Süddeutsche Zeitung

Pasing:Tiny-House-Projekt auf vermintem Gebiet

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Mit ihrem Tiny-House-Projekt sind vier junge Leute in Pasing zwischen die Fronten eines Streits zwischen Kleingärtnern und ihrem Verpächter geraten.

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Braune Eierschalensplitter bilden im Kreis eine Palisade um eine Zucchini-Pflanze. "Das hält Schnecken ab", sagt Fiona Hahn. Eigentlich ist die 27-Jährige keine Freundin von Zäunen. Sich abzuschotten, das kommt ihr, ihrem Partner Boris Lebedev und den beiden anderen Mitstreitern des Tiny-House-Projekts auf der Pasinger Gleisinsel nicht in den Sinn. Da unterscheiden sie sich wohl von ihren Nachbarn, den Kleingärtnern, die ja schon qua Bundeskleingartengesetz ihre Parzellen umzäunen müssen. Wer also an den zwei Holzhäusern auf Rädern vorbeikommt oder sich, was laut Fiona Hahn oft passiert, zufällig dorthin verirrt, darf näher treten und sich die kaum 18 Quadratmeter großen Holzhäuschen ansehen. Sofern die Hausleute überhaupt da sind, denn, das betont die junge Frau, sie wohnten dort nicht, in der Abgeschiedenheit zwischen den Gleisen, in der man in schöner Regelmäßigkeit sein eigenes Wort nicht versteht, weil ein Güterzug vorbeidonnert, oder ein ICE oder die S-Bahn.

"Wir möchten Inspiration sein, Nachhaltigkeit erlebbar machen", sagt Fiona Hahn über "Tiny Pop up München", wie sie ihr Projekt nennen. Die beiden Winzighäuser auf der Gleisinsel sind da so etwas wie Demonstrationsobjekte. Hahn holt aus: Sie wollen zeigen, dass man etwas Schönes gestalten kann, ohne den ganzen Platz zu besetzen, dass man mit Low-Tech-Lösungen, mit Recycling-Materialien, mit minimaler Umweltbelastung, und vor allem mit seinen eigenen Händen etwas schaffen kann. Die Häuser schmiegen sich mit ihren Rückseiten an ein Wäldchen, an ihrer Vorderseite zu den Gleisen hin, führt ein Trampelpfad vorbei. Jedes Haus hat eine schmale Holzterrasse, über die hin und wieder Eidechsen huschen. Strom wird mittels Solartechnik gewonnen, über einen sogenannten Grauwasserturm, eine Art Kleinstfilteranlage, wird der Garten bewässert, all das viele Gemüse und die Kräuter, die rund um die Tiny-Häuser angelegt sind.

Aus einer Brache einen schönen Ort machen, dieses Ziel scheint den vier jungen Leuten gelungen zu sein. Fiona Hahn und Boris Lebedev, ebenfalls 27, haben sich das handwerkliche Know-how erst aneignen müssen. Er ist Wirtschaftsingenieur mit dem Fachgebiet Erneuerbare Energien, sie Sinologin, die in Berlin an ihrem Studienabschluss arbeitet. Auf ihrer Internetseite "Mission winzig" teilen sie ihre Erfahrungen mit Gleichgesinnten und Neugierigen, Fehler wie Erfolge. Großes Glück, sagt Fiona Hahn, hätten sie mit ihren Nachbarn, den Schrebergärtnern: "Wir bekommen immer Tipps von ihnen und so viel geschenkt, seien es Balken für die Terrasse, Hochbeete, oder Minze, die einfach vor die Tür gestellt wird."

Fiona Hahn und ihre Mitstreiter hatten einiges unternommen, um einen temporären Standplatz für ihre mobilen Häuser zu finden. Doch Brachflächen als Zwischennutzungsräume für nicht kommerzielle Projekte, so wurde ihnen klar, sind rar in dieser Stadt. Sie hatten versucht, Kontakte zu den politischen Parteien und Entscheidungsträgern zu bekommen, was sich als eher zäh erwies. Immerhin hatten ihnen die Grünen-Politikerinnen Habenschaden und Sibylle Stöhr Unterstützung zugesagt. Schließlich bekamen die Vier den Tipp mit der Pasinger Gleisinsel, dieses von der Dynamik des wachsenden Stadtteils so seltsam abgehängte Niemandsland zwischen den Gleisen, zum Teil noch Bahngelände, zum Teil in Privateigentum. Ein idealer Ort also, um das Projekt zu realisieren und mit Veranstaltungen für die Idee zu werben. Alles lief gut. Wie also hätten sie 2019, als sie mit dem Aufbau der Häuser dort begannen, ahnen können, dass sie quasi auf vermintes Gebiet geraten sind, zwischen die Frontlinien eines Kleinkrieges, den die Kleingärtner und der Eigentümer des Geländes seit Jahren austragen?

Die Sache ist denkbar kompliziert. Der Eigentümer (der Name ist der Redaktion bekannt) befindet sich seit einiger Zeit im Rechtsstreit mit dem Verein Bahn-Landwirtschaft, dem Generalpächter der Kleingartenanlage auf seinem Grund. Wie sein Anwalt mitteilt, sei dem Verein die Kündigung ausgesprochen worden wegen "bauordnungs- und planungsrechtlichen Wildwuchses". "Die Kündigung wird darauf gestützt, dass sich der Pächter der Anlage die Tiny-Häuser selbst genehmigt hat - aber auch darauf, dass sich dort Wohnlauben befinden." Das Gelände sei als Kleingarten ausgewiesen, so der Jurist. Nach dem Bundeskleingartengesetz dürften dort keinesfalls bewohnbare Lauben errichtet werden. "Tiny-Häuser auf der Kleingartenanlage sind aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage ausnahmslos verboten." An sich, auch darauf weist der Anwalt hin, finde sein Mandant die Idee der Tiny-Häuser durchaus "ansprechend". Doch habe er als Verpächter der Anlage nichts zu genehmigen, selbst wenn er wollte.

Diesen wohlwollenden Eindruck habe ihnen der Grundeigentümer auch vermittelt, sagt Fiona Hahn, weshalb sie sich von ihm dort geduldet fühlten. Doch haben sie nichts Schriftliches vorzuweisen außer ihrer Mitgliedschaft im Kleingartenverein, dem sie den jährlichen Pachtzins überwiesen. "Pachtfläche der Bahnlandwirtschaft Pasing 5" steht auf einem weißen Schild neben einem der Tiny-Häuser, damit sei ihre Zugehörigkeit zur Anlage markiert. Sie seien Kleingärtner, betont Hahn, allerdings, das wisse sie auch, müsste ihre Parzelle eigentlich wie die übrigen mit einem richtigen Zaun umgeben sein.

Karl-Heinz Bendner, Geschäftsführer des Münchner Bezirks im Verein Bahn-Landwirtschaft, antwortet mit einem entschiedenen "Nein", fragt man ihn, ob die Tiny-Häuser zur Kleingartenanlage gehören. Ihre Besitzer, so sagt er, mögen Mitglieder des Kleingartenvereins sein, "aber sie haben keinen Pachtvertrag". Er vermutet, dass der Grundstückseigentümer, mit dem er im Streit liegt, den jungen Leuten die Brache zur Verfügung gestellt hat. Der unternehme doch alles, um die Bahnlandwirtschaft zu schädigen, "auch wenn er immer behauptet, er will die Kleingärtner nicht vertreiben".

Die Situation scheint verfahren, für alle Beteiligen, auch für die Tiny-Haus-Leute. Zumal aus dem Münchner Planungsreferat eine eindeutige Ansage kommt. Laut Sprecher Ingo Trömer hat es eine Ortsbesichtigung durch die Lokalbaukommission gegeben. "Es handelt sich dabei um ungenehmigte Bauten, weshalb sie nicht stehen bleiben können. Ein entsprechendes Verfahren wird aktuell durchgeführt." Für Fiona Hahn, Boris Lebedev und die anderen, die keine Zäune mögen und aus einem Schuttablageplatz ein kleines Paradies geschaffen haben, könnte dies bedeuten, dass sie mit ihren kleinen Häusern demnächst weiterziehen müssen.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2020
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