Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Was Münchner Politiker von der nächsten Bundesregierung erwarten

Mieterschutz, Mobilität, Klima: Zu tun gibt es viel, doch "viel ist nicht passiert", so Oberbürgermeister Reiter. Was kann sich nun durch die Bundestagswahl für München verbessern?

Von Anna Hoben

Gewählt wird erst in gut einer Woche, und natürlich spricht Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Konjunktiv, aber er hat da schon so seine Vorstellungen: "Es wäre schön, wenn ich einen direkten Draht zum Kanzler hätte." Er habe zwar auch mit Angela Merkel hin und wieder gesprochen, mit Olaf Scholz aber verbinde ihn eine langjährige Bekanntschaft. Ein Kanzler, der selber schon einmal eine große Stadt geleitet hat - "das kann nur gut sein für eine Stadt wie München", glaubt Reiter.

Immer wieder wendet der Oberbürgermeister sich mit Bitten an die Bundespolitik in Berlin. Er wisse nicht, wie viele Briefe er in den vergangenen Jahren geschrieben habe, "sie würden Ordner füllen". Meist bleiben es Wünsche. "Viel ist nicht passiert", so sein ernüchtertes Fazit. Zeit, einmal nachzufragen bei Münchens Kommunalpolitikern, was sich aus ihrer Sicht durch die Bundestagswahl für München verbessern könnte und sollte.

Wohnen/Mieten

Eines der Hauptprobleme in München sei die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, sagt Reiter. Daran konnte bisher auch das heuer verabschiedete Baulandmobilisierungsgesetz nicht viel ändern - die darin enthaltene Erweiterung des Umwandlungsverbots wird bisher vom Freistaat blockiert. Generell müsse der Mieterschutz in Berlin ernst angegangen werden - man könne deutlich mehr in die Hände der Kommunen legen, zum Beispiel die Entscheidung über schärfere Obergrenzen für Mieterhöhungen. Oder die Modernisierungsumlage: Sie ist seit 2019 zwar etwas mieterfreundlicher gestaltet - trotzdem zahlen Mieter die erhöhte Miete auch dann noch, wenn sich die Kosten längst amortisiert haben.

Wichtig ist Reiter auch, dass endlich eine Bodenrechtsreform angepackt wird - "Hans-Jochen Vogels Vermächtnis", wie er sagt, und die Wurzel der horrenden Mietpreise. Ein soziales Bodenrecht ist auch der Hauptwunsch der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). Das könnte dem Anstieg der Mieten, "die auch während und nach Corona durch die Decke gehen", Einhalt gebieten. Aber auch beim Zweckentfremdungsrecht mahnt Reiter schärfere Waffen an, etwa für den Umgang mit Plattformen wie Airbnb. Manuel Pretzl, Fraktionsvorsitzender der CSU, hingegen findet, dass sich im Bereich Wohnen zuletzt viel getan habe. "Da haben wir im Moment keine Forderungen an den Bund."

Infrastruktur und Mobilität

Für eine echte Verkehrswende brauche es eine "absolute Priorisierung des öffentlichen Nahverkehrs, und die kann ich überhaupt nicht erkennen", sagt Reiter. Wie so oft geht es vor allem ums Geld. Eine Milliarde Euro sind seit 2021 jährlich als Fördermittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz für den Neu- und Ausbau von Strecken vorgesehen - bundesweit. "20 Milliarden wären vernünftig", findet Reiter, "damit aus der Verkehrswende mehr wird als ein Wort".

Mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr, das ist auch Habenschadens größter Wunsch. Alle - Reiter, Habenschaden und Pretzl - sprechen die sogenannte standardisierte Bewertung an: eine Kosten-Nutzen-Analyse, nach der über die Finanzierung von Nahverkehrsprojekten entschieden wird. Die veralteten Kriterien müssten sich dringend ändern, damit es etwa mit dem Ausbau der U-Bahn vorangehe. Ein Reformvorschlag aus dem Verkehrsministerium liegt auf dem Tisch; er geht den Münchnern aber zum Teil nicht weit genug. Pretzl fordert zudem, dass der Bund 20 bis 30 Prozent der Kosten für ein 365-Euro-Ticket tragen solle.

Klima

Notwendig sei eine "wirkliche Klimaschutzgesetzgebung", die die Kommunen bei ihren Zielen - im Fall von München die Klimaneutralität bis 2035 - flankiere, sagt Katrin Habenschaden. Das heißt: Fördertöpfe für die energetische Sanierung, für E-Ladesäulen, für Photovoltaik. Die energetische Sanierung sei "der größte Hebel" beim Klimaschutz, sagt auch Pretzl. Er stellt sich eine vollständige steuerliche Abschreibung für diese Maßnahmen vor, auch als Anreiz für Eigentümer und Konjunkturprogramm für das Handwerk.

Gesundheit

Gerade könne man es wieder beobachten, sagt Reiter. Kaum stiegen die Corona-Fallzahlen wieder, hielten die städtischen Kliniken - anders als die meisten privaten - Betten für diese Patienten vor. Wenn die Krankenhaus-Finanzierung allerdings so bleibe wie sie ist, "dann ist die Notfallversorgung unbezahlbar". Als Aufsichtsratsvorsitzender der München Klinik treibe ihn das Thema seit Jahren um. Das pauschalisierende Abrechnungssystem mit dem Namen DRG müsse weg, "es braucht andere Regelungen und eine neue Finanzierungsgrundlage", fordert der OB.

Rolle der Kommunen

Generell würde Reiter sich wünschen, dass der Handlungsspielraum für Kommunen ausgeweitet wird: "Sie brauchen mehr Kompetenzen." Die Stadt München kann bisher zum Beispiel nicht eigenständig die Gebühren fürs Anwohnerparken erhöhen oder über eine Citymaut entscheiden. Der OB hält auch an seiner Idee für ein Kommunalministerium fest. Es brauche "einen Sitz in der Bundesregierung, um die Interessen der Kommunen einfließen zu lassen". Sonst dürfe man nur die Probleme übernehmen und könne nicht mehr tun als "nette Hinweise" zu geben. Und immer wieder Briefe nach Berlin zu schreiben, die irgendwann ganze Ordner füllen.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2021/kafe
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