Münchens neue Bürgermeisterinnen im Porträt:"Man darf nicht immer nur auf die schauen, die am lautesten schreien"

Verena Dietl kann sich nun ganz auf ihre politische Aufgabe konzentrieren.

Verena Dietl kann sich nun ganz auf ihre politische Aufgabe konzentrieren.

(Foto: Catherina Hess)

Verena Dietl will als Dritte Bürgermeisterin dafür sorgen, dass auch in finanziell schwierigen Zeiten die Schwächeren nicht zu kurz kommen.

Von Heiner Effern

Das neue Leben der Verena Dietl hat einen Vorteil: Sie muss sich nicht mehr zweiteilen, wenn sie morgens aus dem Haus geht. Bisher warteten nach der Fahrt von Laim in die Stadt zwei Jobs, die sie zu bewältigen hatte. Beruflich sollte sie als Geschäftsführerin des Vereins Aktiv für interkulturellen Austausch (Aka) 60 Mitarbeiter anleiten. Politisch sollte sie mit ihrem Co-Chef Christian Müller die Stadtratsfraktion der SPD führen. Auch die hatte zuletzt jede Menge Betreuung nötig. "Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man ins Rathaus geht und nur noch eine Stelle ausfüllen muss", sagt Dietl. Noch dazu wenn es eine Traumstelle ist, zumindest für jemanden, der Politik als Beruf ergreifen und in der Kommunalpolitik bleiben will. "Eine tolle Chance", sagt die neue Dritte Bürgermeisterin.

Ihre erste Woche hat die 39-Jährige nun als Bürgermeisterin hinter sich, am Montag wurde sie vom Stadtrat gewählt. "Es ist eine große Ehre für mich, in meiner Heimat Bürgermeisterin sein zu dürfen", sagte sie direkt danach. Ihr Fraktionskollege Müller, dessen politisches Wesen eher dem Polter-Angriff zuneigt als dem feinsinnigen Lob, hatte sie sehr emotional vorgeschlagen. Dietl habe bei ihrer Arbeit im Stadtrat "ein großes soziales Herz" bewiesen und sei "eine Brückenbauerin über die politischen Lager hinweg", sagte Müller. Auf diese Weise will Dietl auch ihr neues Amt angehen, kündigt sie an. "Man darf nicht immer nur auf die schauen, die am lautesten schreien. Man muss alle im Blick haben."

Deshalb ist es kein Zufall, dass bei der Aufteilung der politischen Aufgaben unter den drei Bürgermeistern die Sozialpolitik bei ihr gelandet ist. Sie werde sich darum kümmern, dass dies in der Corona-Krise nicht der Bereich sei, "wo wir als erstes Geld wegnehmen müssen", verspricht sie. Angesichts der einbrechenden Einnahmen wird sie beweisen müssen, dass sie sich auf ihre ruhige Art durchsetzen kann. Auch Dietl selbst gehört nicht zu denen, die gleich am lautesten schreien. Sie will einbringen, was sie in ihrer Ausbildung und im Beruf als Sozialpädagogin gelernt hat: gemeinsam Lösungen finden, mit denen alle leben können. Sie möchte "den Menschen in den Vordergrund stellen".

Als Dietl noch sehr jung war, wollte sie beruflich das Tier in den Vordergrund stellen. Doch der Traumjob Tierärztin hielt sich nicht, was bemerkenswert bei einer Frau ist, die ansonsten für Konstanz und Verbundenheit steht. Das beginnt schon bei ihrer Familie. "Mein Uropa ist als Eisenbahner nach Laim gekommen. Ich bin hier aufgewachsen, und ich sehe meine Kinder hier aufwachsen." Das Viertel ist ihr Zuhause, und das soll es auch für den Lebenspartner und die beiden Buben im Alter von fünf Jahren (am Sonntag sechs) und acht Monaten sein. Sie hört heute noch gerne Metallica, eine Band, "die meine Jugend begleitet hat". Und sie hat sich als Schülerin in diesen Fußballverein verliebt, der eine große Treue und Leidensfähigkeit verlangt. Dietl stand früher in der Kurve, nun ist sie Verwaltungsrätin des TSV 1860. "Wenn ich mich wo engagiere, will ich auch was bewegen", sagt sie.

So hat sie auch politisch Karriere gemacht. Nach dem Abitur begann sie das Studium der sozialen Arbeit und suchte einen Weg, an den Stellschrauben zu drehen. Sie entschied sich vor 20 Jahren für die SPD und wurde bald danach in den Laimer Bezirksausschuss gehäufelt, dem sie heute noch angehört. Parallel stieg sie bei den Jusos auf, war deren Vorsitzende in Oberbayern und stellvertretende Landeschefin. 2008 zog sie erstmals in den Stadtrat ein und beschäftigte sich mit der Sozial- und der Bildungspolitik.

Als Bürgermeisterin kümmert sich Dietl neben vielen anderen Themengebieten auch um ihre alte Leidenschaft: den Sport

Als die stellvertretende Fraktionssprecherin Beatrix Zurek 2016 den Posten der Schulstadträtin übernahm, folgte sie ihr nach und übernahm mehr Verantwortung in der Fraktion. So einige Stadträte glauben, dass sie schon bei der nächsten internen Wahl hätte Chefin werden können, wenn sie energisch eingegriffen hätte. Alexander Reissl konnte sich nach einem Patt erst im zweiten Wahlgang gegen Christian Müller durchsetzen, die SPD-Fraktion hatte ihre Zerrissenheit öffentlich gemacht. Doch Dietl hielt sich zurück und musste warten, bis der zermürbte Reissl zur CSU floh. Zusammen mit Müller rückte sie im Sommer 2019 an die Fraktionsspitze.

Das knappe Jahr als oberste SPD-Stadträtin habe nochmals ihren Horizont erweitert, sagt Dietl selbst. "Man muss sich in allen Themen auskennen." Als Bürgermeisterin Christine Strobl vor der Kommunalwahl ihren Rückzug aus der Politik bekannt gab, stand in der SPD fest: Sollte die Partei weiter einen Bürgermeisterposten besetzen können, wird Dietl die logische Kandidatin sein. Die größte Gefahr für den Sprung in die professionelle Politik stellten kurioserweise die Grünen als Koalitionspartner dar.

Sie verzichteten aber auf den Anspruch, als stärkste Fraktion unter Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Zweite und die Dritte Bürgermeisterin zu stellen. Auch wenn es naheliegend gewesen sei, habe sie der "Augenblick überwältigt", als ihre eigene Partei sie in einer Vorstandssitzung zur Kandidatin kürte, sagt Dietl. Dabei bedeutet der Erfolg auch einen Abschied. Nach 15 Jahren bei ihrem Arbeitgeber schied sie dort sofort aus.

Nun kümmert sie sich als Dritte Bürgermeisterin nicht nur um Soziales, Bildung, Gesundheit, Integration, Familien und die Themen des Kommunalreferats, sondern auch um eine alte Leidenschaft: den Sport. Als Kind spielte sie Hockey, als Erwachsene leitete sie den Frauenfußballverein FFC Wacker. Viele Jahre fungierte sie als sportpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Wenn der Sport ein Anliegen hatte und sich erfolgreich an die Stadt wandte, dann hatte er das "stets zu einem Teil Verena Dietl zu verdanken", sagt ihr Fraktionskollege Müller. Auch wenn die Zeit für aktiven Sport als Bürgermeisterin knapp werden dürfte, eines will sich Dietl nicht nehmen lassen: So oft wie möglich radeln, von Laim bis ins Rathaus.

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