Patti Smith in München:Die Wucht, im Moment zu leben

Patti Smith in München: Haltung zeigen als Prinzip: Patti Smith.

Haltung zeigen als Prinzip: Patti Smith.

(Foto: Mapplethorpe)

Auf ihrem Konzert in München feiert Patti Smith das Leben - dabei verschränken sich Zeiten und Generationen. Mit ihrem Auftritt endet das Tollwood-Festival.

Von Christian Jooß-Bernau

Auf dieser Bühne offenbart sich die faktische Macht der Poesie im Sound. In der Stimme, im Körper, unter den Händen von Patti Smith. Bob Dylans "Wicked Messenger" als dritter Song an diesem letzten Abend des Tollwood-Festivals hat den Soul der Apokalypse, aus dem sich Patti mit einem brutalen Schrei stemmt, Blitze schleudernd. Endlich live, endlich Tollwood. Nach zweimaliger Corona-Verschiebung. Patti Smith vibriert vor Glück. Und ist gelandet im Jahr des Krieges, in dem eine Ukraine-Fahne am Podest eines Gitarrenverstärkers Haltung zeigt.

Ihre Finger geben beim Singen den Worten Masse und Form. Patti Smith ist leuchtende Innerlichkeit bei "Grateful", mit der Gravitas ihrer 75 Jahre unter langen grauen Zöpfen, sie ist Punk-Anarchie mit dem Mikro als Waffe in "Free Money". Schwitzend aufgelöst wird sie das Konzert beenden: "You fuckin' wore me out." Entzückt ist auch die Gattin, hier endlich mal das Anti-Instagram-Programm zu erleben. "Redondo Beach" ist Einstieg. Dem damaligen Zeitgeschmack geschuldet mit rudimentärem Reggae-Feeling versehen.

Nichts aber hat den Songs seit dem ersten Album 1975 etwas anhaben können. Patti Smith und ihre fantastische Band haben die Wucht, sie im Moment zu leben. "Nine", den Song, den sie für Johnny Depp schrieb, schickt sie in die Nacht wie einen kleinen poetischen Segen. Mit Lesebrille auf der Nase rezitiert sie Allen Ginsbergs "Footnote to Howl", haut es in die Menge, dass es staubt. Alles ist heilig, die Nase, die Hand, das Arschloch.

Der alte wunderbare Freund Lenny Kaye arbeitet an ihrer Seite, versunken in seine Stratocaster. Er singt "I Wanna Be Your Dog", den Stooges-Knaller. Prügelt ihn über die Bühne. Dass er den Song dem Münchner Meister der unterdrückten Lüste widmet, Thomas Mann, ist doch ziemlich geil. Übergang zu Lou Reeds "Walk On The Wild Side", gesungen vom Bassisten und Keyboarder Tony Shanahan. Als würde der CSD ein Licht auf diesen Abend werfen.

Der zweite Gitarrist auf der Bühne ist Jackson Smith, Pattis Sohn. Jackson ist ein toller Musiker, mit immer wieder liebevoll ausgearbeiteten Gitarrenparts, die mit Country-Picking-Technik und edel schimmerndem Hall Mamas Songs einen eigenen Touch geben. "Life - it's the best fuckin' thing we have", sagt Patti Smith, steigt ein in "Beneath The Southern Cross" mit seinen zwei Akkorden. Die Band schaukelt sie zum Gewitter auf. Und Jackson und Bassist Tony zitieren in ihrem langen Solo George Harrisons Song "Within You Without You", der die Welt transzendiert.

Hier verschränken sich Zeiten und Generationen. Fred "Sonic" Smith, Jacksons Vater und Pattis große Liebe, ist nach all den Jahren immer noch anwesend: in "Because", das sie als junge Frau für ihn sang. In "People Have The Power", der Zugabe, die sie gemeinsam schrieben. "We will live again", singt Patti Smith. Alle steigen sie ein. Die Lebenden und die Toten. Es ist ein Leuchten im Zelt.

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