Sven Karadi ist erleichtert. "Es ist unglaublich, ich kann es noch gar nicht fassen", sagt der 32-Jährige am Mittwochabend. Er kommt gerade aus einem Gespräch mit seinem Vermieter: Alfons Doblinger, Eigentümer von fast 14 000 Wohnungen in München. In dem Gespräch ging es allerdings um viel mehr als nur um Karadis Wohnung, sondern vor allem um die Zukunft von einigen Dutzend Mietern an der Paulckestraße 1-9, einem großen achtstöckigen Wohnblock. Vielleicht ging es sogar um die Zukunft von vielen hundert Mietern im ganzen Hasenbergl, die in Wohnungen der WSB-Bayern leben - also dem Unternehmen, das dem Bauunternehmer Doblinger gehört. Nun haben sich die Mieter in der Paulckestraße erfolgreich gegen eine drohende Entmietung zur Wehr setzen können.
"Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, tagsüber hat mein Kopf die ganze Zeit gerattert", erzählt Karadi. Er hat fünf nervenaufreibende Monate hinter sich. Vergangenen September haben er und rund 72 Mieter an den Hausnummern 3 und 7 Briefe bekommen, dass sie ihre Wohnungen verlassen sollen. Das Wohnhaus müsse dringend saniert werden, teilte ihnen die WSB mit - und dafür müssten die Wohnungen leer stehen. "Ich hatte Angst, dass mir im März das Wasser und der Strom abgedreht werden", sagt Karadi, der inzwischen Sprecher der Mietergemeinschaft "Paulckeblock" ist. Die hat sich über Neujahr unter wütenden und verärgerten Mietern gegründet, die das nicht hinnehmen, sondern für ihre Rechte kämpfen wollten. Denn das einzige, was die WSB ihnen angeboten hatte, war eine Abfindung von 5000 bis 8000 Euro für einen Auszug. Doch der Mietmarkt für günstige Wohnungen in München ist leergefegt. Karadi und seinen Nachbarn - darunter Rentner, Schwerbehinderte, Arbeitslose und viele Menschen, die kein Deutsch sprechen - hatten befürchtet, auf der Straße zu landen.
Kommentar:Erfolgreicher Widerstand
Sie haben sich mutig und hartnäckig gegen den größten Wohnungseigentümer in München, Alfons Doblinger, zur Wehr gesetzt: Jetzt können 40 Mieter im "Paulcke-Block" nach der Sanierung wieder in ihre Wohnungen zurückkehren
Nun ist die Angst plötzlich verflogen, denn bei dem Gespräch zwischen den Mietern und dem Immobilienunternehmer gab es eine Einigung. Wichtigster Punkt: Für die Dauer der Sanierungsarbeiten stellt die WSB Ersatzwohnungen zur Verfügung. Außerdem bezahlt sie die Umzugskosten und sichert den Mietern zu, dass sie anschließend in ihre alte Wohnung zurückkehren können. Die Sanierung wurde auf Ende des Jahres verschoben "wenn Corona es zulässt," notiert die WSB auch schriftlich. Die Sanierungen der Hausnummern 1, 5 und 9 seien vorerst auch verschoben. "Wir haben Doblinger in die Schranken gewiesen", freut sich Karadi. Allerdings hätten bereits rund 30 Mieter ihre Mietverträge gekündigt.
Für den Unternehmer ist alles ein großes Missverständnis. "Wir haben angenommen, dass wir vorinformieren. Wir haben jetzt erst erkannt, dass es nicht so verstanden wurde, wie es gemeint war", schreibt die WSB und versichert: "Wir gehen mit unseren Mietern ordentlich um." Noch im Januar hatte Doblinger freilich gesagt, dass er keine Ersatzwohnungen zur Verfügung stellen könne.
Doch die stünden den Mietern rechtlich zu, sagt Gabriele Meissner (SPD), Vorsitzende des Mieterbeirats München. Ebenso wie die Umzugskosten und der Wiedereinzug. Meissner hat die Mieter bei dem Kampf um ihre Wohnungen unterstützt. In vielen Vorgesprächen hat sie Doblinger auf diese Verpflichtungen hingewiesen. Meissner war bei dem Gespräch am Mittwoch dabei. "Wir nehmen ihn beim Wort. Sollte etwas schieflaufen, dann sind wir sofort wieder da," sagt sie.
In den vergangenen Monaten ist der öffentliche Druck auf Doblinger gewachsen. Nach dem Erscheinen zahlreicher Medienberichte haben sich die SPD-Politiker aus dem örtlichen Bezirksausschuss für die Mieter ausgesprochen. Im Stadtrat hat die Fraktion Die Linke/Die Partei eine Erhaltungssatzung für einen großen Teil des Hasenbergls beantragt, um Luxussanierungen künftig zu verhindern. Anfang dieser Woche ist auch der Bundestagsabgeordnete Florian Post (SPD) in die Paulckestraße gekommen und hat außerdem mit Doblinger telefoniert. Dabei habe der Bauunternehmer sein Einlenken signalisiert. "Wir haben jetzt eine gute Lösung für alle", sagt Post der SZ. Post fügt hinzu, er wolle Doblinger keine bösen Absichten unterstellen. Zudem zirkulierte in den letzten Wochen ein offener Brief der Bürgerinitiative Ausspekuliert, die Karadi und seine Nachbarn unterstützt hat. Darin prangern die Mietrechtsaktivisten das Vorgehen der WSB an. Der Brief wurde inzwischen von 25 Gruppierungen mitunterzeichnet, darunter alle Münchner Gewerkschaften und Mietervereine sowie Sozialverbände und Initiativen. "Wir freuen uns riesig, dass die Gefahr der Obdachlosigkeit für die Mieter im Hasenbergl vorerst abgewendet werden konnte," sagt Christian Schwarzenberger von "Ausspekuliert", der das breite Bündnis organisiert hat. Er glaubt, dass erst der Druck von Mietern und Zivilgesellschaft Doblinger zum Einlenken gebracht hat. Die Einigung sei ein Zwischenerfolg. "Wir fordern weiter, dass es keine Mieterhöhungen nach der Sanierung des Wohnblocks geben darf. Weitere Mieterhöhungen sind für viele Menschen im Wohnblock nicht mehr zu stemmen."
Die WSB hat bereits angekündigt, dass es neben Sanierungs- auch Modernisierungsarbeiten geben wird, die zum Teil auf die Miete umgelegt werden könnten. In welchem Umfang, ist bisher noch nicht bekannt. Gabriele Meissner vom Mieterbeirat hofft, dass sich diese im Rahmen halten werden. Sie werde die Pläne der WSB jedenfalls genau prüfen.