Thomas Schmid hat die Nacht durchgemacht. Trotzdem lächelt er an diesem Morgen um zehn - und das liegt nicht am hellen Sonnenschein. Die Augen des Spenglers aus Bichl bei Kochel ruhen auf einem Zwiebelturm, der vor dem Eckbau an der Pettenkoferstraße 48 steht. Oder besser gesagt, einer Doppelzwiebel mit Laterne. "Vier Wochen lang haben wir zu viert daran gebaut." Zerlegt in mehrere Teile hat dieses Schmuckstück in der Nacht ein Schwerlasttransporter nach München gefahren, die St.-Paul-Straße hat man dafür extra gesperrt. Danach haben Schmid und sein Team die Teile wieder zusammengesetzt. Über Stunden.
Neben Schmid strahlt an dem Morgen auch Jakob Bader. "Mit der Doppelzwiebel auf dem Erker der Pettenkoferstraße 48 bekommt München eine weithin sichtbare Landmarke im Häusermeer", sagt der Architekt. "Dieser Turmhelm, eine Rekonstruktion nach den Originalplänen von 1890, fehlt dem alten, im Krieg verschonten Gebäude im Stil der Neo-Renaissance schon seit den 1930er-Jahren."
Das Haus an exponierter Stelle steht unter Denkmalschutz. Der Eigentümer, eine Vermögensverwaltung, wollte das Dachgeschoss schon lange zu Mietwohnungen ausbauen und im Zuge dessen auch den Turm wiederherstellen. Doch das Vorhaben gestaltete sich komplexer als erwartet - auch aufgrund der Statik. "Unsere Recherchen haben ergeben, dass die ursprüngliche Konstruktion dem sich über die Theresienwiese von Westen aufbauenden Winddruck nicht standgehalten hat und deshalb abgetragen werden musste", erklärt Bader.
Damit dasselbe nicht mit dem neuen Helm passiert, mussten zuvor im Inneren des bewohnten, fünfgeschossigen Gebäudes massive bauliche Maßnahmen bis hin zu einer kompletten Erneuerung des Dachstuhls ergriffen werden. Unsichtbar von außen. "Sechsmal haben wir einen Bauantrag eingereicht - und jetzt, nach mehr als fünf Jahren Planungs- und Bauzeit, setzen wir dem Projekt Pettenkoferstraße 48 endlich seine Krone auf."
3,1 Tonnen schwer ist die Doppelzwiebel aus Zinkblech, der Rumpf hat einen Durchmesser von 4,30 Metern - so ein Trumm will erst mal auf das Dach gehoben werden. Noch fehlt am Morgen die Spitze, eine Windfahne mit Blattwerk, die die Münchner Kunstspenglerei Lorenz Sporer gefertigt hat. "Diese Spitze haben wir vor Jahren mal gebaut für ein ukrainisches Bauprojekt in Odessa", erzählt Spenglermeister Detlef Rheinwein. "Sie wurde aber nie abgeholt." Die Spezialisten für Metallornamentik haben bereits die verspielten Jalousie-Blenden an den Fenstern des denkmalgeschützten Altbaus kreiert, jetzt montieren sie die Fahne auf den Turm. Zehn Meter hoch ist der Helm mit Fahne, inklusive der Ertüchtigung des Erkers, der ihn tragen wird, ein 150 000 Euro teures Projekt.
Bei der jüngsten Sanierung des Anwesens wurden bereits der Hof und die Eingangssituation neu gestaltet sowie die Stuckelemente an der Fassade restauriert. Auch das Lokal im Erdgeschoss, um die Jahrhundertwende ein beliebter Treffpunkt für Volkssänger, weshalb für das Haus der Name "Sängerwarte" überliefert ist, wird bald wieder eröffnen: "Marie-Therese" soll das unter anderem von Wolfgang Hingerl betriebene bayerische Gasthaus von Hacker-Pschorr mit alpinem Touch heißen.
Zunächst aber ist von dem Restaurant nichts zu sehen, die Baustelle verstellt den Blick. Mittags kurz vor eins ist es endlich so weit: Ein großer Spezialkran hievt die Doppelzwiebel auf den Erker. Noch etwas Feintuning, dann sitzt der Turm. Neue Haushöhe samt Spitze: 33 Meter.