Israel-Palästina-Konflikt und die Stadtgesellschaft:Wie man zum friedlichen Miteinander in München findet – oder auch nicht

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Am Montagabend auf dem Podium: (von links) Fuad Hamdan, Hildebrecht Braun, Gady Gronich und Stefan Jakob Wimmer. (Foto: Florian Peljak)

Der Krieg in Nahost spaltet die Stadtgesellschaft. Als endlich ein Podiumsgespräch mit einem Palästina-Aktivisten und einem Vertreter des Judentums gelingt, wird die Stimmung im überfüllten Saal emotional – und der Israeli verlässt auf Rat seiner Sicherheitsleute die Veranstaltung. Wo führt das hin?

Von Bernd Kastner

Sie haben versucht, miteinander zu reden, aber es ist ihnen nicht gelungen. Sie haben weitgehend aneinander vorbeigeredet, der Palästina-Aktivist und der Vertreter des Judentums. Am Montagabend trafen sie sich zu einer Podiumsdiskussion, einer, die im Oktober von der evangelischen Kirche abgesagt worden war. Der Titel: „Vergiftete Debatte – versperrte Wege. Wie wir trotz des Israel-Palästina-Konflikts zusammenhalten können.“ Die Hauptpersonen waren Fuad Hamdan, 72, bekannter Palästina-Aktivist, und Gady Gronich, 64, Geschäftsführer der orthodoxen Europäischen Rabbinerkonferenz mit Sitz in München. Eine solche Konstellation hat es in München lange nicht gegeben. Dann aber endete die Veranstaltung mit einer großen Leerstelle: Gronich verließ in der Pause den Saal. Seine Sicherheitsleute hätten ihm dazu geraten, wegen der aus ihrer Sicht aggressiven Stimmung.

Veranstalter und Moderator war Rechtsanwalt Hildebrecht Braun, 80, der früher für die FDP im Bundestag saß. Er erinnerte die Anwesenden an das Ziel des Abends: anfangen, Brücken zu bauen.

Stefan Jakob Wimmer, 61, Israel-Palästina-Experte an der Uni und der Staatsbibliothek, war der dritte Diskutant. Er hatte Mitte des Jahres das Podium maßgeblich initiiert. Die Evangelische Stadtakademie hatte dies auf Weisung von oben absagen müssen. Der Stadtdekan begründete dies damals mit Postings Hamdans, welche die Debatte weiter vergiftet hätten.

Im überfüllten Bürgersaal Fürstenried dann skizzierte Wimmer anfangs seine Position zum Israel-Palästina-Konflikt. Aus seinem Papier, das er „Handreichung“ nennt, stellte er fünf Thesen vor: Der Konflikt habe zwei Seiten, eine jüdische, eine palästinensische. Der Ursprung sei nicht religiös, auch wenn die Religionen heute im Konflikt „missbraucht“ würden. Jeder Konflikt sei überwindbar. Von München aus lasse er sich nicht lösen, „aber wir müssen ein friedliches und wertschätzendes Miteinander verwirklichen“. Kritik an Israel sei „nicht per se antisemitisch“, aber öfter antisemitisch, als Israel-Kritiker meinten.

Wimmer, der für seine ausgleichenden Aussagen immer wieder Applaus erhielt, erklärte die Spielregeln des Abends: „Wir haben nicht vor, eine Friedenskonferenz abzuhalten“, man wolle kontrovers diskutieren. Dabei gehe es ums Zuhören, das war sein Appell ans Publikum: „Zuhören, auch wenn es mir den Magen umdreht“. Sein Wunsch sei, jene eines Besseren zu belehren, die eine solche Diskussion von vornherein verhindern wollten.

Es gehe ums Zuhören, das war Wimmers Appell ans Publikum: „Zuhören, auch wenn es mir den Magen umdreht“. (Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Gronich und Hamdan wirkten wie Sprecher ihrer Völker, beide trugen zudem äußere Kennzeichen: Hamdan eine schwarz-weiße Kufija um den Hals, Gronich eine schwarze Kippa auf dem Kopf. Auch wenn Wimmer betonte, dass nun kein Fußballmatch beginne, bei dem es ums Gewinnen oder Verlieren gehe – es dauerte nicht lange, bis Podium und Publikum emotional wurden.

Der Israeli Gronich, selbst kein Rabbiner, verbrachte die ersten gut 32 Jahre seines Lebens in Israel. Er betonte mehrmals, er wolle sich an Fakten halten. Fakt sei, dass Juden in Deutschland und Europa immer wieder von Muslimen angegriffen würden. Wobei er nachschob, dass nicht alle Muslime „Verbrecher“ seien. Fakt sei, dass viele jüdische Familien Angst hätten, ihr Kind in die Schule zu schicken oder eine Kippa zu tragen. „Warum muss das sein? Was haben wir falsch gemacht?“

Gady Gronich. (Foto: Florian Peljak)

Er erinnerte an die „Party“ von Muslimen in Berlin am 7. Oktober 2023, nach dem Hamas-Überfall. „Da läuft etwas falsch.“ Gronich verglich die Situation in Israel und Palästina mit einem Tango: Um den zu tanzen, brauche es immer zwei. So sei es auch mit Frieden. Wenn aber eine Seite immer wieder mit der Botschaft „Ich will dich vernichten“ komme, seien weder Tanz noch Frieden möglich. Am 7. Oktober hätten Hamas-Kämpfer Israelis in just den Dörfern ermordet, wo die Menschen sich für Palästinenser einsetzten. Bis Vertrauen zwischen den Seiten wachse, werde es lange dauern, sagte Gronich, bestimmt eine Generation.

Aufgewachsen ist er in einem Flüchtlingslager

Fuad Hamdan, der seit 1969 in Deutschland lebt, wies Vorwürfe des Antisemitismus zurück; er habe in den 80er-Jahren die jüdisch-palästinensische Dialoggruppe mitgegründet, die erste in Deutschland. Aufgewachsen ist er in einem Flüchtlingslager bei Jerusalem, seine Familie stamme aus einem Dorf, das 1948 im Zuge der israelischen Staatsgründung zerstört worden sei, wie Hunderte andere. Die Palästinenser nennen die Vertreibung Hunderttausender „Nakba“, Katastrophe.

Fuad Hamdan. (Foto: Florian Peljak)

Mit diesen Erfahrungen erklärte Hamdan die unterschiedlichen Perspektiven auf Israel: Für die meisten Deutschen sei es das Land der Holocaust-Opfer. „Für uns ist der Staat Israel ein Land der Täter.“ Die Deutschen hätten jüdische Flüchtlinge vor Augen, die Schutz vor dem NS-Regime suchten. Palästinenser sähen in Israelis „koloniale Siedler“. Er weigere sich, die Geschichte „durch die deutsche Brille“ zu sehen, „wir haben unsere eigene Brille“. Hamdan beklagte die Stimmung in Deutschland: In der Erinnerungskultur werde das Leid des palästinensischen Volkes weitgehend ignoriert. Medien berichteten meist einseitig zugunsten Israels, die Stadt München habe einige Male versucht, propalästinensische Veranstaltungen einzuschränken. „Wir sind wütend, wir sind traurig.“

Veranstalter Braun, wegen einer Erkältung stimmlich gehandicapt, hielt sich mit der Moderation stark zurück. Eine echte Diskussion zwischen Hamdan und Gronich entstand nicht, keiner ging auf den anderen zu. Was sie vom jeweils anderen halten, war auch daran abzulesen, wie sie sich ansprachen. „Die andere Stimme“, sagte Gronich über Hamdan, der Gronich als „dieser Herr“ bezeichnete. Gronich hörte Hamdan mit gerötetem Gesicht zu, Hamdan bezeichnete Äußerungen Gronichs als „zionistische Propaganda“. Je länger der Abend dauerte, desto öfter reagierten Besucher auf Gronich mit Zwischenrufen.

Schulbücher in Gaza seien „voll mit Hass“

„Ich verrate Ihnen etwas“, sagte Gronich ans Auditorium gewandt: Schulbücher in Gaza seien „voll mit Hass“, es werde zur Vernichtung Israels aufgerufen. „Was ist Genozid?“, fragte er ins Publikum. Seine Antwort: Ein geplanter Angriff, um Menschen zu töten. Der 7. Oktober sei ein solcher „Völkermord“ gewesen. Israel verteidige sich, weshalb es täglich mit Hunderten Raketen beschossen werde. Wie, fragte Gronich, wäre es für Deutschland, wenn es aus Österreich beschossen würde? Zu den Schulbüchern fragte Hamdan Gronich: „Was erwarten Sie denn?“ Israel habe Palästinensern das Land weggenommen, sie hätten allen Grund, „den Staat Israel zu hassen“. Als Gronich daran erinnerte, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten sei, reagierte das Publikum mit lautem Murren.

Nach etwa eineinhalb Stunden, in der Pause, verließ Gronich den Saal. Noch am selben Abend sagte er im Telefonat mit der SZ, dass seine Sicherheitsleute ihm zum Gehen aufgefordert hätten, er selbst habe die Atmosphäre als zunehmend „aufgeheizt“ erlebt.

Stefan Jakob Wimmer. (Foto: Florian Peljak)

Wimmer zeigte sich enttäuscht über Teile des Publikums. Es sei doch eigentlich ums Aushalten anderer Positionen gegangen. Als er erklärte, dass Gronichs Security die Atmosphäre als aggressiv wahrgenommen habe, reagierte das Publikum mit lautem Lachen. „Es ist nicht zum Lachen“, rief Wimmer, man müsse dieses Empfinden ernst nehmen.

Die Polizei war mit zwei Beamten anwesend, erklärt ein Polizeisprecher auf SZ-Anfrage und schildert deren Wahrnehmung: Als „emotional“ könne man die Stimmung bezeichnen, „zu keiner Zeit jedoch als aggressiv oder bedrohlich“. Die Appelle der Saalordner, sich zu mäßigen, hätten gefruchtet, „sodass weit überwiegend Ruhe im Saal war“. Das Weggehen Gronichs beruhe „nicht auf Aufforderung oder Zuraten der Polizeibeamten“.

Auch an diesem Abend zeigte sich, was Stefan Jakob Wimmer als „DNA“ des Israel-Palästina-Konflikts und „einseitige Lagersolidarisierung“ beschrieb: Die eigene Seite habe immer recht, und: „Die andere Seite macht alles falsch.“ Trotz dieser Polarisierung begrüßten viele Besucher, dass solch ein Podium versucht wurde. Ein Gast, der am Mikrofon Verständnis für die Reaktion Gronichs äußerte, sagte, er wünsche sich weitere Veranstaltungen dieser Art. Dann solle man über das Zusammenleben in München angesichts des Nahost-Konflikts reden.

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