Pinakothek der Moderne:Da schau her

Pinakothek der Moderne: Der wilde Ritt durch die Kunstgeschichte der vergangenen 120 Jahre in der Pinakothek der Moderne scheint auch Andy Warhol (Self-Portrait, 1967) nachdenklich zu machen.

Der wilde Ritt durch die Kunstgeschichte der vergangenen 120 Jahre in der Pinakothek der Moderne scheint auch Andy Warhol (Self-Portrait, 1967) nachdenklich zu machen.

(Foto: © 2022 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./Artists Rights Society (ARS), New York)

Die Pinakothek der Moderne pfeift auf Chronologie und mischt die Werke der Kunst der Moderne bis in die Gegenwart unter dem Titel "Mix & Match" völlig neu.

Von Evelyn Vogel

Mit einem tiefen Eingriff in die Sammlungen der Klassischen Moderne, der Gegenwartskunst, der Fotografie und Medienkunst beschreitet die Pinakothek der Moderne im 20. Jahr ihres Bestehens neue Wege. Zeitgemäße Wege, wie sämtliche beteiligten Kuratoren sowie der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Bernhard Maaz, betonten. "Wir gehen weg vom Gänsemarsch der Kunstgeschichte", so Maaz. Es gehe um nichts weniger als um "eine Re-Organisation" der Sammlung der Moderne unter dem Titel "Mix & Match". Ein mittlerer sechsstelliger Betrag sei dafür notwendig gewesen, Geld, das die Pinakothek der Moderne schlichtweg nicht für derartige Kraftakte zur Verfügung hat. Denn es musste ja "nur" gestrichen und umgehängt werden. Trotzdem wären alle Pläne nicht realisierbar gewesen, hätte man nicht "Raumpaten" gefunden. Der Dank von Maaz war entsprechend lang, ging an Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen.

Und Oliver Kase, seit einiger Zeit Stellvertretender Generaldirektor und Sammlungsdirektor für die Moderne Kunst, lieferte erst einmal ein bisschen Statistik nach: Acht Monate Arbeit, 25 Räume, 350 Werke, 3600 Quadratmeter, 150 Künstlerinnen und Künstler, sechs Kuratoren zählte er auf, die "Mix & Match" möglich gemacht haben. Es sei "eine Entdeckungsreise durch 120 Jahre" Kunstgeschichte. Übrigens begleitet von einer neuen interaktiven App. Das Prinzip der chronologischen Sammlungspräsentationen bricht die Pinakothek der Moderne - nach dem MoMA in New York und anderen Museen dieser Welt - damit auf. Die Neuhängung konzentriert sich auf Themen und ästhetische Konzepte. Es sei eine "vollständige Eliminierung" der Chronologie. "Was wir hier gemacht haben", so Kase, "geht weit über das hinaus, was andere Museen tun". Zudem sei "Mix & Match" eine "dynamische Dauerausstellung" - ein Paradox, muss man sagen, was vielleicht ein Stück weit bewusst gewollt, im Wesentlichen aber dem Umstand geschuldet ist, dass manche Werke einfach zu lichtempfindlich sind, um sie fast zweieinhalb Jahre hängen zu lassen.

Als Sammlungsleiter der Klassischen Moderne, der Oliver Kase ja auch nach wie vor ist, wies er darauf hin, dass die Neukonzeption für seinen ureigensten Sammlungsbereich erst einmal einen Verzicht bedeute. Kein anderer Teil der Modernen Kunst in der Pinakothek der Moderne verfügt über so viele Werke und beanspruchte bislang eine so große Ausstellungsfläche wie die Klassische Moderne. Und nun: Beckmann, Corinth, Klee, Kirchner, Macke, Marc, Matisse, Picasso und einige mehr "zwischen" Nachkriegs- und zeitgenössischer Kunst, Fotografie, Neonarbeiten und Installationen oder "neben" Videokunst. Und auch die Künstler-Räume sind vorerst aufgelöst. Beckmann, Baselitz, Kiefer beispielsweise - manche ihrer bedeutsamen Werke mussten zugunsten weniger bekannter Arbeiten weichen, was vielleicht nicht allen noch lebenden Künstlern, vielleicht auch nicht allen Sammlern und Stiftern gefallen wird. Aber, so Oliver Kase, man nehme diesen Diskurs in Kauf. An all das wird sich die Fan-Gemeinde erst einmal gewöhnen müssen.

Und die anderen? Jene, die nur selten ins Museum gehen? Die nun in der Jubiläumswoche bei freiem Eintritt vielleicht zum ersten Mal die Pinakothek der Moderne betreten? Wie werden sie diese Begegnungen von Kunstwerken über die klassischen Gattungsgrenzen hinweg empfinden? Viele werden, so viel darf man mit Sicherheit vorhersagen, schlichtweg nichts von dieser, in kunstgeschichtlicher Hinsicht geradezu revolutionären Neuordnung bemerken. Was sie und alle anderen hingegen sehen werden, wird sein, wie Künstlerinnen und Künstler über die zurückliegenden 120 Jahre hinweg aus ihrer persönlichen Situation, aus der Zeit und aus ihrer gesellschaftlichen Umgebung heraus bestimmte Themen sahen, verstanden und darstellten.

Pinakothek der Moderne: Germaine Krull hat sich um 1928 mit ihrer Icarette selbst porträtiert.

Germaine Krull hat sich um 1928 mit ihrer Icarette selbst porträtiert.

(Foto: Nachlass Germaine Krull, Museum Folkwang, Essen)

Dabei haben die Kuratorinnen und Kuratoren, jeweils in Duos, die Räume unter einzelnen Aspekten gestaltet und diesen die Titel jeweils eines dort ausgestellten Kunstwerks gegeben. Die Themen wurden möglichst offen gehalten, um den Betrachtenden Assoziationsräume zu eröffnen. Dennoch ist den Kuratorinnen und Kuratoren klar, dass "Kuratieren auch manipulieren" bedeutet, wie Bernhard Schwenk, Leiter der Sammlung Gegenwartskunst, eingestand. Eine "neutrale Ausstellung" gebe es schlichtweg nicht.

Und was ist nun bei "Mix & Match" zu sehen? Das fängt an mit einem der Hauptwerke der Klassischen Moderne in der Pinakothek der Moderne, dem Macke-Gemälde "Mädchen unter Bäumen" von 1914. Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang "Klassische Moderne"? Schlichtweg nichts. Das farbintensive Bild mit spielenden Mädchen ist einfach so stark, dass es jeden anspricht und wirkt - egal wo und wie es hängt. Über Eck läuft die Videoarbeit "Kindergarten Antonio Sant'Elia" in Schwarz-Weiß von David Claerbout aus dem Jahr 1998, bei dem die uniformierten, wie eingefroren wirkenden Schulkinder von Bäumen beschattet werden, deren Blätter als einzige Zeugen eines Bewegtbildes im Wind wehen. Zwei Künstler, zweimal Kinder, zweimal ein komplett unterschiedlicher Umgang mit dem Thema, aber jedes auf seine Art ungemein aussagekräftig.

Das Thema Kindsein setzt sich fort im nächsten Raum - einem der vielleicht schönsten, weil vielfältigsten in der gesamten Ausstellung: "Die Kinder des Künstlers" wurde er genannt nach einem Gemälde von Lovis Corinth von 1916. Von hier wird der Bogen geschlagen über die Jahrzehnte und durch fast alle beteiligten Sammlungsbereiche bis hin zu zwei Bildern von Jochen Klein von 1997, das alles begleitet von den zarten Klängen einer herrlich poetischen Soundinstallation von Mounira Al Solh. Von menschlich-privaten geht es hin zu gesellschaftlichen Themen wie Natur, Klimakrise oder Migration, auch einzelne Bereiche wie Licht, Arbeitsweisen oder Bildauffassung eröffnen ein Spektrum der Möglichkeiten. Das ist Chance und, wenn man so will, Schwäche zugleich: Überall gäbe es auch andere Werke, die man zusammen ausstellen könnte. Aber wie sagte Bernhard Schwenk doch gleich: "Risiko und Wagnis sind die Voraussetzungen, damit interessante Kunst entsteht." In diesem Sinne fordern wir mit ihm weitere Experimente.

Mix & Match, Pinakothek der Moderne München, Barer Straße 40, bis 14. Januar 2024

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