Süddeutsche Zeitung

Pflegeberufe:"Der Verteilungskampf wird härter"

Lesezeit: 3 min

Trotz 1100 Bewerbungen hatte das Münchenstift Probleme, genügend Auszubildende für die Altenpflege zu finden

Von Sven Loerzer

Trotz schwieriger Bedingungen hat der größte kommunale Ausbilder in der Altenpflege, der städtische Heimträger Münchenstift, alle Ausbildungsplätze zum 1. September besetzen können. 60 junge Frauen und Männer starten dann in ihre dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft, weitere 30 die einjährige Ausbildung zu Pflegehelfern. Insgesamt 220 Frauen und Männer erlernen den Pflegeberuf, 40 weitere junge Menschen absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einem der 13 Münchenstift-Häuser. Münchenstift-Chef Siegfried Benker will künftig noch mehr Fachkräfte ausbilden: "Der Hauptweg, zu Fachkräften zu kommen, ist die eigene Ausbildung."

"Dieses Bewerbungsjahr war schwierig", sagt Ausbildungskoordinator Christian Wiedemann, "aber wir haben alle Stellen besetzen können". Die ohnehin nicht einfache Situation auf dem Pflege-Ausbildungsmarkt habe zusätzlich darunter gelitten, dass viele potenzielle Bewerber auf das Ausbildungsjahr 2020 warten, wenn die generalistisch ausgerichtete Pflegeausbildung eingeführt wird. Sie löst die unterschiedliche Ausbildungsrichtungen zur Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege ab und eröffnet damit den Absolventen mehr Berufsfelder. "Der Verteilungskampf wird dann härter", befürchtet Benker, der deshalb für die generalistische Pflegeausbildung künftig noch mehr Lehrstellen bieten will.

Insgesamt gingen 1100 Bewerbungen ein, viele davon aber nur in kurzer Form. Etwa 600 ernsthafte Bewerbungen für die Fachkraftausbildung verzeichnete Wiedemann. Dennoch sei es schwierig gewesen, davon 60 Frauen und Männer auszuwählen, die einen Ausbildungsvertrag bekommen. "Denn viele Bewerber haben nicht das notwendige Sprachniveau, um ihre Ausbildung erfolgreich abzuschließen", erklärte Wiedemann. Die Auszubildenden in den drei Lehrjahren, zu 60 Prozent Frauen, kommen aus 39 Nationen.

Mit knapp 41 Prozent stammen die meisten aus Bosnien-Herzegowina, gefolgt von Deutschen mit fast 15 Prozent und Afghanen (knapp vier Prozent). Weitere 30 junge Frauen und Männer beginnen am 1. September ihre einjährige Ausbildung zu Altenpflegehelfern. Die insgesamt knapp 2000 Münchenstift-Mitarbeiter kommen aus 80 Nationen. "Die Pflege wäre ohne Menschen, die aus dem Ausland kommen, nicht machbar", sagt Personalchef Markus Edel. Dass viele Bewerber aus Bosnien kommen, dürfte auch mit den guten Busverbindungen dorthin zusammenhängen, die Besuche bei der Familie erleichtern. Zudem gibt es viele Kontakte zu Bosniern, die nach der Flucht vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien hiergeblieben sind.

Für Ausbildungsanfänger aus Ländern, die nicht der EU angehören, ist der Weg nach München nicht gerade einfach. "Oft ist es schon schwierig einzuschätzen, ob ihr Abschluss zur bayerischen Systematik passt", sagte Wiedemann. Dann müssen sie sich rechtzeitig um einen Termin bei der deutschen Botschaft kümmern, "da sind oft kurzfristig keine Termine mehr offen". Für ihr Visum müssen sie den Ausbildungsvertrag und den Schulvertrag vorlegen, zudem auch das Sprachzertifikat B2 eines anerkannten Spracheninstituts. Mit weniger Sprachkenntnis (B1) können sie ein FSJ beginnen, sagt Münchenstift-Chef Siegfried Benker. FSJ-Praktikanten kommen fast nur noch aus dem Ausland. Sie müssen bei der Botschaft mittels Bürgschaft oder Sperrkonto nachweisen, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist.

Bereits ins vierte Jahr geht das von Benker initiierte und mit Zuschüssen des Wirtschaftsreferats finanzierte Förderprojekt für Geflüchtete. Erneut starten 20 junge Menschen unterschiedlicher Nationalität zum Vorbereitungsjahr, das sie dann mit der Pflegehelferausbildung und anschließend mit der Pflegefachkraftausbildung fortsetzen können. Die Sozialpädagogin Christina Schnabl steht den jungen Leuten zur Seite, etwa bei der Vermittlung von Wohnraum, wenn sie aus Jugendhilfeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften kommen. "Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften fördert die Ausbildungssituation grundsätzlich nicht", sagt Wiedemann. "Es macht die Integration wesentlich schwieriger." Auch für den Spracherwerb sei das nicht gut.

"Viele Hürden entstehen nicht dadurch, dass Menschen geflüchtet sind, sondern durch die Bürokratie", meint Christina Schnabl. In Gemeinschaftsunterkünften außerhalb Münchens habe es wenig Angebote gegeben, um die Ausbildungsreife zu erreichen, ergänzt Wiedemann. Während des Vorbereitungs- und Praktikumsjahrs nimmt die Förderung die Hälfte der Zeit ein: So erhalten die jungen Geflüchteten 600 Stunden Deutschunterricht, einen Computerkurs, dazu kommen 25 Berufsschultage und neun Seminartage. Schnabl macht die Geflüchteten dabei mit der neueren Geschichte vertraut, geht auf die Gleichstellung von Mann und Frau ein und vermittelt die Werte des Unternehmens.

Um Nachwuchs zu gewinnen und zu halten, ist viel Aufwand nötig. So verfügt der städtische Heimträger inzwischen über rund 500 Wohnmöglichkeiten. Auszubildende können einen Mietzuschuss in Höhe von bis zu 250 Euro erhalten. Wiedemann ist an Schulen unterwegs, um für den Pflegeberuf zu werben. Dort gebe es auch immer wieder Schüler, die sich dafür interessieren, "aber die zweite Hürde sind die Eltern", die andere Vorstellungen haben. "Der Beruf wird als nicht so attraktiv angesehen", sagt Benker. Dabei gebe es im Ausbildungsjahr 1150 Euro Vergütung, im dritten Jahr 1350 Euro. Wer erfolgreich die Ausbildung abschließt, erhält ein Anfangsgehalt in Höhe von 3250 Euro, dazu kommen noch die Zuschläge, die Jahressonderzahlung und die leistungsorientierte Prämie.

Und überdies biete die Langzeitpflege anders als die Krankenpflege dem Personal die Möglichkeit, "eine Beziehung einzugehen, sich auf Menschen einzulassen", betont Wiedemann. Es sei ein "fordernder Beruf, man kann viel einbringen", sagt Benker, überdies auch "zukunftssicher, die Altenpflege wird auf Jahrzehnte ein Mangelberuf bleiben".

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Quelle:
SZ vom 20.08.2019
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