadtratsmandat hoch gefährdet. Ihr freundschaftliches Verhältnis, sagt Vorländer, "ist im Moment enorm belastet". Röver will sich zu den internen Vorgängen bis zum Aufstellungsparteitag nicht äußern.

Zu viel steht wohl für ihn auf dem Spiel. Die SPD neigt nicht nur im Bund dazu, ihr Personal quälend lange schaulaufen zu lassen, sondern auch in der Stadt. Sie hat München in vier Teile zerlegt, analog zu den Wahlkreisen einer Bundestagswahl. Jeder erstellt eine Reihenfolge von Kandidaten, die sich in mehreren lokalen Vorstellungsrunden präsentieren mussten, im Osten zum Beispiel drei Mal. Jedes Mal die Frage: Komme ich an oder nicht? "Das geht an die Substanz, selbst wenn man optimistisch ist", sagt Anne Hübner, Stadträtin und ebenfalls stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Bei ihr steht die Entscheidung am Montag an, im Norden sollte am Freitagabend gewählt werden. Nach dem Abschied von Alexander Reissl in Richtung CSU-Fraktion und dem Verzicht von Christine Strobl auf eine weitere Kandidatur wurden dort zwei sicher verbuchte Spitzenplätze frei, was den Rest des Feldes etwas entspannt haben dürfte. Anfangs bewarben sich vier amtierende Stadträtinnen um zwei aussichtsreiche Plätze. Am Ende wird dann eine eigene Findungskommission aus den vier regionalen Listen eine zentrale erstellen. Im November entscheidet endgültig ein Parteitag darüber. Dabei hat offiziell der SPD-Vorstand, in Wahrheit aber Oberbürgermeister Dieter Reiter, noch bis zu fünf Freischüsse, die er vergeben kann. Es gibt also Hoffnung bis zum Schluss, auch nach Pleiten in der Vorauswahl.

Die CSU hat ihren Aufstellungsparteitag gerade hinter sich, am Mittwoch in der Isarpost am Stachus. Dieser verströmte das glatte Gegenteil von Hoffnung bis zum Schluss. Abstimmungsleiter Clemens Baumgärtner arbeitete die 80 Kandidaten in zehn Minuten ab, immer nach dem gleichen Muster: Name, gibt es Gegenkandidaten? Nein. Name . . . Das liegt daran, dass die Liste von den neun Stadtviertel-Fürsten, den Kreischefs, bis ins letzte Detail vorher festgelegt wird. Gerungen um Plätze und Positionen wird dort in den inoffiziellen Runden und vorher in den Kreisverbänden selbst unter den Ortsverbänden. Wie jeder Kreisverband seine Regionalliste beschließt, bleibt ihm überlassen. Sieben regelten es per Vorstandsbeschluss, einer per Delegierten- und einer per Mitgliederversammlung.

In der finalen Abstimmung wurde in Neuner-Runden gerechnet: Zuerst wurden die Kreisspitzenkandidaten in eine Reihenfolge gebracht, dann die zweiten und die Dritten. Davor und dazwischen konnten sich die Kreischefs auf Freischüsse einigen. Wer in der Vorauswahl rausflog, dessen Karriere ist vorbei. Dieses Schicksal erwischte Johann Sauerer im Westen, der ein paar Mal zu oft demonstriert hatte, dass er einen eigenen Kopf und eine eigene Meinung hat. Obwohl er vom menschlichen Umgang und der Kompetenz her der kommende Sprecher der CSU in Planungsfragen hätte sein können, senkten Kreischef Josef Schmid und sein Vorstand den Daumen.

Die Grünen haben ihre Aufstellung schon vor Wochen abgeschlossen, auf maximal basisdemokratische Weise. Jeder durfte in einer Stadtversammlung auf jeder Position kandidieren, gerne auch mal fünf für die gleiche. Jeder konnte einmal eine Bewerbungsrede halten, und es wurde zwei Tage lang abgestimmt bis die Finger auf den elektronischen Geräten glühten. Bei Platz 26 mussten sie aus Zeitgründen kapitulieren, der Rest wurde dann im Block abgestimmt. Eine offizielle Vorreihung gab es nicht, die Grünen vertrauten auf die Schwarmintelligenz, sagt der Stadtvorsitzende Dominik Krause.

Die SPD verspürt den Druck diesmal besonders. Nach den letzten Wahlergebnissen steht zu befürchten, dass sie noch weniger Stadträte erhält als die 24 von der Kommunalwahl 2014. Das führt dazu, dass alle mehr und intensiver rechnen müssen als jemals zuvor. Die Basis dafür bilden Vierer-Runden. Die vier Einser unter den Frauen und die vier unter den Männern in den Regionallisten müssen verteilt werden, dann die vier zweiten von beiden Geschlechtern, und so weiter. Oft wiederholen müssen die Sozialdemokraten dies bei den letzten Wahlergebnissen eher nicht. Stadträtin Julia Schönfeld-Knor musste am Freitagabend im Norden ran. Sie hat bei der SPD schon verschiedene Verfahren erlebt und sich die der Konkurrenz diesmal angesehen. "Absolut gerecht ist keines", sagt sie. Am Ende müsse jemand vor oder hinter anderen stehen. "Da ist immer Gefühl im Spiel."

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