Erinnerung an NS-Opfer:Müssen die Gedenk-Stelen wieder verschwinden?

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Gesicht(er) eines Platzes: Seit 2016 erinnern zwölf Stelen am Neuhauser Platz der Freiheit an Menschen, die Widerstand gegen die Nazis leisteten. Manche von ihnen haben dies mit dem Leben bezahlt (Foto: Stephan Rumpf)

Die Installation zu Opfern des NS-Regimes am Platz der Freiheit war nicht als dauerhaftes Projekt geplant - sollte es aber im Empfinden von Bürgern und Lokalpolitikern werden. Doch die Stadt ist dagegen.

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Darf etwas, das als temporäre Installation ausgewiesen war und zu einem Erfolgsmodell geworden ist, zur dauerhaften Einrichtung werden? Oder wäre das vergleichbar der nachträglichen Genehmigung eines Schwarzbaus, wie die CSU im Neuhauser Bezirksausschuss (BA) findet? Darüber zanken die BA-Mitglieder untereinander und auch mit der Stadtverwaltung. Es geht um die zwölf Stelen, die ein Aktionskreis um den Münchner Künstler Wolfram Kastner im Sommer 2016 am Platz der Freiheit aufgestellt hat.

Auf den schlanken weißen Säulen befinden sich insgesamt 13 Porträts samt kurzer Vita von Menschen, die auf vielfältige Weise Widerstand in der Nazi-Diktatur gewagt haben. Viele der Texte enden mit den Worten "ermordet am...". Immer wieder bleiben Passanten stehen und studieren aufmerksam die kleine Ausstellung, die den verkehrsumtosten Platz an der Ecke Landshuter Allee/Leonrodstraße einfriedet und auch optisch aufwertet.

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Dieses Denkmal sei "das richtige Zeichen auf einem Platz, der einst nach Paul von Hindenburg benannt war", eine "sehr umsichtige, plastische Darstellung der vielen Gesichter des Münchner Widerstands gegen die NS-Diktatur", urteilte einst der renommierte, verstorbene Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte. Zweimal schon ist die Installation verlängert worden, zuletzt bis Oktober 2020 - er selbst, so hatte Kastner in der Vergangenheit schon trotzig angekündigt, werde die Stelen sicher nicht abbauen. Zweimal schon hat die Neuhauser Bürgerversammlung sich für den dauerhaften Verbleib der Stelen ausgesprochen, auch die Fraktion der Linken im Stadtrat hat einen entsprechenden Antrag gestellt.

Die Stadtverwaltung lehnt das ab. Der Kulturausschuss argumentiert dabei auf zwei Schienen: Zum einen hätte ein dauerhaftes Kunstwerk im öffentlichem Raum eine Ausschreibung erfordert, was hier nicht erfolgt ist. Zum zweiten biete sich der Platz der Freiheit an "für wechselnde Kunstinterventionen, gruppiert um das vielfältige Thema Freiheit". Künstlerinnen, Historiker, Schulen oder Vereine könnten hier Ausstellungen, Installationen oder Workshops realisieren. Der Bezirksausschuss könne maßgeblich in die Konzeption einbezogen werden. Eine tolle Chance, auch für Künstler im Viertel, findet BA-Mitglied Wolfgang Schwirz (CSU). "Da sollten wir uns doch nicht komplett aus dem Spiel nehmen." CSU-Fraktionssprecherin Gudrun Piesczek betonte noch einmal, dass für ein dauerhaftes Kunstwerk die Rechtsgrundlage fehle, darüber könne die Stadt nicht einfach hinwegsehen. Sie argwöhnte überdies, Wolfram Kastner könne noch mehr Geld als die bisher vom BA und vom Kulturreferat erhaltenen Zuschüsse wollen, wenn die Stelen auf immer stehen bleiben.

Urheber des Werks: Künstler Wolfram Kastner. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Befürworter im Bezirksausschuss halten die Stelen für eine äußerst gelungene Form der Erinnerungskultur, die den Charakter des Platzes präge und sich inzwischen im Bewusstsein der Neuhauser verankert habe. "Ein Abbau gäbe einen Aufschrei unter den Leuten", warnte Claudia Wirts (Grüne). Auch Jürgen Lohmüller-Kaupp (Die Linke) sprach sich gegen wechselnde Projekte aus: "Das Gedenken an Widerständler zur Spielwiese für künstlerische Betätigung zu machen, davon halt ich nichts." SPD und Grüne haben deshalb einen Antrag formuliert, in dem sie nicht nur die ablehnende Stellungnahme der Verwaltung zur Bürgerversammlungsempfehlung zurückweisen, sondern das Kulturreferat auffordern, ein Konzept für den dauerhaften Erhalt der Stelen zu erarbeiten. Viel Konzeptionelles wäre da freilich nicht nötig, die Anregung, gelegentlich die Porträts an den Säulen auszuwechseln, haben Kastner und seine Mitstreiter schon längst aufgegriffen.

Mit großer Mehrheit, nur gegen acht CSU-Stimmen, folgte das Gremium diesem Antrag. Die CSU scheiterte auch mit der Bitte, dann wenigstens den letzten Absatz im Text zu streichen. Dort heißt es, sprachlich ziemlich verschlungen, ein Auswechseln "könnte zudem eine Relativierung der Ausdruckskraft des Andenkens der Widerstandskämpfer im Lichte des wachsenden faschistisch geprägten Populismus ermöglichen und dementsprechend einen fatalen Symbolcharakter in der Öffentlichkeit haben". Die CSU empfand das als üble Unterstellung, "das zieht uns die Schuhe aus", schimpfte Schwirz. Um der Passage etwas den Stachel zu nehmen, wurde das Wörtchen "fälschlicherweise" eingefügt.

© SZ vom 20.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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