Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in München:Die CSU geht mit der guten alten Zeit auf Stimmenfang

Die Kampagne der CSU werden manche nicht nur retro, sondern fast reaktionär finden. Doch der Zeitgeist-Wahlkampf könnte Erfolg haben.

Kommentar von Heiner Effern

Retro ist nun schon so lange hip, dass man wirklich jedes Kindheitsmodell von Turnschuhen wieder auf den Straßen gesehen hat. In der Politik gibt es das Phänomen der Ostalgie, das in der CSU allerdings nicht sehr weit verbreitet sein dürfte. Dafür hat sie ihre konservative Seite (Lederhose) schon immer mit einer modernen (Laptop) zu verbinden versucht. In München ging die Tendenz stark zur digitalen Identitätsvariante. Was reitet nun diese "moderne liberale Großstadtpartei", wie sie sich selbst in den vergangenen Jahren mantrahaft bezeichnete, dass sie sich als Wahlkampfmotto "Wieder München werden" ausgesucht hat?

Das wird mancher nicht nur retro finden, sondern schon fast reaktionär. Manche werden es als übergriffig wahrnehmen, manche als verstörend. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat sich in München eine liberale, bunte Gesellschaft entwickelt. Es gibt so viele Kitas wie wohl nie zuvor, die Isar hat sich zu einem Natur-Flussbad entwickelt, die Liste von Lebenswert-Argumenten ließe sich fortsetzen. In den Städte-Rankings spielt München stets oben mit. Ist das alles nichts wert?

Bei Menschen, die all das genießen können, wird die CSU mit ihrer Kampagne eher nicht landen. Dennoch könnte sie verfangen, denn es gibt auch die Kehrseite der blühenden Stadt. Die Mieten sind fast unerschwinglich, die Züge im öffentlichen Nahverkehr überfüllt und die Plätze im neuen Restaurant ums Eck, das die alte Lieblingskneipe verdrängt hat, sind auf Tage hin ausgebucht. Die Angst, nicht mehr mithalten zu können, und den Frust über das Wachstum versucht die CSU zu treffen und zu bündeln. Das Prinzip eines solchen Zeitgeist-Wahlkampfs, der hauptsächlich Stimmung aufnimmt und transportiert, haben die Grünen zuletzt auf eine sehr konträre Weise erfolgreich praktiziert. Man darf gespannt sein, ob das der CSU in München auch gelingt.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2019/vewo
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