Süddeutsche Zeitung

Feiern auf den Straßen:"Bitte verlassen Sie den Platz!"

Weil der Andrang zu groß wird, sperrt die Polizei an den Abenden den Party-Hotspot Türkenstraße einfach ab. Für die Feiernden ist das kein großes Problem, sie ziehen weiter zum nächsten Ort - bis auch der geräumt wird.

Von Linus Freymark

Und dann geht plötzlich nichts mehr. Hier sei jetzt erst einmal Endstation, erklärt der Polizist. Alles abgesperrt, sagt der Mann in der funkelnden Warnweste, die Augen über der Maske zu engen Schlitzen zusammengekniffen. "Am besten, ihr sucht euch einen anderen Ort zum Feiern!" Drüben an der Uni sei es doch gut. Aber hier, rund um die Türkenstraße, haben er und seine Kollegen am späten Samstagabend alles abgeriegelt. Und so zieht die Partymeute eben weiter, von Münchens ehemaligem Party-Hotspot zum aktuellen: dem Professor-Huber-Platz, der Ludwig- und der Leopoldstraße.

Die Maßnahme der Polizei, das gesamte Areal rund um die Türkenstraße zu sperren, kam überraschend. Noch am Freitagmittag ist keine Rede davon, erst in der Nacht entscheiden sich die Verantwortlichen zu diesem Schritt. Anders seien die vielen Menschen nicht davon abzubringen gewesen, rund um die Türkenstraße zu feiern, erklärt ein Polizeisprecher. Am Freitag hätten die Beamten zunächst versucht, einzelne Gruppen durch Ansprachen zum Gehen aufzufordern. Weil dann jedoch ständig weitere Menschen kamen und die Mindestabstände nicht mehr eingehalten werden konnten, habe man sich zur Sperrung entschlossen.

Und noch etwas ist neu an diesem Wochenende: das Verbot von Glasflaschen zwischen 20 und sechs Uhr, zudem ist die Nutzung von Musikboxen zwischen 22 und sieben Uhr untersagt, um die sowieso schon lärmgeplagten Anwohner zu schonen. Zumindest das scheint gelungen zu sein, soweit man das hinter der Absperrung beurteilen kann: für die Menschen hinter den meist dunklen Fenstern in den Häusern drumherum dürfte es eine der ruhigsten Wochenendnächte seit Langem gewesen sein.

Ein Eindruck, den am Sonntag auch die Polizei bestätigt. Das Glasflaschenverbot sei weitgehend eingehalten worden, berichtet der Sprecher. Vereinzelt seien die Beamten auf Menschen mit Glasflaschen getroffen, ein kurzes Gespräch habe aber meist ausgereicht, um das Verbot durchzusetzen beziehungsweise die Feiernden überhaupt erst darauf aufmerksam zu machen. "Viele wussten davon gar nichts", so der Sprecher. Es habe deswegen keinerlei Bußgelder oder Anzeigen gegeben, was sicher auch an der Taktik der Polizei lag, das betreffende Areal zu sperren. Wer nicht rein darf, kann auch keine Glasflasche mitbringen.

Nur: Wer nicht rein darf, der zieht eben weiter. Und so ist die Türkenstraße ähnlich wie der Gärtnerplatz an diesem Wochenende für Corona-Verhältnisse leer, dafür spielt sich das Partygeschehen wie schon so oft rund um die Universität ab. Ein Problem, das auch der Polizei bekannt ist, aber gegen das sich offenbar kaum etwas unternehmen lässt. "Wir werden immer eine Verlagerung haben", sagt der Polizeisprecher. Und so läuft es ja auch, seitdem die Sommer unter Pandemiebedingungen stattfinden müssen. Zunächst trafen sich die Menschen am Gärtnerplatz, der mittlerweile so uninteressant geworden ist, dass er nicht mal mehr im Polizeibericht vorkommt. Dann wurden der Wedekind- und Odeonsplatz zu Hotspots, die Monopteroswiese, und schließlich das Univiertel.

Rund 500 Menschen sind es nach Polizeiangaben am Samstagabend auf dem Professor-Huber-Platz, es wird getrunken, gelacht und ziemlich viel rumgeschrien. Nebenan brettern ein paar Poser mit ihren Autos über die Ludwigstraße und hupen zur Sicherheit noch, damit auch wirklich jeder mitbekommt, dass sie und ihre Lamborghinis jetzt da sind. Ab und zu flattert eine Italien-Fahne aus einem der Autofenster, EM ist ja auch noch. Wegen des Fußballfestes während der Pandemie ist die Polizei am Samstag mit 350 zusätzlichen Kräften im Einsatz. Am Freitag - ohne Länderspiel - waren es nur 150. Mit dabei sind auch Beamte des Unterstützungskommandos (USK). Die Visiere vor dem Gesicht haben sie zwischen den Feiernden Stellung bezogen, Rücken an Rücken stehen sie da und starren in die Menge. Gegen halb eins kommt Bewegung in die Beamten. Platzräumung! Also Visiere hoch, Ansprachen halten: Bitte verlassen Sie den Platz! Fängt jemand an zu pöbeln, drohen sie mit einer Anzeige. Meistens hilft das.

Und dann ist der Platz gegenüber der Universität auch relativ schnell leer - und die Bürgersteige der Ludwigstraße voll. Die Menschenmassen schieben sich aneinander vorbei, ab und zu geraten zwei Gruppen aneinander, Geschrei, einmal fliegt eine Faust. Trotzdem meldet die Polizei keine besonderen Vorkommnisse. Das Übliche eben, sagt der Polizeisprecher. Das Glasflaschenverbot für die Türkenstraße habe also nur bedingt zu einer Entspannung der Lage beigetragen. "Es war zumindest ein bisschen ruhiger", sagt der Sprecher. "Aber von einer richtigen Entspannung kann man jetzt nicht wirklich reden."

Was also tun, um die Sommernächte möglichst corona-konform zu gestalten? Die Ludwigstraße soll nun für den Verkehr gesperrt werden, wann genau, weiß niemand, frühestens von übernächstem Wochenende an. Auch über die genaue Gestaltung dieses Vorhabens ist noch nichts bekannt, aber irgendwelche Anreize muss man ja schaffen, damit die leere Straße auch von den Feiernden angenommen wird. In der Nacht zum Sonntag jedenfalls sind die Pläne aus dem Rathaus kein Thema. Die Straße zum Feiern sperren? "Warum denn?", fragt einer. "Die gehört uns doch schon." Auch bei den anderen scheint der nächste Drink eine höhere Priorität zu genießen als die Vorgaben und Vorhaben der Stadt. Nervig sei das Glasflaschenverbot schon, aber mit der richtigen Vorbereitung ja leicht zu umgehen, sagt eine junge Frau. "Dann mixt man das halt zu Hause und füllt es in Plastikflaschen!" Auch dass die Feiernden ständig woanders hingeschickt werden und sich neue Orte suchen müssen, stört sie wenig. "Hauptsache, man kann jetzt überhaupt wieder feiern!"

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SZ vom 28.06.2021
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