Hygiene und Seuchenschutz: Dazu ist bereits im 19. Jahrhundert jede Menge Überzeugungsarbeit nötig gewesen. Doch Max von Pettenkofer nahm sich die Zeit. Damals ging es nicht um Sars-CoV-2, um Schutzmasken und ums Impfen, sondern um die Cholera und ums Abwasser. Pettenkofer habe jeden Skeptiker im Münchner Magistrat einzeln zu Hause besucht und erklärt, warum man unbedingt Kanäle bauen müsse, erzählt Ben Tax. Die Zurückhaltung der Stadtväter war wohl nachvollziehbar, immerhin musste für die neue Schwemmkanalisation die halbe Stadt aufgerissen werden. Am Ende votierte der Magistrat dennoch einstimmig dafür.
Doch damit war es nicht getan. Auch die einzelnen Münchnerinnen und Münchner wollten davon überzeugt werden, ihre Abwässer tatsächlich in diese Kanalisation abzuleiten. Dagegen sprachen die Kosten. Landwirte klagten, sie brauchten die Fäkalien als Dünger. Und offenbar gab es sogar Leute, die den Gestank nicht missen wollten.
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Max von Pettenkofer, in München bald auch mäßig liebevoll als "Wasser-Gschaftlhuber" und "Scheißhäusl-Apostel" tituliert, hat dennoch nicht den Mut verloren - und mit dem Bau der Kanalisation aus dem einst als Typhus-Nest verschrienen München eine der saubersten Städte Europas gemacht. Diese Stadt hat Pettenkofer unter anderem dafür auf dem Maximiliansplatz ein Denkmal gesetzt. Ben Tax hat ihm nun ein weiteres gesetzt, ein reich bebildertes, das zwischen zwei Buchdeckel passt. Der Autor, Bauingenieur bei der Münchner Stadtentwässerung im Ruhestand, hat Pettenkofers Werk zu schätzen gelernt. Und wer sich fragt: Reich bebildert - will man wirklich Bilder zur Münchner Kanalisation sehen? Dem sei versichert: Ja, diese Bilder, diese Fotografien, Gemälde und technischen Zeichnungen will man sehen.
Das Buch heißt "Meine Verehrung Exzellenz!", und nicht nur im Titel ist ihm die Begeisterung des Autors anzumerken. Das Buch ist weniger eine wissenschaftliche Biografie als vielmehr eine Liebeserklärung - ein bisschen an den Münchner Untergrund, vor allem aber an Pettenkofer. Tax präsentiert zum Beispiel die Urkunde zur Verleihung der Münchner Ehrenbürgerwürde 1872 auf vier Seiten Faksimiles. Auszüge aus der Grabrede auf Pettenkofer füllen mehr als drei Seiten. Und kurz vor dem Ende steht ein eigenes Kapitel mit "Lobeshymnen ohne Ende", mit Medaillen, Orden, Ehrentiteln, Büsten.
Auch die Vita des Wissenschaftlers erzählt Tax mit viel Sympathie, angefangen beim kleinen Max, einem aufgeweckten Schulbuben, der einer Dienstmagd eine tote Ringelnatter an die Kammertür heftete, bis zu Pettenkofers berühmtem Selbstversuch mit Cholera-Bakterien, mit dem er 1892 beweisen wollte, dass Robert Kochs Annahme verkehrt sei, dass diese Bazillen ursächlich seien für die Cholera. Ein Experiment mit eigenartigem Ausgang, denn Koch hatte zwar Recht, aber Pettenkofer überlebte, ohne schwer zu erkranken. Womöglich hatte er durch seine Forschung bereits eine gewisse Immunabwehr aufgebaut.
Auch sonst war Pettenkofer kaum zu bändigen. Er mag der Vater der Münchner Kanalisation sein, aber er kümmerte sich auch um die Trinkwasserversorgung der Münchner, er reformierte den Schlachthof, forschte an Fleischextrakt und Kunstdünger, an Zahnfüllungen und Straßenlaternen, an Wegen zur Gemälderestauration und zur Reinigung eines Denkmals. Er half, als der bayerische König in seiner Residenz über arg trockene Luft klagte. Und als 1882 in einem Kuriositätenkabinett am Färbergraben eine Giftschlange ausbüxte und nicht mehr eingefangen werden konnte, war es Pettenkofer, der das Gebäude ausräuchern ließ, Raum für Raum, bis die Schlange verendet war.
Ben Tax, der Autor, ist jahrzehntelang immer wieder mit Besuchergruppen in die Münchner Kanalisation hinabgestiegen. Dabei sei sein Interesse an Pettenkofers Leben und Werk entstanden, schreibt er. Am Ende beantwortet er die mutmaßlich häufigsten Fragen, die er dort unten hörte. Erstens: Was ist mit Ratten? Die Antwort lautet: Die gibt es, aber äußerst selten. Und zweitens: Was ist mit Fett? Im Herbst 2017 war in der Londoner Kanalisation ein monströser, 250 Meter langer Fettkloß aufgetaucht; ein Stück des "fatberg", auch "Monster of Whitechapel" genannt, liegt nun im Museum of London.
Ob so etwas auch in München möglich sei? Tatsächlich habe es einmal einen großen Münchner Batzen gegeben, schreibt Tax: in den 1980er Jahren, 150 Meter lang, eineinhalb Meter hoch, in einem Kanal unter dem Frankfurter Ring, durch den wegen Bauarbeiten zwei Jahre lang wenig Wasser geflossen war. Die Stadtentwässerung rückte mit Schaufeln an. "Unsere Münchner Fettwurst", wie Tax sie fast liebevoll nennt, gibt es auch im Foto.
Ben Tax: Meine Verehrung Exzellenz! Max von Pettenkofer - Hygiene für München und die Welt. München: Franz Schiermeier Verlag 2021, 160 Seiten, 22 Euro.