Mehr als ein Drittel aller Seniorinnen und Senioren, die in einem Münchner Pflegeheim leben, sind bereits auf Sozialhilfe angewiesen, weil sich der Eigenanteil an den Heimkosten nicht aus ihrer Rente decken lässt und das Vermögen aufgezehrt ist. Zwischen 3200 und 3700 Euro müssen Bewohner beispielsweise bei Pflegegrad 3 im ersten Jahr im Heim-Einzelzimmer monatlich aufbringen.
Das übersteigt selbst die theoretisch erreichbare Höchstrente bei Weitem: Wer von 1977 bis 2022, also 45 Jahre lang, jeweils den Höchstbeitrag nach der Beitragsbemessungsgrenze (aktuell bei 87 600 Euro jährlich) eingezahlt hat, was kaum jemand schaffen dürfte, würde nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung jetzt eine monatliche Rente in Höhe von 3141,82 Euro bekommen. Nach Abzug des Eigenanteils des Rentners an der Krankenversicherung und Pflegeversicherung bleiben vor Steuern 2791,51 Euro übrig. Die durchschnittlich bezahlten Altersrenten lagen Ende 2021 weit darunter: 1212 Euro für Männer in den alten Bundesländern, 737 Euro für Frauen.
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Es ist also nicht verwunderlich, dass der Anteil derjenigen, die im Pflegeheim auf Sozialhilfe angewiesen sind, Jahr für Jahr weiter ansteigt. Für Ende 2021 beziffert das Sozialreferat den Anteil auf 36,5 Prozent, 1,8 Prozentpunkte mehr als noch vor drei Jahren. Knapp 2700 Pflegeheimbewohner benötigen Sozialhilfe, die der Bezirk Oberbayern übernimmt, wenn das eigene Einkommen und die Leistungen der Pflegekasse die Kosten nicht decken. Die Betroffenen erhalten dann monatlich darüber hinaus nur einen sogenannten Barbetrag (2022: 127,17 Euro). Der steht zur freien Verfügung, etwa für Friseurbesuch, Getränke, Fernsehzeitschrift oder Fußpflege.
Zwar habe die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode einen ersten Versuch unternommen, die seit einiger Zeit sichtbar steigenden Eigenanteile zu begrenzen, berichtete Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) im Sozialausschuss des Stadtrats. Doch die seit Anfang 2022 geltende Entlastung hängt von der Dauer des Heimaufenthalts ab. Im ersten Jahr gibt es einen Zuschlag von fünf Prozent, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 50 Prozent und vom vierten Jahr an 75 Prozent - allerdings nur für den pflegebedingten Aufwand.
Wie sich das auswirkt, zeigt beispielhaft ein Blick auf die Kosten für ein Einzelzimmer im Caritas-Altenheim St. Nikolaus, das keineswegs zu den teuersten Heimen gehört: Dort weist die aktuelle Preisliste monatliche Kosten in Höhe von 4779,29 Euro bei Pflegegrad 3 aus. Die Selbstkosten bei Einzug (Stand November 2022) betragen 3418,75 Euro, nach zwölf Monaten sind es dann 3024,60 Euro, nach 24 Monaten 2630,39 Euro und nach 36 Monaten 2137,77 Euro. Im Evangelischen Pflegezentrum Sendling sind im ersten Jahr in einem normalen Einzelappartement 3217,47 selbst aufzubringen.
Etwa die Hälfte der Bewohner stirbt innerhalb des ersten Jahres
Dass angesichts dieser Beträge nicht noch mehr Bewohner von Pflegeheimen Sozialhilfe beziehen, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass etwa die Hälfte innerhalb des ersten Jahres im Heim stirbt, wie der "Zwölfte Marktbericht Pflege" des Sozialreferats gezeigt hat. Um nur wenige Monate zu bezahlen, reichen aber vorhandene Ersparnisse wohl in vielen Fällen gerade noch aus. Dank des 2020 in Kraft getretenen Angehörigen-Entlastungsgesetzes müssen sich Eltern nur dann sorgen, dass ihre Kinder zur Zahlung herangezogen werden, wenn deren Jahreseinkommen 100 000 Euro brutto übersteigt.
Weil ein großer Teil der Pflegebedürftigen kaum Entlastung beim Eigenanteil erhält, fordert Sozialreferentin Dorothee Schiwy schon seit Langem eine "nachhaltige Begrenzung der Eigenanteile" für alle Bewohner in den Heimen. Entsprechende Briefe gingen nicht nur an den derzeitigen Gesundheitsminister, sondern auch schon an seinen Vorgänger. Energiepreisentwicklung, allgemeine Teuerung und höhere Personalkosten haben die Eigenanteile bereits erheblich steigen lassen. Experten rechnen damit, dass sie in diesem Jahr um weitere 300 bis 400 Euro monatlich steigen könnten, etwa bei Heimträgern, die ihr Personal nach dem Tarifwerk für den öffentlichen Dienst bezahlen. Auf Antrag der Stadtratsfraktion Die Linke/Die Partei hat jetzt der Sozialausschuss beschlossen, dass der OB gebeten wird, von der Bundesregierung weitere Schritte zu einer erheblichen Reduzierung der Eigenanteile zu fordern.
Darüber hinaus müsse mittelfristig die solidarische Pflegeversicherung eingeführt werden, bekräftigte Sozialreferentin Schiwy. Die Vorsitzende der SPD/Volt-Fraktion im Rathaus, Anne Hübner, sagte, "die Kostensteigerungen verdeutlichen, dass die Pflegeversicherung eine große Reform braucht, weil die notwendigen Einkommenssteigerungen des Personals immer auf die Bewohner umgelegt werden müssen". Die Pflegeversicherung refinanziere diese Kostensteigerungen zu einem immer geringeren Teil.